Sozialerhebung So leben Deutschlands Studenten

Es ist ein Spiegelbild der jungen Generation: Die neue Sozialerhebung zeigt das Leben von Studenten in Deutschland - wie viel Zeit, Geld und welchen Bildungshintergrund sie haben. Dabei gibt es gute Nachrichten, aber auch sehr bedenkliche.
Hörsaal in Hildesheim: Die Sozialerhebung untersucht die Akademiker von morgen

Hörsaal in Hildesheim: Die Sozialerhebung untersucht die Akademiker von morgen

Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance / dpa

Nennen wir ihn Jan. In den Jahren 1988 und 1989 war das der beliebteste Vorname für Jungen in Deutschland. Jan ist so alt wie der deutsche Durchschnittsstudent: 24,4 Jahre. Und er ist männlich, so wie 52 Prozent der Studenten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jan Single ist, liegt bei 50 Prozent. Ob seine Eltern studiert haben oder nicht, lässt sich genau so schwer aus der Statistik lesen, wie sein Beziehungsstatus: 50/50 - die Hälfte der heutigen Studenten haben Eltern mit einem akademischen Bildungsgrad, die andere Hälfte nicht.

Die Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks, die an diesem Mittwoch vorgestellt wird und SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist ein Spiegelbild der jungen Generation: 55 Prozent aller jungen Menschen eines Jahrgangs nehmen inzwischen ein Studium auf - so viele wie noch nie.

Ungefähr 2,5 Millionen Studenten waren im Wintersemester 2012/2013 immatrikuliert, das sind ebenfalls mehr als je zuvor. Im Sommersemester 2012 wurde die 20. Sozialerhebung  vom Institut für Hochschulstatistik (HIS) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durchgeführt, 15.128 Studenten wurden zu ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage befragt.

Die repräsentativen Ergebnisse zeigen, wie sich Bildungsreformen, wirtschaftliche Bedingungen und gesellschaftliche Veränderungen auf die Studiensituation auswirken. Sie zeigen, wie Studenten heute leben, lieben, wohnen, studieren und arbeiten, woher sie ihr Geld bekommen und wofür sie es ausgeben. Wenn es um die Finanzen geht, stellt das Studentenwerk die sogenannten Normalstudierenden in den Fokus: Studenten, die im Erststudium sind, nicht bei den Eltern wohnen und nicht verheiratet sind. Diese enger gefasste Gruppe umfasst knapp 1,5 Millionen Studenten, die Zahlen zu den Einkünften beziehen sich nur auf diese.

Die wichtigsten Merkmale der heutigen Studenten:

  • Beliebteste Fächer: Der größte Anteil der Studenten (22 Prozent) sind in den Ingenieurwissenschaften eingeschrieben - seit 1997 stellen sie zum ersten Mal wieder die größte Fächergruppe. An zweiter Stelle stehen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (21 Prozent), Mathematik und Naturwissenschaften stehen mit 20 Prozent an dritter Stelle. Betrachtet man hingegen die einzelnen Fächer, bleibt BWL Spitzenreiter.

Foto: DSW/ HIS-HF

    • Arbeitsaufwand und Belastung: 35 Stunden pro Woche investieren Studenten nach eigenen Angaben durchschnittlich in ihr Studium: 18 Stunden für Lehrveranstaltungen, 17 Stunden für das Selbststudium. Insgesamt ist das eine Stunde weniger als im Jahr 2009. Wer neben dem Studium jobbt, verbringt circa 33 Stunden mit dem Studium, hat aber eine wöchentliche Gesamtbelastung von 46 Stunden. Wer nicht jobbt, studiert hingegen mehr: 39 Stunden. Die durchschnittliche Gesamtarbeitszeit von Studenten (Studium und Job) liegt derzeit bei 42 Stunden pro Woche - das sind zwei Stunden weniger als 2009. So empfinden heute auch mehr Studenten (44 Prozent) ihre Zeitbelastung als optimal (2009: 38 Prozent). Die Schwierigkeit an diesen Zahlen: Studenten sagen rückblickend, wie viele Stunden sie wofür aufgewendet haben. Einige Bildungsforscher kamen mit Echtzeitmessungen für einzelne Studienfächer auf deutlich niedrigere Arbeitsstunden.

    • Partnerschaft: Gut die Hälfte leben in einer festen Beziehung, darunter mehr Frauen als Männer. 43 Prozent sind Single, darunter mehr Männer als Frauen. 6 Prozent sind verheiratet; 5 Prozent haben ein Kind.

    • Herkunft und Bildung der Eltern: Fast jeder vierte Student (23 Prozent) hat einen Migrationshintergrund. Obwohl Kinder aus Akademikerfamilien mit höherer Wahrscheinlichkeit, nämlich zu 77 Prozent, ein Studium beginnen als Kinder aus Arbeiterfamilien (23 Prozent), sind beide Gruppen an der Hochschule gleich groß - was auch daran liegt, dass Akademiker in der Gesamtbevölkerung eine eher kleinere Gruppe mit tendenziell weniger Nachwuchs darstellen. Die Sozialerhebung unterscheidet bei Studenten vier "Bildungsherkunftsgruppen": "niedrig" (höchstens ein Elternteil hat eine nicht-akademische Berufsausbildung); "mittel" (beide Eltern haben eine nicht-akademische Berufsausbildung); "gehoben" (Vater oder Mutter ist Akademiker); "hoch" (beide Elternteile sind Akademiker). 22 Prozent der Studenten haben einen "hohen" Bildungshintergrund - das sind deutlich mehr als noch 1991 (12 Prozent). Gleichzeitig sank der Anteil der Studenten mit "niedrigem" Bildungshintergrund von 21 Prozent (1991) auf 9 Prozent (2012) - ein Grund hierfür ist, dass der Ausbildungsgrad in der Bevölkerung insgesamt steigt.

    • Geld: Der Durchschnittsstudent verfügt über 864 Euro im Monat. 87 Prozent gaben an, von den Eltern mit durchschnittlich 476 Euro unterstützt zu werden. Knapp zwei Drittel arbeiten neben dem Studium und verdienen damit durchschnittlich 323 Euro im Monat. Fast jeder Dritte bezieht Bafög (durchschnittlich 443 Euro), 6 Prozent der Studenten haben einen Kredit aufgenommen. Rund jeder Zweite arbeitet neben dem Studium, weil er das Geld zum Leben braucht. Die meisten Studenten gaben an, dass sie jobben, um sich mehr leisten zu können, andere wollen unabhängig von den Eltern sein. Egal, ob Studenten über viel oder wenig Geld verfügen, das meiste Geld geht für die Miete drauf (298 Euro), für Essen (165 Euro) und für Verkehrsmittel/Auto (82 Euro).

Foto: DSW/ HIS-HF

    • Studienunterbrechung: Immer weniger setzen ihr Studium aus. Die Unterbrecherquote verringerte sich von zuletzt 11 Prozent auf 9 Prozent im Sommersemester 2012. Gründe gibt es viele: Krankheit und Zweifel am Studium sind die häufigsten. Möglicherweise sind die kürzeren Regelstudienzeiten der gestuften Studiengänge ein Grund für diesen Rückgang.

    • Auslandsaufenthalte: Fast jeder dritte Student geht während des Studiums ins Ausland. Dieser Anteil liegt seit Jahren auf ähnlichem Niveau. Allerdings steigt neuerdings der Anteil derjenigen, die in einem fremden Land studieren, während weniger junge Leute für ein Praktikum oder einen Sprachkurs ins Ausland gehen. Die häufigsten Ziele deutscher Studenten sind: Großbritannien, USA, Spanien, Frankreich und die Schweiz.

    • Wohnen: Die größte Gruppe wohnt allein oder mit dem Partner in einer eigenen Wohnung (37 Prozent). Wohngemeinschaften sind mit 29 Prozent die am zweitstärksten verbreitete Wohnform. Fast jeder Vierte lebt bei den Eltern oder anderen Verwandten, jeder Zehnte in einem Wohnheim - so wenig Wohnheimbewohner gab es seit 1991 nicht, die Plätze sind nämlich nicht proportional zu den Studentenzahlen angestiegen.

Auffällig an den aktuellen Zahlen ist vor allem: Ob und wie jemand studiert, hängt nach wie vor von der Herkunft ab. In puncto Auslandsaufenthalt schrieben die Forscher diesmal sogar: "Die Herkunftsunterschiede sind wieder stärker ausgeprägt als noch 2009." Es geht also weiterhin ungerecht zu, in der deutschen Hochschullandschaft.

Wäre Durchschnittsstudent Jan ein Kind von Akademikern, würde er mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit im Ausland studieren als ein Kommilitone mit niedriger Bildungsherkunft. Tatsächlich empfinden zwei Drittel derjenigen, die nicht ins Ausland gehen, die finanzielle Mehrbelastung als das größte Hindernis. Jan mit hoher Bildungsherkunft würde wahrscheinlich an einer Universität studieren, sein Kommilitone an einer Fachhochschule.

Jan würde von seinen Eltern finanziell unterstützt, während sein Sitznachbar mit niedrigem Bildungshintergrund Bafög beziehen würde oder einen Kredit aufgenommen hätte. Jan hätte trotzdem eine größere Chance auf ein Stipendium. Er würde auch weniger nebenher arbeiten - und wenn, dann würde er eher keinen Aushilfsjob in einer Fabrik oder einer Kneipe haben, sondern einen prestigeträchtigen Nebenjob als studentische Hilfskraft. Da ist es kein Wunder, dass er sich weniger Sorgen um die Finanzierungssicherheit seines Studiums macht, als das Kind einer Arbeiterfamilie. Jan hätte also ein angenehmeres Studium.

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