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Schavan im Prüfungsstress: "Mit Anonymität kann ich nicht umgehen"

Foto: Soeren Stache/ dpa

Plagiatsvorwurf gegen Ministerin Schavan reist und schweigt

Annette Schavan, Bundesbildungsministerin unter Plagiatsverdacht, ist in Erklärungsnot - doch erklären will sie sich derzeit nicht weiter. Nach dem ersten Schock am Mittwoch tingelt sie auf Wahlkampftour durch Norddeutschland. Die Uni entscheidet nächste Woche, ob sie in dem Fall ermitteln will.

Wer ist der anonyme Schreiber, der Annette Schavan (CDU) mindestens den Maianfang gründlich verdorben hat - und dessen Plagiatsvorwurf die deutsche Bildungs- und Wissenschaftsministerin den Doktortitel und damit wohl das Amt kosten könnte?

Bekannt ist bislang nur: Ein wordpress-Blog namens schavanplag  wurde Anfang April angemeldet. Am Mittwoch, den 2. Mai, ließen der oder die Macher ihre mutmaßliche Bombe platzen: Per E-Mail und Fax erging der anonyme Hinweis an mehrere Redaktionen, sich die Seite schavanplag doch einmal anzuschauen. Ein "Robert Schmidt" schrieb, er habe auf über 50 Seiten in Schavans Doktorarbeit Stellen gefunden, die er "als Plagiate einstufe".

Über vier Wochen hatten der oder die Macher Texte eingestellt und Dutzende Fundstellen fein säuberlich aufgelistet, zusammengefasst in einem 46-seitigen PDF-Dokument. Adressat waren auch der SPIEGEL und Schavans ehemalige Ausbildungsstätte, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHUD).

Vom Vorwurf wurde die Ministerin am Mittwoch offenbar kalt erwischt. Die Anfrage eines Agenturjournalisten landete am Morgen im Sekretariat des Wissenschaftsministeriums. Anschließend fragte der Journalist in der Bundespressekonferenz nach und Schavan rang sich eine erste Antwort ab: "Ich habe heute diese entsprechende Seite mir angeschaut, es ist eine anonyme Seite, deshalb ist meine erste Antwort: Wer sich mit meiner Dissertation beschäftigt hat, mit dem bin ich gerne bereit, über diese Dissertation zu sprechen, über das Zustandekommen." Die wenig druckreife Wortwahl war wohl der Überraschung geschuldet. Eine vorformulierte Antwort war es nicht. Das hatte die Ministerin nicht kommen sehen.

Schavans Ministerium: Ab jetzt herrscht Funkstille

Schavan sagte anschließend zu ihrer Doktorarbeit "Person und Gewissen" aus dem Jahr 1980, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, sie habe ihr Thema "damals sehr genau bearbeitet" und die Promotionsschrift "nach bestem Wissen und Gewissen" geschrieben. Darüber hinaus, hieß es am Donnerstag aus dem Ministerium, wolle sich Schavan aber bis zum Ende einer möglichen Untersuchung nicht mehr öffentlich äußern.

Ein Sprecher Schavans sagte SPIEGEL ONLINE, wenn die Universität um eine Stellungnahme bitte, werde Schavan diese natürlich abgeben. Ob Schavan mit ihrem Doktorvater Kontakt aufgenommen habe, wisse er nicht. Es habe aber Kontakt mit Schavans ehemaliger Universität gegeben, was die HHUD bestätigt.

In ihrem ersten, schnellen Statement hatte Schavan noch versichert, sie gebe gerne jedem Rechenschaft über die Quellen. Aber schon im nächsten Satz schränkte sie ein: "Mit anonymen Vorwürfen kann man schwerlich umgehen." Am Donnerstag zog Schavan trotz des Schrecks am Mittwochmorgen ihr geplantes Programm durch: Wahlkampf für die schleswig-holsteinische CDU in Pinneberg, Neumünster, Rendsburg.

Schavan sprach erst gegen Guttenberg, als es fast zu spät war

Schavan ist nicht irgendeine Ministerin. Als deutsche Wissenschaftsministerin ist sie vielmehr Herrin über die Redlichkeit im deutschen Wissenschaftsbetrieb. Plagiate sollten ihr persönlich Bauchschmerzen bereiten, sie sollte sie verurteilen und alles, was zu ihrer Aufdeckung beiträgt, unterstützen.

Im Februar und März 2011 allerdings, auf dem Höhepunkt des Guttenberg-Plagiatsskandals, brauchte es einen mehrtätigen öffentlichen Proteststurm von bis zu 35.000 Nachwuchswissenschaftlern, darunter viele Doktoranden, bis Schavan sich zu Kritik am Kabinettskollegen aufraffen konnte. Sie forderte zunächst nicht Aufklärung, sondern sagte Sätze wie: "Wer Wissenschaft ernst nimmt, muss nicht gleich den Stab über den Minister brechen." Und: "Ich finde, auch Minister haben den Anspruch, nicht vorverurteilt zu werden." Erst Tage später wagte sie sich zaghaft vor und sagte, als Wissenschaftlerin, die vor 30 Jahren selbst promoviert habe, schäme sie sich "nicht nur heimlich" für das Debakel um Guttenbergs Doktorarbeit.

VroniPlag-Analyse der Schavan-Arbeit: 10 Prozent der Seiten verdächtig

Die Recherchen der Plagiatsjäger von VroniPlag zur Arbeit Schavans begannen nach Aussagen von Mitgliedern bereits Anfang 2012. Das Wiki-Mitglied 'Hotznplotz' hatte das erste Fragment mit dem Kürzel "As" bei VroniPlag eingestellt. So gehen die anonymen Plagiatsjäger vor, wenn sie einem Anfangsverdacht nachgehen und diesen für begründet halten. Erst wenn die Untersuchung abgeschlossen ist und die Mehrheit des Schwarms dafür, hängt VroniPlag einen Plagiatsfall an die große Glocke - wie bei Silvana Koch-Mehrin, Jorgo Chatzimarkakis, Margarita Mathiopoulus (alle FDP) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

"Eine knappe Entscheidung" sei das im Fall Schavan gewesen, sagt Debora Weber-Wulff, Plagiatsforscherin der Hochschule für Technik und Wissenschaft Berlin, SPIEGEL ONLINE. Aber die Mehrheit bei Vroniplag habe sich dagegen entschieden, zu publizieren. Wie viele VorniPlag-Mitglieder an der Entscheidung beteiligt waren, ist unklar. Auf dem Gipfel der Plagiatsskandale umfasste das VroniPlag-Wiki einen recht exklusiven Kreis von 20 bis 30 ehrenamtlichen Rechercheuren, heute sind es wohl weniger.

Zumindest VroniPlag vermutet, dass es sich bei der Figur hinter schavanplag um einen Autor aus ihren Reihen handelt, der mit der Mehrheitsentscheidung nicht einverstanden war. Der vorläufige Endstand bei VroniPlag: Gute 10 Prozent der Seiten in Schavans Doktorarbeit weisen nach Zählweise der Plagiatsrechercheure Fundstellen auf. Erst oberhalb dieser Grenze stellt VroniPlag ihre Zielpersonen bloß. Durchaus "problematische Stellen" enthalte Schavans Arbeit, finden Weber-Wulff und VroniPlag-Kollegen. Aber die wissenschaftlichen Verfehlungen hätten nicht die Qualität anderer Fälle, wie etwa der des Ex-Verteidigungsministers Guttenberg, sagt die Wissenschaftlerin.

Düsseldorfer Promotionsausschuss tagt in der zweiten Mai-Woche

Schavanplag dagegen nennt 56 Seiten, auf denen der oder die Autoren Fundstellen nachweisen wollen, eingeteilt in Kategorie A und B. Ein VroniPlag-Mitglied vermutete im Chat, Fundstellen der Kategorie A handle es sich um die Stellen, die mit der Vroniplag-Recherche identisch sind. Bei Stellen der Kategorie B dagegen seien es Stellen, die bei VroniPlag bis zuletzt strittig geblieben waren.

Der Promotionsausschuss der HHUD will in der zweiten Mai-Woche zum ersten Mal zusammenkommen und entscheiden, ob die Arbeit überprüft werden soll. Vorsitzender des Ausschusses ist Stefan Rohrbacher, Professor für Jüdische Studien, Prodekan der Philosophischen Fakultät und einer von zwei Vorsitzenden des Fakultätsrats. Der Fakultätsrat entscheidet laut aktueller Promotionsordnung über die Ungültigkeit einer Promotion und das Entziehen eines Doktorgrades.

Die Opposition im Bundestag forderte indes die Einrichtung eines "bundesweiten Clearing-Projekts" für Plagiatsvorwürfe, finanziert aus Schavans Bildungsministerium. Das Auffinden von Plagiaten dürfe nicht länger allein anonymen Internetplattformen überlassen bleiben, sagte SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt. Leute würde so zu schnell und "unter Umständen auch manchmal zu Unrecht" an einen Internetpranger gestellt. Allerdings habe "die Internetszene" beim Thema Promotionen "den Finger in eine offene Wunde der Qualitätssicherung" gelegt.

mit Material von dpa
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