Stipendienprogramm Millionengeschenk rettet schwarz-gelbes Eliteprojekt

Bei diesem Angebot wurden die Länder schwach: Die Bundesregierung pumpt viele Extramillionen in das Nationale Stipendienprogramm und sichert sich so die Zustimmung im Bundesrat. Damit sich das Projekt überhaupt noch finanzieren lässt, hat die Koalition es heimlich zurechtgeschrumpft.
Hörsaal in Leipzig: Für einen bildungspolitischen Erfolg gibt die Bundesregierung alles

Hörsaal in Leipzig: Für einen bildungspolitischen Erfolg gibt die Bundesregierung alles

Foto: Jan Woitas/ picture-alliance/ ZB

Sind die deutschen Bundesländer käuflich? Die klassische Antwort lautet: Jeder ist doch käuflich. Es ist immer eine Sache des Preises.

Für das Nationale Stipendienprogramm liegt der Preis bei etwa 30 Millionen Euro jährlich. So viel Geld ist der Bundesregierung die Zustimmung der Länder wert, denn sie braucht dringend einen bildungspolitischen Erfolg - und wollte die letzte Chance nutzen: vor der Sommerpause und bevor sich die Mehrheiten im Bundesrat durch den nordrhein-westfälischen Regierungswechsel ändern.

Das höchst umstrittene Stipendienprogramm schien fast schon zerschellt an der Zurückweisung durch die Länder. Mit einer überdeutlichen Mehrheit von 15 zu 1 hatten sie sich im Finanzausschuss des Bundesrates dagegen ausgesprochen - lediglich Baden-Württemberg stimmte dafür. Selbst im Kulturausschuss votierten die Länder mit zehn zu sechs Stimmen dagegen. Noch am Donnerstag bekräftigten sie ihre mehrheitlich ablehnende Position und schienen entschlossen, das Programm in den Vermittlungsausschuss zu schicken - was praktisch das Scheitern bedeutet hätte.

Dann jedoch die verblüffende Volte: Angela Merkel beschloss, shoppen zu gehen. Auf ihrer Einkaufsliste für Freitag stand die Zustimmung der Länder zum Nationalen Stipendienprogramm. Also sprachen die Kanzlerin und Bundesbildungsministerin Annette Schavan mit den Ministerpräsidenten der Union, um ihnen ihr Einverständnis abzuringen.

Ein Geschenk, das die Länder nicht ablehnen mochten

Bei den langwierigen, quälenden Debatten über das Stipendienprogramm hatte die Frage, wie sinnvoll es überhaupt ist, zuletzt nur noch eine Nebenrolle gespielt. Sie wurde überlagert durch die Finanzierungsstreitigkeiten: Das Programm soll zügig gestartet und schrittweise ausgebaut werden, der Stipendiatenanteil unter Deutschlands Studenten von bisher knapp zwei auf zehn Prozent steigen. Am Ende sollen künftig zusätzlich bis zu 160.000 leistungsstarke Studenten mit monatlich 300 Euro unterstützt werden - unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Kosten des Programms soll zur Hälfte die Wirtschaft tragen, die andere Hälfte sollten Bund und Länder sich teilen.

Das war der ursprüngliche Plan. Doch die Länder wollten sich die zusätzlichen Kosten nicht aufhalsen lassen. Also bot die Bundesregierung im letzten Moment an, auch den Länderanteil für die Stipendien komplett übernehmen. Die Länder tragen nach diesem Modell lediglich die Verwaltungskosten, entscheiden aber gemeinsam mit Bund und der Wirtschaft über die Verteilung der Mittel.

Im nun gebilligten Gesetz steht noch, dass die Länder ein Viertel der Stipendienkosten tragen müssen. Indes sicherte Bildungsministerin Schavan den Ländern unmittelbar vor der Verabschiedung zu, dass der Bund diesen Anteil übernimmt - der Bund steht also bei den Ländern im Wort. Endgültig geklärt werden soll das durch eine Gesetzesänderung im Herbst.

Es war bereits die zweite fette Bildungspolitik-Überraschung in zwei Tagen: Am Donnerstag verkündete Bildungsministerin Schavan die Rettung der Uni Lübeck - mit höchst sonderbaren Tricks soll ein Institut umgetopft werden, damit der Bund Geld spendieren darf und das Lübecker Medizinstudium überlebt. Das strikte Regelwerk des Föderalismus sieht solche Hilfen nicht vor. Aber die Länder nehmen derzeit, was sie bekommen können.

Während das Stipendienprogramm nun Fahrt aufnimmt, wurde die geplante Bafög-Erhöhung ausgebremst. Um lediglich zwei Prozent sollte das Bafög zum Wintersemester steigen, auf höchstens 670 Euro monatlich, eine Art Inflationsausgleich. Und selbst das ist nun wieder völlig offen: Der Bundesrat verwies die Erhöhung in den Vermittlungsausschuss. Auch beim Bafög hatten die Länder darauf gedrängt, dass der Bund die vollen Kosten für die Erhöhung übernimmt, doch das lehnte die Bundesregierung ab - anders als beim Stipendienprogramm.

Wundersame Schrumpfung des Programms

Was der Stipendienregen kosten wird, darüber kursieren verwirrend unterschiedliche Zahlen. Zunächst war die Bundesregierung den Plänen des NRW-Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart gefolgt und hatte ein großvolumiges Programm angekündigt. Deutschlands Hochschulen verzeichnen rund zwei Millionen Studenten, von denen bisher nicht einmal zwei Prozent Stipendien erhalten, die meisten über die großen Begabtenförderungswerke von Parteien, Kirchen, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Insgesamt sollte der Stipendiatenanteil im Laufe der nächsten Jahre auf zehn Prozent steigen.

Das würde rund 160.000 neue Stipendiaten bedeuten, die monatlich je 300 Euro bekommen. Damit lägen die Gesamtkosten bei 576 Millionen Euro, der staatliche Anteil betrüge 288 Millionen Euro. Hinzu kommt aber noch das Büchergeld der bisherigen Stipendiaten, das von 80 auf ebenfalls 300 Euro monatlich erhöht werden soll.

Inzwischen hat sich die Bundesregierung offenbar von diesen Dimensionen heimlich verabschiedet und das Programm zurechtgeschrumpft. Im Gesetzentwurf für das Stipendienprogramm sieht die Bundesregierung 160 Millionen Bund- und Länder-Gesamtausgaben für das Jahr 2013 vor. Ein Blick auf die Zahlen in der Haushaltsaufstellung des Bundes, die SPIEGEL ONLINE vorliegt (Stand Mittwoch), ergibt für die kommenden Jahre aber ein völlig anderes Bild: Für 2011 plant die Regierung lediglich 10 Millionen Euro für das Programm vor; 2012 sind es 20 Millionen, 2013 und 2014 jeweils 30 Millionen Euro.

Durch die Einigung im Bundesrat würde sich der Bundesanteil jetzt verdoppeln. Heruntergerechnet auf die Zahl der Stipendiaten bedeutet das: Auch in drei Jahren können aus den neuen Töpfen lediglich rund 33.000 Stipendiaten gefördert werden. Statt von 160.000 zusätzlichen Stipendien geht die Bundesregierung jetzt nur noch von etwa einem Fünftel aus - sie hat die Kosten im Haushalt also schlicht gar nicht eingepreist.

Grünes Licht für Stipendien, Rot fürs Bafög

Damit ist der Scheinriese Stipendienprogramm auf wundersame Weise geschrumpft, ohne dass sich Bundesregierung oder Bundesbildungsministerium dazu öffentlich erklärt und von den ehrgeizigen Plänen verabschiedet hätten. Sie müssten gewaltig nachlegen, um auch nur in die Nähe der großen Pläne zu kommen. In Deutschland gebe es bisher noch keine echte Stipendienkultur, "wir hoffen, dass sie sich möglichst rasch entwickelt", sagt dazu ein Sprecher des Bundesbildungsministeriums SPIEGEL ONLINE. Am politischen Ziel, in großem Umfang neue Stipendien zu schaffen, halte man fest.

Viel hängt auch davon ab, ob die Wirtschaft überhaupt mitspielt. Unternehmen müssten reichlich Geld in den Sammelhut werfen, wenn die Hochschulen anklopfen. Die Signale dafür aus Nordrhein-Westfalen, wo das Programm bereits läuft, sind nicht sehr eindrucksvoll.

Unabhängig von der Finanzierung aber halten viele Kritiker das gesamte Programm für eine Fehlkonstruktion - weil es die Inzucht der Eliten fördere und nicht jene Studenten, die das Geld wirklich dringend bräuchten. Die Bundesregierung hatte diese Woche die Wahl: Sie konnte den Ländern offerieren, wenigstens eine kleine Bafög-Erhöhung zügig umzusetzen und einen höheren Anteil zu übernehmen. Oder sie konnte das Prestigeprojekt Stipendienprogramm mit großen Geldgeschenken beschleunigen.

Die schwarz-gelbe Regierung hat sich entschieden - Stipendien für die oberen zehn Prozent haben Vorrang, bedürftige Studenten aus ärmeren Familien müssen weiter warten. Denn ob und wann eine Bafög-Erhöhung kommt, ist völlig ungewiss.

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