Satire-Seminar
Harald Schmidt und die Fahndung nach der Gürtellinie
"Uni, das kennt ihr doch, liebe Studenten, das ist das Gebäude neben der Mensa": Harald Schmidt macht gerne Witze über den akademischen Nachwuchs. Das hindert Hamburger Studenten nicht daran, sich wissenschaftlich mit dem Großmeister der Satire zu beschäftigen.
Kay Sokolowsky ist bekennender Harald-Schmidt-Fan. Der Hamburger Journalist beschäftigt sich jedoch nicht nur in seiner Freizeit mit dem TV-Entertainer: Im vergangenen Jahr hatte er an der Uni der Hansestadt einen Vortrag über Satire-Traditionen und die Künste des SAT.1-Stars gehalten. Und schon war die Idee geboren: ein ganzes Seminar zu diesem Thema.
Seit Mitte Oktober ist es soweit. Auf dem Lehrplan des Germanistik-Instituts der Uni Hamburg steht das Proseminar mit dem langen Titel "Satirisches Reden in den Medien der 90er Jahre. Bewegungen von der Neuen Frankfurter Schule zur Stand-up-Comedy". Immer im Mittelpunkt: Großmeister Harald Schmidt. "Er ist der im Moment bedeutendste deutsche Satiriker", sagt Seminarleiter Kay Sokolowsky. Der Redakteur von "TV today" hält zum ersten Mal eine Lehrveranstaltung - keine leichte Aufgabe.
Auf zu neuen Ufern
Doch das ist nicht die einzige Premiere. "Wir bewegen uns mit dem Seminar auf unbekanntem Gebiet, so etwas wird zum ersten Mal angeboten. Das ist ganz schön heftig für ein Proseminar", gibt Sokolowsky zu. Der Late Night-Talker sei ein schwieriges Thema, nicht zuletzt, weil es bisher auch keine wirklich passende Sekundärliteratur gebe, die dem Dozenten oder seinen Schützlingen helfen könnte.
Deren Zahl ist übrigens von anfangs rund 60 auf mittlerweile knapp 40 abgeschmolzen - immer noch sehr viel für ein Proseminar, räumt Sokolowsky ein. Er fügt augenzwinkernd hinzu: "Deshalb gebe ich mir auch alle Mühe, die Teilnehmer abzuschrecken." Und zwar mit Theorie und Grundlagenforschung: Um Harald Schmidt geht es in dieser Anfangsphase des Seminars nämlich noch gar nicht - vielmehr will Sokolowsky zeigen, dass Schmidt in der Tradition von Satirikern wie Robert Gernhardt oder Eckhard Henscheid steht.
Satire hat Tradition
Auf dem Seminarplan stehen Literaturgeschichte und Sprachuntersuchungen: Die Teilnehmer sollen anhand von Texten der Neuen Frankfurter Schule frühere Formen von Satire und Komik herausfinden. Das sei schon sehr anstrengend, sagt Sokolowsky - nicht nur für die Teilnehmer, auch für ihn selbst.
Zum Schluss einer Sitzung lässt der Seminarleiter dann auch mal Milde walten und schaut sich mit den gebeutelten Studenten ein paar Minuten Harald-Schmidt-Show an: "Nach einer anspruchsvollen Sitzung tut das richtig gut, auch mir. Wir diskutieren dann nicht mehr über den Ausschnitt - es geht einfach nur darum, am Ende des Seminars etwas zu entspannen."
So wird es aber nicht das ganze Semester über bleiben. Ab Dezember wird Herr und Meister Schmidt richtig ins Geschehen eingreifen - zumindest auf dem Bildschirm. Sokolowsky wird mit seinen Studenten zwei Gespräche zwischen Harald Schmidt und seinem Sparringspartner Manuel Andrack analysieren, die im März dieses Jahres über die Bildschirme flimmerten. Ziel der Übung: Maschen, Methoden und Mittel in der Satire herausarbeiten.
Ob es zu einem richtigen Aufeinandertreffen der Studis mit dem TV-Star kommt, ist noch offen. Der Seminarleiter hat den Teilnehmern freigestellt, Harald Schmidt zu kontaktieren und vielleicht zum Seminar nach Hamburg einzuladen - obwohl er von der Idee nicht unbedingt begeistert ist: "Es geht mir nicht um die Person Harald Schmidt. Ich möchte mit den Seminarteilnehmern die Bühnenfigur Harald Schmidt genauer unter die Lupe nehmen." Sokolowsky ist jedoch skeptisch, ob sich die Studenten wirklich trauen, auf Harald Schmidt zuzugehen.
Der Dozenten jedenfalls würde sich schon freuen, wenn Harald Schmidt in seiner Show mal einen Witz über das Seminar macht. Doch damit könnte er durchaus weitere Sympathien verspielen. Die Mehrheit der Seminarteilnehmer mag die Harald Schmidt-Show, aber nicht alle sitzen wegen des TV-Entertainers im Seminar. Einige habe einfach das Thema Satire angelockt, andere wollten mehr über die Neue Frankfurter Schule erfahren, weiß Sokolowsky.
Wo ist die Gürtellinie?
Manche Teilnehmer seien jedoch alles andere als Harald-Schmidt-Fans, hielten ihn für zynisch und arrogant. Mit seinen Witzen ziele er oft unter die Gürtellinie. Für den Seminarleiter ist das aber eine sehr relative Grenze: "Es gibt immer wieder Leute, die die Hose unter den Achseln tragen." Er selbst vertritt eine liberale Auffassung von Humor: "Komik darf keine Tabus kennen. Die einzige Frage ist: Kann man darüber lachen?"
Über Studenten kann Harald Schmidt allemal lachen, sie sind für ihn willkommene Opfer und immer gut für eine Breitseite. Manchmal greift er dem akademischen Nachwuchs aber auch unter die Arme und weist ihm den rechten Weg: "Die Uni, das ist das Gebäude neben der Mensa." Der Hinweis müsste jetzt sogar nicht mehr uneigennützig sein, könnte Harald Schmidt nun doch hinzufügen: "Geht schön alle hin, dort könnt Ihr nützliche Dinge lernen - über mich...".
Sascha Klein
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