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"Save the Date"-Projekt von Mischa Badasyan: "Mein Fetisch ist, heterosexuelle Männer rumzukriegen"

Foto: Nils Stelte

Sex-Projekt von Künstler Mischa Badasyan 365 Tage, 365 Männer

Ein Jahr lang hat der homosexuelle Künstler und Student Mischa Badasyan, 27, jeden Tag mit einem anderen Mann geschlafen - darunter Alte, Heteros und HIV-Positive. Ein Gespräch über schöne Dates, den Berliner Straßenstrich und tiefe Einsamkeit.

SPIEGEL ONLINE: Du hast im vergangenen Jahr mit 365 Männern geschlafen, jeden Tag mit einem anderen. Diese Woche war dein letztes Date, wie war's?

Mischa Badasyan: Ehrlich gesagt war es keine so schöne Erfahrung. Es war ein Freund von mir und das Date schon lange verabredet, er wollte unbedingt der Letzte sein und meinte: Egal was kommt, selbst wenn du dich über das Jahr mit HIV ansteckst, wir machen das. Das hat mir Hoffnung auf Nähe gegeben. Er hat mich dann mit einem Schild empfangen, darauf stand: "Ziel erreicht!" Wir haben zusammen Eis gegessen und uns unterhalten. Aber dann funktionierte es körperlich einfach nicht.

SPIEGEL ONLINE: Du hast dich jeden Tag auf einen Neuen eingelassen. Fandest du alle Männer attraktiv?

Badasyan: Ne, 80 Prozent mochte ich gar nicht.

Zur Person
Foto: Nils Stelte

Mischa Badasyan, Jahrgang 1988, ist Armenier, in Russland geboren und kam mit 20 Jahren nach Deutschland. Der Student der Kulturwissenschaften ist auch Performancekünstler. Für sein Projekt "Save the Date" , bei dem es um Einsamkeit geht, hat Badasyan ein Jahr lang jeden Tag mit einem anderen Mann geschlafen - nur mit Kondom natürlich.

SPIEGEL ONLINE: Warum hast du es trotzdem durchgezogen?

Badasyan: Ich mache ja schon etwas länger Performance-Kunst, hatte aber immer nur politische Botschaften oder das Ziel, die Gesellschaft zu kritisieren. Im April vergangenen Jahres habe ich in Mailand eine Künstlerin kennengelernt, die aus Enttäuschung über ihre gescheiterte Beziehung 107 Frauen gebeten hat, Briefe an den Ex-Freund der Künstlerin zu schreiben. Daraus wurde eine tolle, persönliche Installation, die mich ermutigt hat, auch ein sehr privates Projekt zu starten. Vor einem Jahr ging es dann mit "Save the Date" los. Vorher habe ich mich natürlich auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Die Regeln für dein Projekt waren: Kein Kerl zweimal, und bei jedem Date soll ein sexueller Akt stattfinden. Was wolltest du damit bewirken?

Badasyan: Es gibt eine Theorie, dass Menschen in Städten einsamer sind. Ich habe diese Erfahrung selbst gemacht: Als ich nach Deutschland kam, dachte ich, ich könnte endlich meine Sexualität offen ausleben, eine Beziehung führen, mich mit meinem Partner vielleicht sogar um Kinder kümmern. Ich habe echt viele Männer kennengelernt, aber etwas Ernstes wurde leider nie daraus. In meinem Projekt habe ich diese Einsamkeit auf die Spitze getrieben. Dabei war es für mich wichitg, mit möglichst unterschiedlichen Menschen Sex zu haben. Ich hatte wesentlich ältere Männer, Flüchtlinge, Heteros.

SPIEGEL ONLINE: Heteros?

Badasyan: Ja. Heterosexuelle Männer rumzukriegen, ist mein kleiner Fetisch. Ich war zum Beispiel viel am Strich an der Kurfürstenstraße in Berlin. Ist ein Mann unbefriedigt zurückgeblieben, habe ich mich angeboten. Hat natürlich nicht immer geklappt, überraschend oft aber schon. Oh, und ich hatte mal etwas mit einem transsexuellen Mann aus Frankreich, das war auch sehr interessant.

SPIEGEL ONLINE: Wolltest du Einsamkeit oder Nähe spüren?

Badasyan: Anfangs habe ich noch versucht, möglichst viel Nähe herzustellen: Ich wollte die Männer in der kurzen Zeit wirklich kennenlernen, aber auch etwas von mir selbst preisgeben. Sechs Stunden täglich saß ich am Computer, habe über alle möglichen Schwulen-Chats nach Dates gesucht, alle Details zu den Treffen in mein Tagebuch geschrieben, gebloggt, mir bei jedem Treffen einen Gegenstand zur Erinnerung mitgenommen und zusätzlich noch ein Videotagebuch geführt. Doch nach ein paar Monaten war ich völlig ausgebrannt, nur noch müde und erschöpft.

SPIEGEL ONLINE: Und dann?

Badasyan: Dann habe ich angefangen, die andere Person nur noch als Körper wahrzunehmen. Habe ich mal online niemanden gefunden oder hat mich ein Date versetzt, bin ich einfach in sogenannte "cruising areas" wie den Tiergarten und die Berliner Bars "Bull" oder das "Ficken 3000" gegangen. Auch da habe ich mir am Anfang noch Mühe gegeben, Komplimente gemacht, eine Unterhaltung aufgebaut. Irgendwann war ich aber wie alle anderen: Wortlos zunicken, zusammen um die Ecke gehen und die Sache klarmachen.

SPIEGEL ONLINE: Hattest du keine Angst vor Krankheiten?

Badasyan: Doch, und wie! HIV-Positive hatte ich eigentlich ausgeschlossen - auch um weitere Sex-Partner nicht zu gefährden. Nach dem Oralsex mit einem Kerl im Tiergarten offenbarte er mir aber, dass er positiv sei - und erklärte mir, warum das kaum problematisch ist: Seine Werte lagen unter der Nachweisgrenze. Das hat mir die Angst genommen und ich habe danach auch bewusst mit anderen HIV-Positiven geschlafen.

SPIEGEL ONLINE: Bist du abgestumpft?

Badasyan: Nein, ich bin durch das Projekt sogar eher verletzlicher geworden. Ein Kerl hat unseren Sex zum Beispiel abgebrochen: Er stieß mich von sich und meinte, er würde die ganze Zeit an jemand anderen denken. Ich habe mich selten so mies gefühlt und das erste Mal bei einem Date geweint. Das ist dann sogar noch öfter passiert, da ist richtig viel in mir aufgebrochen.

SPIEGEL ONLINE: Gab es auch richtig schöne Erlebnisse?

Badasyan: Ja, zum Beispiel mit einem Yoga-Lehrer aus Schottland. Wir wollten zur Einstimmung zusammen nackt Yoga machen, haben uns aber auf Anhieb so gut verstanden, dass wir dann gar nicht mehr viel Yoga gemacht haben. Ein anderes Mal hat mich jemand auf einer Veranstaltung angesprochen, wir haben uns dann verabredet und uns beim Date gegenseitig mit Farbe angemalt.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt alles sehr zeitintensiv und in jeder Hinsicht anstrengend. Bist du froh, dass es vorbei ist?

Badasyan: Ich hatte jetzt seit zwei Tagen keinen Sex mehr und ich glaube, es wird noch dauern, bis ich davon weg bin. Erst heute in der Bahn habe ich einen Typen gesehen und mich sofort gefragt, ob ich wohl mit ihm schlafen und die körperliche Nähe aushalten könnte. Aber eigentlich habe ich mir vorgenommen, erst mal mehr Sport zu machen. Ich habe nämlich jetzt mehr Angst vor körperlicher Ablehnung als noch vor dem Projekt.

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Foto: Corbis

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