Studenten-Oscar "Alle sprachen von meinem Film"

Roter Teppich, Shrimps-Cocktails, Schulterklopfen: Bei der Verleihung des Studenten-Oscars ging Preisträger Reto Caffi auf Tuchfühlung mit der Hollywood-Elite. Außer der Trophäe heimste der Absolvent der Kölner Kunsthochschule viel Lob und gute Ratschläge ein.

Los Angeles - Das Beste war der Abend davor. Cocktails und Dinner im Beverly Hills Hotel: Da wurde es Reto Caffi dann doch schon etwas anders. Denn der Saal wimmelte nur so vor Hollywoods Branchenlegenden - Regisseure, Kameraleute, Cutter, Produzenten. Und: "Alle sprachen sie von meinem Film."

Caffi, 36, lässt sich diesen süßen Karrieremoment tags darauf noch mal auf der Zunge zergehen. Der Deutsch-Schweizer steht, ein Bier in der Hand, in der Lobby des Samuel Goldwyn Theaters, des Hauskinos der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (Ampas) - des Eliteclubs, der über die Oscars herrscht. Und einen solchen hat auch Caffi seit Samstag in der Tasche: einen Oscar für den besten ausländischen Studentenfilm, der numehr zum zweiten Jahr in Folge nach Deutschland ging.

Doch wie gesagt: Das Tête-à-Tête mit seinen Idolen hat den Absolventen der Kunsthochschule für Medien Köln (KMH) fast noch mehr beeindruckt als die Preisverleihung selbst. "Das war einfach supergeil", sagt er und atmet einmal tief durch. "Deshalb macht man Filme."

Und genau deshalb verleiht die Ampas die Studenten-Oscars ja auch: als Schulterklopfen für den Nachwuchs. Dieses Jahr waren es elf Studenten aus den USA - und Reto Caffi.

Gute Ratschläge für den Nachwuchs

Vier Tage lang bewirteten die Organisatoren der Verleihung ihre Gäste, kutschierten sie kreuz und quer durch Hollywood, boten ihnen einen Blick hinter die Kulissen. Vier Tage, in denen sie mit Lob und Rat nur so überschüttet wurden. "Das war", sagt Caffi, "schon fast etwas unheimlich."

Sicher: Spektakuläres Scheitern gehört ebenso zu Hollywood wie kometenhafter Aufstieg. Doch wenigstens am Anfang, so jedenfalls der Sinn dieser alljährlichen Übung im Goldwyn Theater, sollen Ansporn und Motivation stehen.

Caffi zieht einen Spickzettel mit Namen und Passfotos aus der Tasche. Den hat ihm die Ampas gegeben, damit er all die Leute erkennt. Mit dem Finger tappt er auf die einzelnen Gesichter. Kameramann Caleb Deschanel ("Die Passion Christi"). Cutter Mark Goldblatt ("Terminator II"). Special-Effects-Zauberer Richard Edlund ("Star Wars"). Alle hätten sie ihm zugesprochen, hätten ihm geraten: "Lass dich bloß nicht verbiegen!" Ihm, dem Studenten aus Köln mit seinem kleinen Abschlussfilmchen über die Qual der Schuld.

Ein stilles Drama räumt ab

"Auf der Strecke" heißt der 30-minütige Spielfilm, den Caffi mit seinem Studienfreund Philippe Zweifel geschrieben und dann in Bern und Zürich gedreht hat, eine insgesamt eineinhalbjährige Fleißarbeit. Ein stilles Drama von Schuld und Zivilcourage (oder den Mangel daran), das schnell so viel mehr wurde als eine Schularbeit. Eine Auszeichnung nach der anderen räumte "Auf der Strecke" ab: in Solothurn (Schweizer Filmpreis), in Landshut, in Aspen, in Clermont-Ferrand. Und dann kam Post aus Beverly Hills - von der "Academy", wie Caffi sie schon ganz profimäßig nennt.

Im Mittelpunkt der Geschichte, die nun auch die Amerikaner so berührt, steht ein Kaufhausdetektiv, der sich in eine Verkäuferin verliebt. Ein fataler Angriff auf einen vermeintlichen Nebenbuhler, den er tatenlos geschehen lässt, wirft sein Leben völlig aus der Bahn. Das sind Motive für großes Kino, in eine halbe Stunde gepackt; Caffi machte daraus, mit spärlichem Dialog und eindringlichen Bildern, eine Parabel auf die Schwäche des Menschen. "Ein absolut exzellentes Werk", sagt Ampas-Präsident Sid Ganis, selbst ein erfolgreicher Filmproduzent.

Caffi ist dazu über New York nach Los Angeles gekommen. Denn "Auf der Strecke" wurde zuvor auch schon beim Brooklyn Film Festival gezeigt. Da ging es vergangene Woche freilich etwas weniger professionell zu als in Hollywood: Die Filmrollen waren falsch zusammengehängt. Trotzdem: "Es war 'ne schöne Entschuldigung, sich mal in New York umzusehen", sagt Caffi.

Schaulaufen in Hollywood

Bei der schon besessen-perfektionistischen Academy dagegen läuft alles natürlich wie am Schnürchen. Der Terminplan für die zwölf Preisträger ist dicht gedrängt: Screenings, Interviews ("schon komisch, auf der anderen Seite zu sitzen", sagt Caffi, der früher auch mal als Filmjournalist gearbeitet hat), Treffen mit der US-Regisseursgilde, Lunch mit Top-Cinematografen, Dinner mit den Ampas-"Gouverneuren". Und alle sagen einem immer wieder das eine: "Lasst euch nicht reinreden." Auch Hollywood liebt seine eigenen Mythen.

Die Gastfreundschaft ist fast überwältigend. So einen freundlichen Umgang miteinander, sagt Caffi, gebe es in Deutschland und der Schweiz selten: Da herrsche viel zu große Konkurrenz.

Kurze Verschnaufpause am Tag davor. Caffi faltet seine fast zwei Meter lange Schlaksfigur in den Sessel eines Luxushotels, nur wenige Schritte vom Kodak Theatre entfernt, wo die "großen" Oscars vergeben werden. Der gebürtige Berner trägt Jeans und hat sich schnell noch ein Sweatshirt übers T-Shirt geworfen.

Zu sechst sind sie hier eingeflogen, dank der Marketingfirmen Swiss Films und German Films, die etwas haben springen lassen für Extraflüge. Caffi konnte also seine Freundin Basak Demir mitbringen, die als dramaturgische Beraterin maßgeblich am Film beteiligt war, außerdem seinen Co-Autor Zweifel, Hauptdarstellerin Catherine Janke, Cutter Thomas Bachmann und Casting-Direktorin Kathrin Bessert.

Vorführung im 1000-Zuschauer-Kino

Hier sehen sie ihren Film zum ersten Mal auch so, wie ein Film gesehen werden sollte: bei einem Screening im Goldwyn Theatre, dem wohl besten Kino der USA, wenn nicht der Welt. Riesenleinwand, rund 1000 Sitzplätze, ein schwerer, roter Vorhang, der dramatisch-majestätisch aufgeht, flankiert von zwei enormen, goldglänzenden Oscar-Statuen: "Das war schon etwas Besonderes", sagt Caffi.

Und hier findet dann auch die Verleihung statt. Zum Auftakt gibt's einen Stehempfang, gereicht werden Shrimps-Cocktails, Couscous und Glasnudeln. An den Wänden hängen Originalfolien historischer Disney- Trickfilme: "Peter Pan", "Alice im Wunderland". Fast die gesamte, überwiegend hochbetagte Ampas-Führungsriege gibt sich die Ehre; einige rücken sogar mit Stöcken, Krücken und Gehhilfen an.

Caffi - inzwischen im feinen, schwarzem Anzug mit schmalem Schlips, am Revers eine Schleife mit der Aufschrift "Winner" - überragt alle. Munter plaudert er mit den Academy-Mitgliedern, als seien sie alte Freunde. Catherine Janke, für die dies der erste Film war, steht mit ihren Cowboystiefeln schweigsam daneben. Basak Demir hat eine Videokamera im Anschlag.

Ganis lobt Caffi und seine Kollegen als "eine absolut sensationelle Gruppe". So was Ähnliches sagt er zwar jedesmal, doch klingt es für die Angesprochenen natürlich immer wieder gut. "Es ist schon irgendwie absurd", murmelt Co-Autor Zweifler, 34, blickt in die Runde und schüttelt seine wilde, blonde Lockenmähne dazu. "Der Siegeszug unseres kleinen Films."

Caffi wird als erstes auf die Bühne gerufen, um seinen Studenten-Oscar entgegenzunehmen - der übrigens kein richtiger Oscar ist, sondern eine klobige Trophäe mit einer Medaille drauf. Plus, zumindest in Caffis Fall, 1000 Dollar Preisgeld (die amerikanischen Sieger bekamen je zwischen 2000 und 5000 Dollar).

Flott springt Caffi ans Rednerpult und sagt dann etwas, was er immer schon mal sagen wollte - die klassische Dankesformel eines Oscar-Preisträgers: "I would like to thank the Academy." Dann bedankt er sich artig auch bei seiner Besetzung, bei seiner Crew, bei seiner Freundin und bei seinen Eltern - "fürs Kochen".

Nächster Film ist in Planung

Und jetzt? Ist dies wirklich der Anfang einer tollen Karriere? Caffi bleibt cool: Es sei sicher "ein bisschen einfacher, Geld zu kriegen". Aber er weiß auch: "Keine Auszeichnung wird mir das nächste Projekt schreiben."

Das ist übrigens schon in der Mache, diesmal als abendfüllender Spielfilm, "mehr kann ich noch nicht verraten", sagt Caffi. Außer, dass es dabei unter anderem um "das verspätete Ankommen im Erwachsenenleben" gehe.

Was auch eine gute Metapher wäre für das, was Caffi und seine Freunde jetzt in Hollywood erlebt haben. Doch so ganz erwachsen wollen sie trotzdem nicht sein. Vor der Zeremonie stehlen sie sich ein paar Stunden Sonne am Venice Beach - wenn man schon mal hier ist.

Und sie haben natürlich das Eröffnungsspiel der Fußball-EM in Klagenfurt geguckt, das die Schweiz katastrophal gegen Tschechien verlor. "Man kann", sagt Caffi, "nicht alles gewinnen."

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