Sex-Askese Was Studenten an der Keuschheit schick finden

Daniel Weber übt sich in Askese: Schon als Teenager hat sich der BWL-Student verpflichtet, dass Sex bis zur Hochzeit tabu bleibt. Damit steht der 22-Jährige nicht allein - unter dem Motto "Wahre Liebe wartet" formiert sich in Deutschland nach amerikanischem Vorbild eine christlich-keusche Bewegung.
Von Manuel J. Hartung

Daniel Weber wartet. Darauf, dass ihm irgendwann einmal die große Liebe über den Weg läuft. Auf die Frau, mit der er sein ganzes Leben verbringen will. Und mit der er auf keinen Fall vor der Hochzeit schläft. Der 22-Jährige hat sich vor sechs Jahren festgelegt - ganz formell. Weber füllte eine Postkarte aus und unterschrieb: "Durch die Gnade Gottes verpflichte ich mich ab heute vor Gott, mir selbst, meiner Familie, meinen Freunden und meinem zukünftigen Ehepartner, bis zum Tag meiner Heirat sexuell rein zu bleiben."

Der Mannheimer BWL-Student betreibt keinen "safer sex", sondern "safest sex" - also "no sex". Seine Devise lautet: "Wahre Liebe wartet." Aus den USA stammt die Idee, eine Privatsache in die Öffentlichkeit zu zerren, einen Institutionsrahmen darum zu zimmern, gar eine Bewegung zu formen.

In Deutschland hat die Aktion mittlerweile 10.000 Anhänger, drei Millionen sind es weltweit. Die meisten Sexabstinenzler sind bekennende Christen. Auch Daniel Weber geht jeden Sonntag in den Gottesdienst einer Freikirche, hat sich in der "Jungschar" engagiert. "Ich bin absolut gläubig", sagt er.

Enthaltsam ohne intime Erfahrungen

Doch Weber passt nicht ins Klischee eines verklemmten Zwangsasketen, der lange auf den richtigen Partner warten muss, weil sich ohnehin niemand für ihn interessiert. Seine Haare sind modisch geschnitten, die Klamotten sportlich, beim Reden sausen immer wieder seine Hände durch die Luft. Bevor er eine Frage beantwortet, neigt er leicht den Kopf und lächelt.

Mit 14 oder 15 merkte Daniel Weber, dass er anders sein wollte als die anderen. Verliebtsein, das war nichts für ihn. "Meine Freunde waren mal auf Wolke sieben, dann zutiefst betrübt, diesen Stress wollte ich mir nicht antun!" Dass Beziehungen auf Partys anfingen, sich Schulkameraden mit ihren Eroberungen brüsteten, es ihnen "nur um das Eine" ging - das widerte Weber an. Er wollte Beziehungen einen anderen Stellenwert geben. "Es liegt doch ein Fehler im System, wenn ich mit 14 der einen sage, dass ich sie liebe, mit 15 der Nächsten", sagt er.

Dann entdeckte der junge Christ die Aktion "Wahre Liebe wartet" (WLW) und unterschrieb die Enthaltsamkeitserklärung - ohne dass er je intime Kontakte hatte: "Man muss nicht jede Erfahrung selbst machen." Die "entscheidenden Dinge" sollten ausschließlich in der Ehe ihren Platz finden.

"Sex ist eine super Sache"

Bei den Keuschheitsbewegten fühlt sich der angehende Betriebswirt gut aufgehoben. Bis zur Hochzeit jungfräulich zu bleiben, sei ein Mehr an Freiheit. Etwas Besonderes will er sich aufheben, es nicht "einfach so wegwerfen": "Sex ist eine super Sache, aber erst in der Ehe." Die Mehrheit der deutschen Jugendlichen sieht es anders: Bei der "Globaluntersuchung 2001" ermittelte der Kondomherstellers Durex kürzlich ein Sex-Einstiegsalter von 16,6 Jahren; jeder Deutsche geht im Schnitt mit acht Sexualpartnern durchs Leben.

Daniel Weber indes setzt sich selbst Grenzen: "Wenn jemand eine Diät macht, geht er doch auch nicht in die Pizzeria." Filme mit Sexszenen sieht er sich gar nicht erst an. "Eine schwarze Liste habe ich nicht, aber ich muss auch nicht austesten, wie weit ich gehen kann, bis es kritisch wird."

In einer Reklamebroschüre verkündet die WLW-Bewegung in flottem Layout Bibelsprüche ("Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn"), gibt wohlmeinende Tipps vom "Dr. Winter Team" weiter - und propagiert erzkonservative Rollenbilder. So wirbt eine Kurzgeschichte für die Jungfräulichkeit der Frau mit den Worten: "Dann achtet der Mann sie, und sie hat eine ganz andere Stellung im Haus."

Tipps vom "Dr. Winter Team"

Auch das klassische Handanhalten vor der Hochzeit wird gepriesen: Direktor Paul darf schließlich die Sekretärin mit dem niedlichen Namen Josefinchen vor den Altar führen - aber nicht, weil die beiden sich lange schon lieben, sondern weil Paul ein aufrechter Mann mit richtigem Glauben und gesicherter Lebensstellung ist.

Mit den "Sieben Lügen über die Liebe" rückt die WLW-Bewegung ihre Kritik an der Sexualisierung der Welt sogar in einen bizarren Zusammenhang mit Hitlers Rassenwahn und der südafrikanischen Apartheidsideologie. "Das waren doch auch Lügen, die alle nicht wahrer wurden, weil viele Menschen daran geglaubt haben", verteidigt Daniel Weber die Broschüre.

Als rückschrittlich empfindet er "Wahre Liebe wartet" keineswegs: "Wir sind jung, dynamisch und progressiv und lassen uns nicht hinter Kirchenmauern abschieben", meint er. Vielleicht findet er auch seine erste Freundin in der Bewegung. Schließlich wünscht er sich eine gemeinsame Wertebasis. Unter Zeitdruck setzt sich Weber bei der Brautschau nicht. "Ich habe keine Mangelerscheinungen und auch keinen Nachholbedarf." Sex sei ohnehin "ein überbewertetes Detail" in einer Beziehung, findet Daniel: "Meine Frau und ich werden wesentlich länger miteinander leben als miteinander schlafen müssen."

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