Wohnungsnot Wo es ein Glück ist, im Container zu wohnen

Die Wohnungssuche zum Semesterstart ist immer stressig und oft vergebens. Im niederländischen Groningen ließ die Universität Zelte für wohnungslose Studenten aufstellen - zu einem stolzen Preis.
Wohnungsloser Student in Frankfurt

Wohnungsloser Student in Frankfurt

Foto: Frank Rumpenhorst/ picture alliance / Frank Rumpenhorst/dpa

Die Wohnung, in die Judith Parra bald ziehen wird, hat nicht viel zu bieten: Küche, Wohnzimmer und Schlafraum befinden sich in einem einzigen Zimmer - auf knapp 20 Quadratmetern, in einem Container. Nur das Mini-Bad hat eine eigene Tür. 500 Euro wird Parra dafür im Monat zahlen. Die 20-Jährige findet: "Es war ein Riesenglück, dass ich den Platz im Container bekommen habe."

Wochenlang hat Parra nach einer Bleibe im niederländischen Groningen gesucht, sie will hier Psychologie studieren. Hat rund hundert Anfragen in Wohnungsbörsen und auf Facebook gestellt, doch immer gab es nur Absagen, wenn überhaupt. Am Ende bekam sie die Zusage für den Container. "Ich war einfach nur erleichtert", sagt Parra. "Immerhin muss ich nicht im Zelt schlafen."

Judith Parra in Groningen

Judith Parra in Groningen

Foto: Privat

87,50 Euro pro Woche für einen Zeltplatz

Groningen ist bei internationalen Studierenden beliebt: Die Stadt liegt nicht weit von der deutschen Grenze entfernt, setzt aber nicht auf den gefürchteten Numerus Clausus. Dieses Jahr hat sich Groningen jedoch übernommen: zu viele Erstsemester, zu wenig Wohnraum. Die Universität hat deshalb drei Zelte aufstellen lassen - insgesamt 90 Studierende sollten dort auf Feldbetten übernachten, Kostenpunkt: 87,50 Euro pro Person und Woche.

Doch nicht nur niederländische Städte kämpfen mit dem Problem. Knapp 700 Kilometer entfernt bereitet auch Clemens Metz eine Notunterkunft vor. Metz ist Geschäftsführer des Studierendenwerks Freiburg. Im Oktober werden wie jedes Jahr die Erstsemester in die baden-württembergische Stadt kommen, erneut werden es mehr sein als noch im Jahr zuvor. "Wir halten 100 Plätze in der Notunterkunft vor. Vor einigen Jahren hatten wir einmal die Situation, dass wir nicht für alle Studenten einen Schlafplatz hatten. Das will ich nicht noch einmal erleben", sagt Metz.

Es sind einfache Matratzenlager, die Metz in Seminarräumen oder Kellern von bestehenden Studentenwohnheimen einrichten lässt. Wer hier einzieht, darf nicht zimperlich sein - Privatsphäre gibt es nicht. Ähnlich ist die Situation in Köln (35 Plätze), München (51 Plätze) und Heidelberg (25 Plätze). In Hamburg bietet das Studierendenwerk sogenannte Last-Minute-Zimmer an, die es tageweise vermietet.

Wohnen, wo ohnehin Mangel herrscht

Doch warum sind Studierende jedes Jahr aufs Neue in Not? Das Problem ist schließlich nicht neu. Stellt man Achim Meyer auf der Heyde diese Frage, dann atmet er erst mal tief durch. Meyer auf der Heyde ist Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. "Die Studierendenzahlen sind seit 2008 um 45 Prozent gestiegen. In der gleichen Zeit entstanden aber nur acht Prozent mehr Wohnheimplätze. Es gibt einfach nicht genug bezahlbaren Wohnraum für Studierende."

Denn die wollen da wohnen, wo ohnehin Mangel herrscht: In den Städten, im gut gelegenen Szeneviertel in der Nähe der Uni, und natürlich möglichst günstig. Sind sie am Ende selbst Schuld an der Misere? "Wenn man den Studenten vorwerfen will, dass sie da leben wollen, wo was los ist, dann sind sie selber Schuld. Aber das ist natürlich Quatsch ", sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds.

"Die Studierenden behelfen sich fantasievoll"

Und auch Meyer auf der Heyde findet: "Die Studierenden behelfen sich schon fantasievoll." Was er damit meint: In Münster und Oldenburg bieten ältere Studierende zurzeit online Schlafplätze für Erstsemester unter dem Hashtag #SofaAktion an. In Frankfurt hat die Studierendenvertretung in den Räumen der Universität ein Indoorcamp organisiert. Und in Lüneburg wohnen Studierende gemeinsam mit Flüchtlingen in Container-Unterkünften.

Doch all das hilft nicht gegen das eigentliche Problem, meint Meyer auf der Heyde. "Wir erleben momentan einen massiven Zuzug in die Städte. Dort konkurrieren die Studierenden dann mit Familien mit geringem Einkommen um günstigen Wohnraum." Gäbe es mehr Wohnheimplätze, würde das auch insgesamt den Wohnungsmarkt entlasten, so Meyer auf der Heyde.

Zelte aufstellen zählt nicht

Außerdem problematisch: Etwa 85 Prozent der Studienanfänger beginnen ihr Studium zum Wintersemester - und wollen gleichzeitig in die neue Stadt ziehen. Noch schwieriger ist es für diejenigen, die im Nachrückverfahren einen Studienplatz bekommen. "Wer im September den Bescheid bekommt, dass er im Nachrückverfahren einen Platz an der Uni bekommt, der hat keine Zeit, sich noch vor Semesterstart um eine Wohnung zu kümmern", sagt Meyer auf der Heyde.

Noch hat der Wohnungsmangel in deutschen Universitätsstädten nicht das Ausmaß wie in Groningen angenommen. Dort hielten Studenten so lange das Hauptgebäude der Universität besetzt, bis diese die Zelte wieder abbaute. Sie forderten, dass die Universität sofort etwas gegen die Wohnungsnot unternehme - Zelte aufstellen zählte für sie nicht. Die wohnungslosen Erstsemester sind nun in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht. Dort schlafen sie zu zehnt in einem Raum. Aber, so verkündete die Universität stolz, es gibt eine Zentralheizung, Kühlschränke, Mikrowellen - und sogar ein Arbeitszimmer.

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