Fördergelder Nur Streber bekommen Stipendien? Falsch

Stipendien sind doch nur was für Überflieger, glauben viele Studenten und bewerben sich nicht. Dabei sehnen sich manche Stiftungen nach Bewerbern. Tausende Euro Fördergelder bleiben ungenutzt.
Von Maren Jensen
Studenten im Hörsaal

Studenten im Hörsaal

Foto: Peter Kneffel/ picture alliance / Peter Kneffel/dpa

Helene Gisy wurde 101 Jahre alt, ihre Freunde nannten sie die "Schuhkönigin von Hannover". Mit ihrem Mann hatte sie in der Nachkriegszeit ein Schuhkaufhaus aufgebaut. Das Geschäft florierte, die beiden wurden reich. Dass der Großteil ihres Vermögens in ihre kurz vor ihrem Tod gegründete Helene-und-Gerhard-Gisy-Stiftung gegangen ist, wissen nur wenige. Dass die Stiftung Stipendien an Abiturienten und Studierende vergibt, noch weniger.

Rund 40 Stipendiaten hat die Stiftung derzeit, jeder wird mit 250 Euro im Monat gefördert. Für Auslandssemester gibt es bis zu 3000 Euro. "Fünf bis zehn Stipendien mehr im Jahr wären möglich", sagt Andreas Pfeifer, Vorstandsvorsitzender der Helene-und-Gerhard-Gisy-Stiftung. Aber: Es bewirbt sich kaum jemand. Dabei sind die Voraussetzungen gar nicht so ausgefallen: Die Stiftung nennt auf ihrer Seite "finanzielle Bedürftigkeit", soziales Engagement und "eine auffallende Begabung für einen Fachbereich".

Helene Gisy wollte ursprünglich nur Studierende aus Hannover unterstützen, davon ist die Stiftung schon abgerückt. "Im letzten Jahr haben wir auch Studenten aus Berlin und Rostock gefördert", sagt Pfeifer. Teilweise spreche er sogar potenzielle Kandidaten gezielt an.

Mehr Geld als Bewerber

Tausende Euro an Fördergeldern bleiben jedes Jahr in Deutschland ungenutzt, weil sich zu wenige junge Menschen bewerben. "Gerade kleine, unbekannte Stipendien mit sehr spezifischen Auswahlkriterien und Unternehmensstipendien werden häufig nicht ausgeschöpft", sagt Mira Maier, Gründerin der Plattform "My Stipendium". Allein in Deutschland gebe es mehr als 2500 potenzielle Geldgeber, die Studenten mit bis zu 1500 Euro monatlich fördern, ohne Rückzahlung. Und viele hätten deutlich mehr Geld als Bewerber.

Maier gründete die Webseite 2010 zusammen mit ihrem Partner Alex Gassner. Im vergangenen Jahr hat das soziale Start-up rund 1,3 Millionen Euro an Fördergeldern vermittelt, was etwa 370.000 Stipendien entspricht. Das klingt nach viel - aber im Durchschnitt haben sich sieben von zehn Studenten noch nie auf ein Stipendium beworben.

Dabei gilt: Dass Stipendien ausschließlich für hochbegabte Einser-Kandidaten sind, ist ein großer Irrtum. Vor allem Kinder von Nichtakademikern bewerben sich zu selten, ist Wolf Dermann von der Initiative "Arbeiterkind" überzeugt, die ebensolche Jugendliche beim Studienstart berät. Viele wüssten nicht, wie und wo man sich bewerben könne, sagt er.

Dabei gibt es viele Übersichten über Stipendien, zum Beispiel hier:

Noch immer gibt es in Deutschland keine Chancengleichheit: Kinder von Akademikern studieren dreimal häufiger als Kinder, deren Eltern nicht an einer Hochschule waren. Ähnlich sieht das Bild bei der Stipendienverteilung aus. Im Schnitt seien nur drei von zehn Stipendiaten Kinder von Nichtakademikern, sagt Dermann. Vor allem bei staatlichen Stipendien sei ihr Anteil noch deutlich niedriger. "Und das, obwohl Stipendien eigentlich dafür da sind, Menschen aus schwächeren Haushalten zu unterstützen."

Nach welchen Kriterien sie ihre Stipendien vergeben, können die Stiftungen selbst bestimmen - mit manchmal mehr als drei Dutzend Auswahlkriterien. Oftmals zählen gar nicht gute Noten, sondern Geburtsort, Beruf der Eltern oder sportliche Leistungen.

Die meisten Stipendien sind darauf ausgerichtet, Studenten über das gesamte Studium zu unterstützen. Bis zum vierten Semester sollte man sich also spätestens bewerben. Die Anmeldefristen der meisten Stiftungen sind im Juni oder Juli, bei einigen enden die Fristen auch erst im Januar. Und auch Promotionen, Hausarbeiten, Praktika oder Auslandsaufenthalte werden gefördert.

Die Auswahl der Stipendiaten erfolgt meist nach ähnlichen Regeln: Wer die ersten Unterlagen erfolgreich eingereicht und das Auswahlkomitee überzeugt hat, wird zu einem Auswahlgespräch eingeladen, manchmal kombiniert mit Allgemeinwissenstests oder Diskussionsrunden. Manchen Stiftungen reicht auch ein klassischer Lebenslauf als Bewerbung. In der Regel gilt: Je kleiner die Stiftung, desto geringer der Aufwand.

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