Reaktionen auf Rüstungsforschung Erschüttert und schockiert

Deutsche Fregatte "Schleswig-Holstein": Uni Kiel entwickelt Radartechnik zur marinen Terrorabwehr
Foto: Ingo Wagner/ dpaMehr, immer mehr: Das Verteidigungsministerium hat seine jährlichen Ausgaben an Hochschulen und öffentlichen Forschungsinstituten mehr als verdoppelt - und empört damit Bildungspolitiker und Studentenvertreter. "Es ist erschütternd", sagt etwa Ruben Reid vom Asta der Universität Kiel.
Am Sonntag hatten "NDR Info" und die "Süddeutsche Zeitung" über eine vertrauliche Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Die-Linke-Fraktion berichtet. Daraus geht hervor, dass das Bundesverteidigungsministerium seit 2010 mehr als 700 Aufträge an öffentliche Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen erteilt hat. Gesamtvolumen: rund 392 Millionen Euro. Verglichen mit dem Zeitraum 2000 bis 2010 errechnete die Linksfraktion eine Steigerung von rund 70 Prozent.
Die hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion, Nicole Gohlke, sagte, sie sei schockiert, dass die Regierung so einen "harten politischen Kurswechsel" fernab jeder politischen Diskussion zu vollziehen versuche. Auch Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion forderte: "Die Geheimniskrämerei muss beendet werden. Das Bundesverteidigungsministerium darf sich nicht hinter Geheimhaltung und Sicherheitsinteressen verschanzen." Vielmehr müsse das Ministerium Eckdaten veröffentlichen, um die Projekte politisch und ethisch bewerten zu können.
Denn über die Details der Aufträge schweigt die Regierung. In der Antwort heißt es: "Grundsätzlich strebt die Bundesregierung Transparenz im Bereich der öffentlich finanzierten Forschung an." Die Grenzen würden aber erreicht, wenn "Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland einer Veröffentlichung entgegenstehen". Das sei dann erreicht, "wenn Rückschlüsse auf wehrtechnische Interessenschwerpunkte und damit letztlich Fähigkeitslücken der Bundeswehr gezogen werden können".
Fest steht nach Informationen der Linksfraktion: Seit 2010 hat das Verteidigungsministerium 120 Aufträge im Umfang von 28 Millionen Euro an Hochschulen vergeben. Die Top drei der Auftragsnehmer laut "Süddeutscher Zeitung": die Universität Hannover, gefolgt von der Universität Kiel und der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg. Am meisten profitierten die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, besonders die Fraunhofer-Gesellschaft.
Das sagen die Hochschulen:
Die Pressesprecherin Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg, Eva Tritschler, betont, die Hochschule erforsche keine Waffen. Vielmehr entwickelten die Wissenschaftler Verfahren, um Sprengstoff aufzuspüren, sowie Proben, um Spürhunde für die Sprengstoffsuche auszubilden.
Die Pressesprecherin der Uni Hannover äußert sich ähnlich wie die Regierung: Die Uni sei bestrebt höchstmögliche Transparenz herzustellen. Allerdings gebe es Grenzen - und daher: keine Details über die Forschungsaufträge. Die Studentenvertreter teilen mit, sie seien empört über die neuen Informationen - jedoch nicht verwundert. Seit Längerem setzt sich der Asta für eine Zivilklausel ein, die militärische Forschung verbieten würde; mehrere deutsche Hochschulen haben so eine Klausel bereits verabschiedet. "Wissenschaft und Forschung sollten für eine friedliche und emanzipierte Gesellschaft eingesetzt werden", teilt der Asta mit, "die Zusammenarbeit mit der Rüstungsforschung steht im Widerspruch dazu." Die Uni wiederum argumentiert mit der Wissenschaftsfreiheit: Eine verpflichtende Zivilklausel schränke dieses hohe Gut ein.
Auch Studentenvertreter der Uni Kiel kämpfen für eine Zivilklausel - es gibt sogar einen Asta-Beauftragten zur Einführung der Klausel. Ruben Reid teilt mit: "Es ist erschütternd, dass große Geldströme nicht nur des Bundesministeriums für Verteidigung sondern auch privater Rüstungsfirmen an die Uni Kiel fließen." So habe die Uni in den vergangenen Jahren Projekte mit Firmen wie Raytheon-Anschütz durchgeführt, die Kompass- und Radargeräte herstellt für zivile und militärische Schiffe. Uni-Forscher entwickeln hierbei unter anderem Radartechnik, die zur Erkennung kleiner Boote und damit zur Terroristen- und Piratenabwehr dienen soll . Die Uni Kiel müsse sich entscheiden, ob sie ihrem Leitspruch "pax optima rerum" gerecht werden und sich als verantwortungsbewusste und zivile Universität begreifen wolle, findet Asta-Vertreter Reid.
Die Uni Kiel betont, sie betreibe keine Rüstungsforschung, sondern vor allem Grundlagenforschung, beispielsweise um die Auswertung von Meeressäugerdaten. Die Hochschule betrachte das Verteidigungsministerium als demokratisch legitimierte und kontrollierte Institution. "Insofern sind sie grundsätzlich ein legitimer Auftraggeber für Forschungsprojekte", teilte Präsident Lutz Kipp mit.