Polizeikontrolle wegen der Hautfarbe "Der schlimmste Tag meines Lebens"

Er ist in Deutschland geboren, er studiert hier, er ist schwarz. Wegen seiner Hautfarbe wurde ein 26-Jähriger bei einer Zugfahrt von der Polizei kontrolliert. Der Mann wehrte sich, klagte - und siegte vor Gericht. Anruf bei einem, der sich nicht alles gefallen lassen will.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben gerade vor Gericht gegen die Bundespolizei gewonnen, weil Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe kontrolliert wurden. Ihr Fall stand in allen Zeitungen, warum möchten Sie unbedingt anonym bleiben?

Student: Zum einen geht es ja gar nicht um mich, sondern um alle, denen Ähnliches widerfahren ist. Es ist auch nicht schön, Erzähler einer Geschichte über Rassismus zu sein. Zum anderen möchte ich nicht, dass Leute mit dem Finger auf mich zeigen, weil ich diese längst fällige Klage eingereicht habe.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben gegen eine Ausweiskontrolle im Regionalzug geklagt. Was war vorgefallen?

Student: Ich studiere in Kassel und war im Dezember 2010 mal wieder auf dem Weg zu meiner Familie in Offenbach. Auf dieser Strecke sind häufig Bundespolizisten unterwegs, auf der Suche nach sogenannten "Illegalen", also Ausländern ohne Aufenthaltsgenehmigung. Sie hatten mich in den zwei Jahren zuvor schon ungefähr zehnmal für eine Stichprobe auserkoren und nach meinem Ausweis gefragt. Ein ziemlich mieses Gefühl. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich bin Deutscher. Die Hautfarbe darf laut dem Diskriminierungsverbot im Grundgesetz kein Grund für eine Ausweiskontrolle sein.

SPIEGEL ONLINE: Dann ist es wieder passiert?

Student: Ja. Ich hatte mir gerade einen Tee bei dem Snackverkäufer im Zug geholt, als die Polizisten mich im Befehlston aufforderten, ihnen meinen Ausweis zu zeigen. Ich wollte wissen, warum und bekam keine richtige Antwort. Also habe ich mich geweigert.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben die anderen Fahrgäste reagiert?

Student: Die meisten waren schockiert über das Verhalten der Polizisten, einige haben sie sogar lautstark kritisiert. An der nächsten Haltestelle musste ich aussteigen. Die Polizisten haben mich vor sich hergeschubst, obwohl ich keinen Widerstand geleistet habe. Am Bahnsteig holten sie dann Verstärkung von der Landespolizei und durchwühlten meinen Rucksack. Darin war eine Tafel Schokolade. Einer der Polizisten fragte mich, ob ich die geklaut hätte. Da beschloss ich, nicht mehr mit ihnen zu reden, bis wir auf der Polizeistation sind.

SPIEGEL ONLINE: Sie hätten einfach Ihren Ausweis zeigen können.

Student: Ich wollte nicht mehr anders behandelt werden. Die Polizisten brachten mich dann zurück nach Kassel auf die Wache. Dort wurde ich gefragt, ob ich Englisch spreche und Papiere hätte. Sie drohten mir mit hohen Kosten für das Fotografieren, die Fingerabdrücke und einen Aufenthalt in einer Zelle. Dann zeigte ich ihnen meinen Führerschein und sie ließen mich gehen. Es war der schlimmste Tag meines Lebens.

SPIEGEL ONLINE: War Ihr Widerstand spontan?

Student: Ich hatte mich vorher erkundigt und wusste, dass die Polizisten, ganz gleich ob Landes- oder Bundespolizisten, mir ohne jeglichen Verdacht zumindest einen Grund für die Personalienfeststellung nennen müssen.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie auf Schmerzensgeld geklagt?

Student: Nein, ich will kein Geld. Darum ging es mir nie. Freunde sagten, ich hätte mit einer Klage keine Chance. Aber ich fand einen Anwalt, der sich richtig reingehängt hat. Die Klage wurde in erster Instanz vom Verwaltungsgericht Koblenz abgewiesen, viele Leute empörten sich darüber. Also machte ich weiter. Ich wäre bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen.

SPIEGEL ONLINE: Das Oberverwaltungsgericht kam nun in zweiter Instanz zu der Auffassung, dass Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe kontrolliert wurden, und gab der Klage statt. Die Polizisten haben sich daraufhin entschuldigt, das Verfahren ist beendet. Haben Sie die Entschuldigung angenommen?

Student: Ja, angenommen schon, aber ich fühle sie nicht. Die Entschuldigung war förmlich, ohne Reue und nicht auf einer menschlichen Ebene. Und an der negativen Reaktion der Deutschen Polizeigewerkschaft sieht man, dass einige eigentlich so weitermachen wollen.

SPIEGEL ONLINE: Die Gewerkschaft kritisiert, die Gerichtsentscheidung sei praxisfern, sie erschwere die Arbeit der Polizei.

Student: Polizeikontrollen ohne Verdachtsmoment sind nicht erlaubt. Aber offenbar fällt es einigen Polizisten schwer zu akzeptieren, dass schwarze Europäer keine Seltenheit mehr sind.

SPIEGEL ONLINE: Menschenrechtsorganisationen und Juristen sprechen von einem Meilenstein und von Signalwirkung. Freuen Sie sich gar nicht?

Student: Nun ja. Ich habe jetzt jedenfalls mehr Hoffnung als Sorge. Leute haben mir erzählt, Bundespolizisten hätten sich, nachdem die erste Klage abgewiesen war, bei Kontrollen darauf berufen, sozusagen als Rechtfertigung für eine hautfarbenbegründete Ausweiskontrolle. Ob sich für mich persönlich etwas ändert, werde ich bald sehen.

Das Interview führte Lena Greiner

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