Studenten mit Aufschieberitis Das hat doch noch Zeit ...

Noch einen Tag, eine Woche verplempert ohne eine einzige Zeile der Seminar- oder Examensarbeit geschrieben zu haben? Mit ein paar Tricks können Studenten den inneren Schweinehund überlisten. Bringt aber nicht viel, meint eine Berliner Schriftstellerin und preist fröhlichen Fatalismus.

Das Dokument auf dem Laptop will sich einfach nicht von selbst füllen. Das ist unerfreulich, denn eigentlich sollten dort, wo noch die Leere gähnt, in ein paar Wochen knapp 50 Seiten Bachelorarbeit stehen.

Aber anfangen? Muss das jetzt gleich sein? Es gibt doch so viele andere wichtige Dinge zu tun. Zum Beispiel Geschirr spülen, Fernsehen, Müll rausbringen - und die fiktiven Löcher wollen auch noch in die Luft gestarrt werden.

Dieses Grauen erwischt fast jeden Studenten einmal. Oder immer wieder. Und es hat einen Namen: Aufschieberitis, im Fachbegriff Prokrastination. Dagegen kämpfen ist meist zwecklos. Das meint zumindest Kathrin Passig, die Autorin eines Buches mit dem vielversprechenden Titel: "Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin".

Geschrieben hat die Berliner Journalistin und Schriftstellerin das Buch gemeinsam mit Sascha Lobo. Beide arbeiten im Netzwerk der "Zentralen Intelligenz Agentur" (ZIA) und verstehen sich als Teil der "digitalen Boheme". Dem Phänomen der Prokrastination begegnen sie mit einer Art fröhlichem Fatalismus und räumen ein, dass sie selbst den "schwarzen Gürtel im Verschieben" tragen.

Wie wär's mit einer Not-To-Do-Liste?

Das Buch ist Passig und Lobo dennoch gelungen - "aus Notwehr", wie sie in ihrem Prokrastination-Blog  schreiben: "Wir wollen den vielen Menschen eine Stimme sein, die zwischen den verhärteten Fronten der überfleißigen Arbeitstiere und der allesablehnenden Faulenzer leben." Keineswegs wollen sie indes "das Herumliegen, die Faulheit oder die Entschleunigung" preisen. Und warnen auch davor, Prokrastination und Depression zu verwechseln.

Als "Wohlfühl-Kunstgriff" durchaus empfehlenswert finden die Autoren aber zum Beispiel "Not-to-do-Listen", die gleichsam karthatische Wirkung entfalten können: einfach mal Dinge aufschreiben, "die man sowieso tut oder die einem extrem unschwer fallen".

Aber wenn nun die lästige Seminar- oder Abschlussarbeit nicht länger vermeiden lässt? Zwingen könne sich der disziplinlose Student nicht, meint Passig: "Der zeitliche Druck muss da sein, sonst fangen die meisten Studenten nicht an." Neu ist diese Erkenntnis nicht gerade. Aber Passig findet das Arbeiten auf den letzten Drücker nicht mal besonders verwerflich.

Pflichten in kleinen Portionen

"Es ist bewiesen, dass genau die Studenten schneller ans Ziel kommen, die sich ihr privates Leben nicht komplett versagen", erklärt die Berlinerin. Sie selbst habe ihre Abschlussarbeit freitags angefangen und am Mittwoch darauf abgegeben. In der Phase der Torschlusspanik einzusteigen, sei gar nicht schlimm: "Man fängt so oder so zu spät an. Gesteht man sich das nicht ein, ist die Qual in der freien Zeit, in der man denkt 'Ich müsste jetzt anfangen ...', umso größer."

Monika Birkner, Persönlichkeitscoach in Frankfurt am Main, hält nicht so viel von Arbeit auf den letzten Drücker. Das produziere eine Menge negativen Stress, den man durchaus vermeiden könne: "Wer zügig seine Aufgaben erledigt, umgeht die Angst vor dem großen Berg an Arbeit, der sich aufstaut."

Bei einer Abschlussarbeit an der Universität ist das gar nicht so einfach, zumal sich Bücher und Unterlagen schon am ersten Tag auf dem Schreibtisch stapeln. In diesem Fall sei es wichtig, einen detaillierten Plan zu erstellen. "Wie viel Umfang soll die Arbeit haben? Wie lange brauche ich dafür? Die ungeliebte Pflicht kann man in kleine Portionen aufteilen, jeden Tag ein bisschen", sagt Birkner. Doch das heißt zugleich, sich jeden Tag aufs Neue zu motivieren. "Da hilft es zum Beispiel, Routine ins Arbeitsverhalten zu bringen: Jeden Tag von 8 bis 12 Uhr setzt man sich ran." Auch der Kontrollanruf eines Freundes könne Wunder bewirken.

Aufschieberitis kann hartnäckig sein

Nach Einschätzung von Kathrin Passig geben etwa 20 Prozent der Studenten ihre Abschlussarbeiten niemals ab, weil sie einfach nicht damit fertig werden. Wenn das ständige Aufschieben dazu führt, dass die eigenen Ziele überhaupt nicht mehr erreicht werden können, steckt oft mehr dahinter als mangelnde Selbstdisziplin. "Dann sollten Studenten Gesprächsmöglichkeiten ihrer Universität in Anspruch nehmen", sagt Wenzel Peters von der allgemeinen Studienberatung der Universität Marburg.

"Es gibt kein Pauschalrezept für solche Blockaden", so Peters. Wenn das Prokrastinieren problematisch wird, könne das ganz unterschiedliche Ursachen haben. "Einige Studenten wissen beispielsweise nicht, wie Zeitmanagement funktioniert. Oder sie haben nie gelernt zu lernen und sind unstrukturiert." Auch wird einigen Studenten erst bei der Bachelor- oder Diplomarbeit bewusst, dass ihr Fach nicht das Richtige für sie ist.

Persönlichkeitstrainerin Monika Birkner kennt solche Ängste vor Misserfolgen. Fälle, die eine längerfristige psychologische Behandlung erfordern, seien jedoch selten. "In bestimmten Situationen ist jeder anfällig für das Aufschieben. Aber Disziplin kann man lernen." Dazu sollten die Ziele am Anfang nicht zu hoch gesteckt werden. Eine Viertelstunde ungeliebte Arbeit verrichten, kann zu Beginn ausreichen. "Ist der Anfang erst gemacht, geht alles viel einfacher. Und mit ein wenig Routine kommt dann die Gewohnheit."

Blitzblanke Wohnung, Abschlussarbeit auf der langen Bank

Falsch wäre es, sich jegliche Freizeitaktivität zu verbieten, da sind sich die Experten einig. Birkner mahnt dennoch zum Mindestmaß an Disziplin: "Bis um 2 Uhr in der Nacht feiern, das geht eben nicht, wenn ich am nächsten Tag früh wieder mit der Arbeit beginnen will."

Kathrin Passig jedoch glaubt, dass sich der Prokrastinationsdrang immer irgendwie durchsetzen wird, solange der äußere Druck fehlt: "Sich in einem Ferienhaus ohne Internet zu zwingen, nur noch an die Arbeit zu denken, bringt nichts. Irgendeine stupide Beschäftigung fällt einem immer ein."

Andererseits kann Prokrastination auch produktiv sein. Der Mensch suche sich nämlich immer neue Beschäftigungen, um der unliebsamen Pflicht zu entkommen. So kann der Haushalt plötzlich ganz leicht von der Hand gehen.

Und wann geht es endlich an die Bachelorarbeit? "Wenn die Arbeit zeitlich beinahe gar nicht mehr zu schaffen ist oder wenn der Student eine noch unangenehmere Aufgabe findet. Dann ist die Bachelorarbeit nicht mehr die größte Qual", sagt Passig.

Franziska Fiedler, dpa; Jochen Leffers

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