Studenten als Sterbebegleiter Auf den letzten Metern

"Es gibt viel zu wenig Platz für Trauer"
Gregory Heuser, 24, studiert Psychologie an der Universität Bonn und kümmert sich im Hospizverein Bonn Lighthouse seit September 2012 in erster Linie um junge Krebs- und Aidskranke
"Meine Schwester war erst 25 Jahre alt, als sie starb. Sie litt an einer sehr seltenen Blutkrankheit, und als 14-Jähriger konnte ich damals nur schwer mit meiner Trauer umgehen. Auf der Beerdigung fragten mich dann einige Bekannte, wie es mir denn gehe. Und ich dachte: Was für eine unangebrachte Frage - wie soll es mir an diesem Tag schon gehen? Etwa gut? Andere konnten gar nicht mit mir sprechen, mieden mich sogar. Diese Hilflosigkeit im Umgang mit dem Tod und mit Trauernden habe ich nie vergessen, und das ist auch der Grund dafür, warum ich mich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden ließ.
In meinem Vorbereitungskursus waren übrigens 80 Prozent der Teilnehmer weiblich. Ich finde es schade, dass sich in unserem Bereich so wenige Männer engagieren. Vielleicht liegt das ja daran, dass sie glauben, es passe nicht zu ihrer Rolle, sehr viel Empathie zu zeigen.

Kleine Kinder brauchen, lieben, ja, vergöttern Mama und Papa. Manchmal stirbt ein Elternteil viel zu früh. Wie gehen Kinder damit um? Und was hilft ihnen in ihrer Trauer? mehr...
Ich arbeite nun als Sterbebegleiter auf einer Station der Bonner Uni-Klinik, auf der auch viele junge Krebs- und Aidskranke behandelt werden. Jede Woche biete ich gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen eine Art Kaffeeklatsch für Sterbenskranke und ihre Angehörigen an; das wird gut angenommen. Man merkt, dass viele Menschen, die bald von uns gehen oder Angehörige verlieren werden, im Grunde ein Bedürfnis nach Gesprächen haben.
Generell gibt es in unserer heutigen Zeit nämlich viel zu wenig Platz für Trauer. Das erlebe ich immer wieder, auch in unserem Café. Kürzlich weinte eine Frau bitterlich, weil ihr Mann sehr krank war. Ihre Tochter sagte, sie solle damit aufhören. Ich fand das verstörend: Die Trauer soll einfach versteckt werden, niemand soll sie sehen. Ich will für Sterbende und ihre Angehörigen da sein, ihnen zuhören und Mut zusprechen. Dabei sollte man den Tod nicht romantisieren. Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass ein Mensch am Ende des Lebens alle Konflikte hinter sich lässt und vollkommen gelöst einschläft - das ist nach meiner Erfahrung leider oft nicht der Fall."

"Ich glaube, dass wir alle noch einmal zur Welt kommen"
Lisa Sichert, 22, studiert Deutsch als Fremdsprache und Pädagogik an der Universität Jena. Sie hilft seit September 2010 bei den Sozialen Diensten der Johanniter in Weimar und will sich auch nach der Uni weiter um Sterbende kümmern
"Seit ich 18 bin, engagiere ich mich ehrenamtlich als Sterbebegleiterin. Die Koordinatorin des ambulanten Hospizdienstes der Weimarer Johanniter ist auf mich aufmerksam geworden, als ich mich im Krankenhaus um meine krebskranke Mutter gekümmert habe, die inzwischen glücklicherweise wieder gesund ist. Die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, auch anderen schwerkranken Menschen zu helfen, habe ich sofort mit Ja beantwortet.
Junge Hospizhelfer sind rar, das Durchschnittsalter der Trauerbegleiter liegt bei etwa 50 Jahren. Dabei brauchen sterbende Kinder und Jugendliche oft eine jüngere Vertrauensperson. Mein Plan ist es, in Weimar nach meinem Studium einen ambulanten Hospizdienst für Kinder einzurichten, denn dieses Angebot gibt es hier noch nicht.

Ausgabe 3/2014
Oh!
Die verblüffenden Erkenntnisse eines Kölner Fußball-Professors
Die erste Patientin, die ich betreut habe, war allerdings eine Dame Ende siebzig, die im Altenheim lag und zu niemandem ein Wort sagte. Ich besuchte sie mit meiner Mentorin, aber die Frau schwieg weiter. Erst als ich mit ihr allein war, redete sie. Einen Monat lang bin ich mehrmals in der Woche zu ihr gefahren, sie wollte vor allen Dingen über ungelöste Konflikte sprechen, sich ihre Sorgen von der Seele reden. Das ist durchaus typisch, viele Menschen haben nach meiner Erfahrung am Ende des Lebens den Wunsch, zum Beispiel alte Familienprobleme noch irgendwie zu lösen. Die alte Dame nahm mir jedes Mal das Versprechen ab, dass ich wiederkomme. Leider ist sie dann genau in einer Woche gestorben, in der ich krank war und sie einmal nicht besuchen konnte.
Es war schwer für mich zu akzeptieren, dass ihr Tod nichts damit zu tun hatte, dass ich nicht da war. Meine Mentorin sagte zu mir: Dass jemand stirbt - ganz gleich, ob du da bist oder nicht -, kannst du nicht beeinflussen. Das ist das Erste, was du lernen musst, wenn du diese Arbeit machen willst.
Was mir persönlich in solchen Situationen hilft, ist der Gedanke, dass es nach dem Tod irgendwie noch weitergeht. Ich bin evangelisch getauft, aber nicht religiös in dem Sinne, dass ich jeden Sonntag in die Kirche gehe. Ich glaube aber, dass wir alle noch einmal zur Welt kommen."

"Es ist schwer geworden, sich mit mir zu streiten"
Jasmin Schneider, 23, studiert Psychologie an der Universität Koblenz-Landau. Seit Januar 2013 engagiert sie sich als Sterbebegleiterin beim Ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienst Landau/Südliche Weinstraße
"'Was, in deinem Alter?' Diesen Satz höre ich oft, wenn ich erzähle, dass ich als Sterbebegleiterin schwerkranke Menschen zu Hause besuche. Dabei gehen Krankheit, Sterben und Tod uns doch alle an - egal, wie alt man ist. Man braucht sich nur an der Uni umzuhören, dann weiß man, dass auch viele Kommilitonen schon Berührungspunkte mit diesen Themen haben.
Mit einem Engagement für Sterbende lässt es sich sehr gut leben, vielleicht sogar besser: Seit ich Schwerkranke betreue, lebe ich bewusster. Ich spaziere zum Beispiel nicht mehr einfach so durch einen Wald. Ich versuche, die Färbung der Blätter, die Gerüche und alles andere genau wahrzunehmen.
Seitdem ich ständig mit der Endlichkeit des eigenen Daseins befasst bin, ist es auch schwer geworden, sich mit mir zu streiten. Viele Dinge haben sich für mich relativiert. In der Uni regen sich manche Kommilitonen über solche Dinge wie ein fehlendes Blatt in der Kopiervorlage auf. Das ist es mir einfach nicht wert, dafür ist das Leben zu wertvoll. Insofern ist mein Ehrenamt auch eine große Bereicherung für mein eigenes Leben.
Wenn ich eine neue Begleitung beginne, bin ich immer sehr aufgeregt - ganz besonders dann, wenn ich das Zimmer des Patienten zum ersten Mal betrete. Mir geht es darum, die Lebensqualität auch auf den letzten Metern des Lebens zu verbessern und vielleicht für ein kleines bisschen Glück oder Ablenkung zu sorgen. Manchmal heißt das nur, besondere Pralinen zu besorgen oder das Lieblingsgedicht vorzulesen. Für die meisten Todkranken sind am Ende ihres Lebens eher die kleinen Dinge wichtig, große Wünsche à la Hollywood musste ich noch nicht erfüllen. Bis jetzt wollte zumindest noch niemand mit mir einen Roadtrip auf dem Motorrad machen. Aber vielleicht kommt das ja noch.
Ich will übrigens nichts beschönigen: Manchmal muss ich mit den Sterbenden fürchterliche Todesangst aushalten. Ich versuche, mit den Betroffenen über ihre Angst zu sprechen, ohne sie zu bewerten. Schließlich weiß ich ja auch nicht, wohin es nach dem Sterben geht."
Aufgezeichnet von Rebecca Erken