Studienstarter im Stress Und wir dachten, Studenten hätten ständig frei

Erstsemester-Tagebuch: Back to the roots
In der Schule schauten die Kleinen noch zu ihnen auf, sie kannten alle Lehrer, deren Macken und Vorzüge. An der Uni mussten sie auf einmal ihren Stundenplan selbst zusammenstellen, Lehrer wurden zu Professoren und Mitschüler zu Kommilitonen. 500.000 Erstsemester begannen im vergangenen Oktober ihr Studium, so viele wie noch nie. Darunter: Larissa Rohr, Fabienne Kinzelmann und Marc Becker.
Sie haben das erste Referat überstanden, Ersti-Partys und Klausuren. Jetzt, nach dem ersten Uni-Semester, kehrt Larissa erstmals länger zurück in ihre Heimat und stellt fest: Ihre Eltern sind nach dem Verschwinden ihrer Kinder unterfordert. Denn kurz bevor sie zum Studium nach Tübingen zog, verabschiedete sich ihre kleine Schwester in die USA, um dort zur Schule zu gehen. Die Rolle des Einzelkindes hat Vorteile, klar, aber nicht nur, sagt sie.
Auch Marc verbringt seine Semesterferien in der Heimat, in Kassel, denn seine Uni-Stadt Marburg wirkt in den Semesterferien wie ausgestorben. Fabienne hingegen verbringt ihre vorlesungsfreie Zeit größtenteils in Seminaren. Wenn sie die Rundmails ihre weltreisenden ehemaligen Mitschüler liest, fragt sie sich: Warum zum Teufel habe ich sofort nach dem Abi mit dem Studium begonnen?
Für den UniSPIEGEL berichten die drei von ihrem Studienstart. Im siebten Teil erzählen sie, wie sie in den Semesterferien um freie Tage kämpfen. Klicken Sie auf die Überschriften zum Weiterlesen...
Larissa wird zum Einzelkind: Meine Eltern brauchen Beschäftigung

Nach meiner letzten Prüfung ging ich direkt in den Dönerladen: "Einen großen Döner mit allem und ein bisschen scharf." Erst als ich meinen Kugelschreiber gegen den Döner ausgetauscht hatte, wurde mir klar, dass die erste Runde Klausuren hinter mir liegt - ein gutes Gefühl.
Zugegeben: In meinem WG-Zimmer konnte ich erst im Tiefschlaf versinken, als ich die Lernblätter und Karteikarten wegsortiert hatte. Weggeschmissen wird nichts! Vielleicht brauche ich es ja noch…
Nach einem Abend im Kino und Bierkeller fuhr ich am nächsten Morgen mit einer Tasche voller Bücher für die Hausarbeit, die Reste aus dem Kühlschrank und jeder Menge Klamotten nach Hause. Erst dann bemerkte ich, dass ich meine Kleider im Laufe des Semesters schleichend in meine Tübinger Kommode einquartiert habe. Mein Schrank zu Hause: leer.
Mathe-Übungen und Lungenentzündung
Am meisten freute ich mich darauf, meine alten Freunde wieder zu sehen. Denn zu denen hatte ich im letzten halben Jahr zu wenig Kontakt. Schuld waren das neue Studentenleben, Unmengen Pflichtlektüre und Prüfungsstress. Leider haben meine Freunde kaum Zeit: Marie und Luise studieren Jura und quälen sich in den Ferien mit Fallbesprechungen, Tabea studiert BWL und ist mit Mathe-Übungen beschäftigt, Ina liegt mit Lungenentzündung im Krankenhaus, Katharina ist bei ihrem Freund in Köln, und Philipp macht seinen Master in Finnland.
Also beginne ich mich mit meiner Hausarbeit, lese Bücher und Zeitungen zum Thema Entwicklung des Kriegsbegriffs, Afghanistan-Einsatz und Merkmale des neuen Krieges. Nach zwei Wochen schicke ich das fertige Exemplar mit dem Titel "Der Afghanistan-Krieg - ein neuer Krieg?" ab und bringe die Bücher zurück. Geschafft! Endlich Freizeit.
Einzelkind auf Zeit
Doch im gleichen Moment steht meine Mutter in der Zimmertür und wedelt mit einem Prospekt aus dem Baumarkt. "Du brauchst unbedingt noch ein zweites Regal, ein Podest für den Drucker und einen Wäschekorb", sagt sie. "Schau mal: Hier gibt es Metall-Stühle und einen Tisch in lila für deinen Balkon..." Lila Stühle auf meinem grünen Balkon? Nein, danke!
Man merkt, dass meine Eltern seit dem Verschwinden ihrer Kinder unterfordert sind. Denn zwei Wochen vor meinem Umzug nach Tübingen ist meine kleine Schwester Julia für ein High-School-Jahr nach Amerika geflogen. Jetzt, in den Ferien, muss ich mich wohl mit der Rolle des Einzelkinds in der Familie abfinden. Das hat natürlich auch Vorteilte - aber nicht nur: So lädt meine Oma mich ständig zum Mittagessen ein. Wenn es mal Streit gibt, fehlt mir die schwesterliche Unterstützung und alles fixiert sich auf die Tochter, die in den Semesterferien endlich wieder zu Hause ist.
Es wird also Zeit, dass ich noch ein bisschen rumreise: Kurz vor Semesterbeginn geht's mit Rucksack, Isomatte, Schlafsack, Katharina und Moritz ins finnische Studentenwohnheim, um Philipp zu besuchen. Wenigstens die drei aus meiner früheren Schwimmtrainingsgruppe haben noch etwas Zeit für mich, und ich kann meine Ferien ganz ohne Einzelkind-Status und Uni-Stress im Norden genießen.
Marc macht eine Nachtschicht: Die Dozenten hatten uns gewarnt

Früher dachte ich, Studenten haben ohne Ende Ferien. Jetzt weiß ich: Das stimmt nicht so ganz. In meinen Semesterferien habe ich mich größtenteils mit der Uni beschäftigt. Ich musste eine mündliche Prüfung vorbereiten und eine Hausarbeit schreiben.
Das klingt nicht schlimm und ich weiß, dass wir Erstsemester noch geschont wurden: In den kommenden Jahren werde ich Praktika absolvieren und wahrscheinlich fallen noch mehr Prüfungen in die "Ferien". Aber ich war schon jetzt gut ausgelastet. Das mag auch an mir liegen: Ich habe unterschätzt, wie lange es dauert, eine Hausarbeit zu erstellen. Diesen Fehler machen offenbar viele, die Dozenten hatten uns vorher gewarnt.
Ein Thema auswählen, passende Literatur finden und ein Konzept entwickeln braucht Zeit, das wusste ich. Aber das Schreiben dauerte viel länger, als ich gedacht hatte. Also erhöhte ich mein Arbeitspensum, arbeitete auch mal eine Nacht durch, je näher der Abgabetermin rückte. Letztlich wurde ich mit meiner ersten Hausarbeit über den Werturteilsstreit in der Politikwissenschaft rechtzeitig fertig.
Endlich raus aus dem Elf-Quadratmeter-Zimmer
Abgesehen vom gelegentlichen Zeitdruck sind die Semesterferien eine tolle Erfindung. Ich muss nicht zu festen Terminen in der Uni sein, kann selbst entscheiden, wann ich in der Marburger-Unibibliothek lerne. Ansonsten bin ich gern in meiner alten Heimat Kassel, denn Marburg ist in den Semesterferien relativ ausgestorben. Ich verdiene mit Englisch- und Französischnachhilfe etwas Geld an meiner alten Schule, genieße die Frühlingstage mit meinen Schildkröten im Garten, die gerade rechtzeitig aus ihrem Winterschaf erwacht sind, oder ich treffe Freunde, die in ganz Deutschland verstreut studieren, aber jetzt wieder in Kassel sind.
Nebenbei überlege ich, was ich im nächsten Semester belegen will und bastele an meinem neuen Stundenplan. Ich kann meine Seminare nach verschiedenen Schwerpunkten auswählen, außerdem möchte ich noch ein Nebenfach belegen, um andere Themen kennen zu lernen. Was genau, habe ich noch nicht entschieden, es gibt so viele interessante Fächer.
Direkt nach Ostern gehen die Vorlesungen wieder los. Dann bin ich offiziell kein Ersti mehr. Ich fühle mich ohnehin schon lange nicht mehr wie ein Neuling, dafür war ich viel zu schnell im Unileben drin. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich schnell einzufinden, weil von Anfang an viel verlangt wurde.
Fabienne ist neidisch: Ich hätte mit dem Studium noch warten sollen
Wobei ich mich doch noch etwas umgewöhnen muss: Mit halbjähriger Verspätung kann ich jetzt in meinem Wohnheim ein Appartement mit Bad und Küchenzeile beziehen. Endlich habe ich mehr Platz als in meinem alten Zimmer, das nur elf Quadratmeter groß war. Während das voll möbliert war, muss ich mein neues zu Hause noch einrichten. Damit steht mir das noch bevor, was andere Erstis schon längst hinter sich haben. Mein Bruder Steffen wird mir helfen, Möbel nach Marburg zu bringen. Für den Rest der Ferien bleibt mir also noch einiges zu tun.

Zwanzig Minuten rutschte ich nervös auf meinem Stuhl hin und her, während mich mein Professor in systematischer Theologie prüfte. Die Gliederung zu meinem Prüfungsthema "Kann man heute noch an Gott glauben - und wenn ja, wie?" hat er gleich am Anfang verworfen. Davor hatten mich ältere Studenten schon gewarnt.
Letztlich bekam eine zwar gute Note, aber ich sei noch zu journalistisch an die Sache herangegangen, sagte mein Prof. Die Studien und Statistiken, die ich für meine Argumentation aufgeführt habe, seien ja schön und gut, aber in der Theologie eben noch lange nicht alles: Meine eigenen theologischen Standpunkte seien noch nicht gefestigt genug, sagte er - und könnte Recht haben.
Dann war sie vorbei, meine letzte Prüfung im ersten Semester und ich hatte offiziell Semesterferien - ähm, vorlesungsfreie Zeit.
Meine Ferien bestehen aus Seminaren
Als Kind habe ich Kalenderblätter bis zu den nächsten Ferien gezählt, genoss jeden Tag, ohne an die Schule zu denken. Jetzt ist das irgendwie anders. Seit diesem Jahr bin ich Stipendiatin am Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp), dort werde ich neben dem Studium zur Journalistin ausgebildet. Konkret heißt das: In den nächsten drei Jahren habe ich in der vorlesungsfreien Zeit Seminare und Praktika, dazu kommen übers Jahr verteilt mehrere Wochenendseminare.
Meine freie Zeit vor dem Grundkurs, wollte ich eigentlich in meinen Führerschein investieren. Deswegen nervte ich meinen Fahrlehrer gewaltig. Ihm gefällt mein Fahrstil allerdings immer noch nicht. Katastrophal, sagt er genaugenommen. Letztlich gab es ohnehin keinen freien Prüfungstermin, ich werde es im nächsten Semester wieder versuchen. Meine kleine Schwester lacht mich deswegen aus: Sie hat ihren Führerschein vor ein paar Wochen gemacht - mit 17.
Zwei Tage vor dem Grundkurs besuchte ich eine Freundin an der Ostsee, die ich mal auf einer Balkanreise kennengelernt habe. Sie hat wie ich im vergangenen Jahr Abi gemacht, lässt sich mit dem Studium aber Zeit. Zwei Praktika hat sie seither absolviert und bald geht sie für eine Weile nach Spanien, um die Sprache zu lernen.
Ich fühle mich wieder wie ein Ersti
Irgendwie beneide ich sie und all die anderen, deren Blogeinträge und Rundmails von kuriosen Essgewohnheiten in China handeln, von traditionellen Tänzen in Afrika oder Roadtrips durch Amerika. Ich klicke mich am Laptop durch ihre Fotoalben und bereue es, so schnell mit dem Studium angefangen zu haben. Denn so viel Zeit und so viele Möglichkeiten wie nach dem Abi habe ich wohl nie wieder.
Von der Ostsee fuhr ich direkt nach München zum Grundkurs. Vier Wochen Journalismus. Vier Wochen mit meinen Mitstipendiaten. Unter der Woche Reportage, Presserecht und Redaktionsbesuche, am Wochenende Wandern, Tatort schauen und Feiern.
In der letzten Woche des Grundkurses stelle ich mich langsam auf das zweite Semester ein. Auch wenn ich dem viel entspannter entgegensehe als dem ersten, fühle ich mich beim Zusammenstellen vom Stundenplan wieder wie ein Ersti: Welche Seminare brauche ich jetzt? Reicht das alles mit den Credits? Anfang April geht es los. Ich werde wieder zwischen Studium und Nebenjob hin und her hetzen, neidisch die Fotoalben der Weltenbummler durchklicken und kurz vor den Prüfungen prokrastinieren. Darauf freue ich mich aber auch irgendwie.