Wissenschaftssprache Juhu, niemand versteht mich

Studenten hassen verkorkste Wissenschaftssprache - und nutzen sie doch selbst: Bei Diskussionen gibt es immer Schlauberger, die in jeden Satz fünf Fremdwörter einflechten. Die Kommilitonen sind genervt und doch irgendwie beeindruckt. Warum nur, fragt sich Katrin Langhans, 25.
Korrektes Kauderwelsch: Studenten pimpen Sätze oft mit Fremdwörtern, die keiner versteht

Korrektes Kauderwelsch: Studenten pimpen Sätze oft mit Fremdwörtern, die keiner versteht

Foto: Frank May/ picture-alliance/ dpa

In meinem zweiten Semester an der Uni hatte ich genug von trockenen Vorlesungen und freute mich auf Seminare mit lebhaften Diskussionen. Im Seminarraum wäre ich dann am liebsten unsichtbar gewesen, als ein Kommilitone erklärte, dass das Individuum erst in örtlicher Diskrepanz zum Ursprungsland den Hiatus zwischen dem Eigenen und dem Fremden erfassen könne.

Ich rutschte tiefer in meinen Stuhl und versuchte, wissend in die Luft zu starren und den Blickkontakt mit der Professorin zu vermeiden. War ich die Einzige, die keinen Schimmer hatte, was ein Hiatus ist? "Der kennt sich aus", raunte mir meine Nachbarin mit einer Mischung aus Abneigung und Neid zu.

Gerade in der Uni erlebte ich es oft, wie Studenten einfache Inhalte in komplexe Sätze kleiden und dafür Anerkennung ernten. Mein Kommilitone beeindruckte, weil er wusste, dass Hiatus so viel wie "Kluft" heißt. Oft denken wir, wer komplizierte Fremdwörter benutzt, muss was auf dem Kasten haben. Dabei war die Aussage meines Kommilitonen eigentlich ganz simpel: Kulturelle Unterschiede werden uns erst auf Reisen bewusst.

Warum unverständliche Sätze faszinieren

Der Psychologe Alex Bavelas ist bekannt für seine Kommunikationsforschung in Kleingruppen. In den fünfziger Jahren untersuchte er die Wirkung von Erklärungskonzepten an der Stanford Universität: Zwei Versuchspersonen mussten gesunde von kranken Gewebezellen voneinander unterscheiden und dafür Kriterien entwickeln.

Eine der Personen bekam dabei richtige Rückmeldung auf ihre Annahmen. Die andere bekam falsche Hinweise und entwickelte ein kompliziertes und verworrenes Konzept. Im Anschluss trafen beide Probanden aufeinander und diskutierten. Dabei einigten sie sich auf die komplexere, falsche Antwort, obwohl sie lückenhaft und kaum verständlich war. Der Grund: Die einfache Erklärung erschien zu simpel. Beide beeindruckte die Komplexität der falschen Antwort. Je absurder die Erklärung war, desto überzeugter waren die Versuchspersonen, dass sie korrekt ist.

Warum das so ist? Paul Watzlawick erklärt den Ausgang des Experiments in seinem Buch "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" so: Wir vermuten eine subtile Wahrheit hinter verworrenen Erklärungen, weil wir nicht beweisen können, dass sie falsch sind. Ein halbes Jahrhundert später schreibt Wolf Wagner, früher Professor für Sozialwissenschaften, in seinem Buch "Uni-Angst und Uni-Bluff heute": Unverständliche Sätze faszinieren uns, weil sie unverständlich sind.

Merkel spricht komplizierter als Steinmeier

Das machen sich nicht nur Studenten zunutze - sondern anscheinend auch die Politik: Laut einer Studie der Universität Hohenheim spricht Kanzlerin Angela Merkel komplizierter als Frank-Walter Steinmeier, ihr einstiger Gegenkandidat bei der Bundestagswahl 2009. Die Wissenschaftler untersuchten unter anderem Interviews der "Bild", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "taz" nach Kriterien wie Satzstruktur, Wort- und Satzlänge. Steinmeiers Sprache sei demnach ebenso leicht verständlich wie der Politikteil der "Bild". Natürlich hat Merkel den Wahlkampf nicht wegen ihrer komplizierten Sätze gewonnen - aber vielleicht hat sie den ein oder anderen beeindruckt.

Der Kommilitone, der mich zunächst einschüchterte, nervte mich bald mit seinem Fremdwörtergequatsche. Dabei hatte er oft - um es mit seinen Worten zu sagen - ein maliziöses Lächeln auf den Lippen. Aber ist es nicht viel schwieriger, einen komplexen Sachverhalt einfach auszudrücken als umgekehrt?

Einen Satz von Franz Josef Strauß würde ich meinem Kommilitonen jedenfalls gerne rückwirkend mit auf den Weg geben: "Man muss einfach reden, aber kompliziert denken, nicht umgekehrt."

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