Schwer von Begriff Was ist eigentlich ... das Hochschulrahmengesetz?
Alle sagen, die Bundesministerin für Bildung und Forschung habe nichts zu tun. Das stimmt aber nicht. Gerade jetzt ist Annette Schavan schwer beschäftigt. Sie ist dabei, ein Gesetz abzuschaffen: das Hochschulrahmengesetz (HRG).
Artikel 1: "Das Hochschulrahmengesetz ... wird aufgehoben." So einfach ist das. Die Hochschulen sollen künftig ohne bundesweit einheitliche Vorgaben auskommen. Das Kabinett hat das schon beschlossen, im November soll der Bundestag sich damit beschäftigen. Das Gesetz, eine über dreißig Jahre alte Institution des akademischen Lebens, sei "überflüssig", sagt die Bildungsministerin, die Universitäten wüssten selbst am besten, was für sie gut ist.
Lohnt es sich, ein Gesetz zu studieren, das es schon bald nicht mehr geben soll? Es lohnt sich zu studieren, wie es entstanden ist, damit wir ahnen, was uns fehlen wird.
Alle klagten über und gegen alle
HRG - diese drei Buchstaben haben die deutschen Universitäten immerhin vor dem Untergang gerettet. Das war am späten Abend der deutschen Studentenrevolte, streitende und streikende Grüppchen zerrten im ganzen Land an den Talaren der verzweifelt um ihre muffigen Privilegien ringenden Ordinarien. Reformer rannten ziellos durcheinander, und jede Universität versuchte sich in einer neuen Bildungspolitik.
In den späten Sechzigern ging nichts mehr: Immer neue Wellen bildungshungriger und aufsässiger Studenten rollten auf die völlig veralteten Institute Humboldtscher Bildungs-Besinnlichkeit zu, den Bildungsministern lief die Sache aus dem Ruder, eilige Experimente mit Basisdemokratie ("Gruppenuniversität") und Numerus clausus endeten vor dem Verfassungsgericht. Alle klagten über und gegen alle.
Es war eine deutsche Bildungskatastrophe.
"Heillose Verwirrung" in den Ländern, konstatierte ein CDU-Abgeordneter im Bundestag. Und alle in der Bonner Republik waren sich einig, dass sie die Universitäten aus den Händen der völlig überforderten Kultusministerkonferenz der Länder retten mussten: So schlug die Geburtsstunde des HRG, für das sich der Bund die Kompetenz extra ins Grundgesetz schreiben ließ.
In groben Zügen wurde die deutsche Hochschullandschaft künftig für alle Bundesländer zentral geregelt. Heraus kam ein Halbwegs-Gesetz: Studenten sollten künftig an einem halbwegs gerechten bundesweiten Studienplatzverteilverfahren teilnehmen, die Hochschulen wurden halbwegs demokratisiert, aber auch Regelstudienzeiten wurden halbwegs verbindlich festgeschrieben - und die Drohung der Zwangsexmatrikulation für Studenten, die nicht wenigstens halbwegs friedlich waren.
Das HRG ist ein Kind sozialdemokratischer Gedanken, es entstand unter Kanzler Willy Brandt. Darum statuierte es zugleich eine klare Wende in der bundesdeutschen Bildungspolitik. Hatte 1947 Karl Jaspers, der einflussreichste Philosoph der frühen Bonner Republik, die "Idee" der aus den Nazi-Trümmern neuzugründenden Unis noch als "das Offenbarwerden der Wahrheit" skizziert, hatten Rudi Dutschkes Studenten versucht, die Universitäten zu Instrumenten revolutionärer Veränderung zu machen, verfügte nun Paragraf 7 als "Ziel des Studiums" , die Studenten "auf ein berufliches Tätigkeitsfeld" vorzubereiten.
Mit der KMK allein im Wald
Halbwegs ordentliche, halbwegs demokratisch gesonnene und halbwegs karrierebewusste Studenten überfüllen seitdem die deutschen Hochschulen: Armselig kann man das finden, vielleicht sogar spießig. Immerhin gab es seit dem Hochschulrahmengesetz jemanden in Deutschland, der sich für die Universitäten verantwortlich fühlte, der die Richtlinien der nationalen Politik bestimmte - der Bundeskanzler. Bildung - das hatte sich nach 68 zum ersten Mal herumgesprochen, ist eine nationale Aufgabe. Also braucht es dafür einen nationalen Rahmen - und nationale Steuergelder.
68 ist lange vorbei. Bei der Föderalismusreform wurde das Grundgesetz zurückverändert, die Kompetenzen des Bundes bekamen die Länder zum großen Teil wieder - aber auch die finanzielle Verantwortung. Das HRG landet im Papierkorb, als Letztes wird womöglich der Posten entsorgt, der 1970, in der Not, extra erfunden wurde: der Bundesbildungsminister.
"Die Universitäten wissen selbst am besten, was für sie gut ist." So reden Eltern, die ihre Kinder nachts im Wald aussetzen. Nun sind die Studenten wieder da, wo die Opas von der Apo schon waren: allein im Wald mit der KMK. Die Kultusminister der Länder hätten, wenn man sie gelassen hätte, die Universitäten schon 1968 zugrunde gerichtet. Jetzt sind sie wieder dabei.
Niemand ist mehr verantwortlich
Ohne Not hat die KMK verfügt, dass die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master "flächendeckend" bis 2010 durchzusetzen sei. Das beruht zwar auf Brüsseler Vorgaben, doch die waren allenfalls Empfehlungen. Der vereinigte Eifer der Länder bringt die Hochschulen verbreitet an den Kollaps. Denn der weitgehend unsinnige Umbau der Ausbildung kostet Geld, das die Länder nicht aufbringen wollen.
Auch die KMK hat keine Ahnung, wie sie mit dem Studentenandrang fertigwerden soll, der ab 2010 auf die Unis zukommt. Niemand hat eine Ahnung. Denn mittlerweile ist niemand mehr verantwortlich.
Brauchen wir ein Hochschulrahmengesetz? Spätestens nach der nächsten Studentenrevolte.