Studenten-Oscar Von "Beden-Wörderböörg" nach Hollywood
Los Angeles - Es ist der Traum jedes jungen Filmemachers, sein Werk zum ersten Mal im Kino zu sehen. Für den Ludwigsburger Studenten Toke Constantin Hebbeln erfüllte sich dieser Traum am Donnerstag auf ziemlich abenteuerliche Weise: Sein Film "NimmerMeer" wurde vor rund 1000 Zuschauern im besten Kino der Welt gezeigt - dem Samuel Goldwyn Theater in Beverly Hills. Es ist das Haustheater der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (Ampas), die jedes Jahr die Oscars vergibt.
"In solcher Qualität hatte ich meinen Film noch nie erlebt", staunt selbst Hebbeln, 29, fast andächtig über das einmalige Kino-Erlebnis: eine haushohe Leinwand, von zwei Oscar-Statuen flankiert, kristallscharfe Projektion, Surround-Sound, Plüschsessel. "Wahnsinn", seufzt Hebbeln.
Kurz darauf steht der Nachwuchsregisseur, ein Bier fest im Griff, auf einer Terrasse hoch über dem Meer. Hier in Pacific Palisades stürzt der legendäre Sunset Boulevard dramatisch in den Sonnenuntergang. Der Blick geht über Tropengärten bis zum Pier von Santa Monica. Party-Gemurmel erfüllt die süße Luft: Einige Dutzend Fans und deutsche Exilanten erweisen Hebbeln gerade die Ehre, im Künstlerhaus Villa Aurora, in dessen maurischer Idylle einst Lion Feuchtwanger vor den Nazis Zuflucht fand.
Anfangs nur Enttäuschung
Doch Hebbeln hat selbst im Paradies keine Ruhe. Erstens ist er spät dran, weil er vorher in der Rush Hour stecken blieb. Zweitens scheucht ihn Produzent Manuel Bickenbach von einem Grüppchenfoto zum nächsten. Hebbeln macht alles geduldig mit, lächelt, posiert, umarmt. Wie ein Hollywood-Profi.
Und das darf er jetzt auch schon von sich behaupten - obwohl er ja noch nicht mal fertig ist mit seinem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Denn die Ampas hat sein Schulprojekt "NimmerMeer" hier am Samstagabend mit einem Studenten-Oscar ausgezeichnet, als bester ausländischer Beitrag in der Konkurrenz um, so Ampas-Präsident Sid Ganis, "Oscars kleinen Bruder".
Dazu spendierte die Ampas Hebbeln und den anderen Preisträgern einen viertägigen Blick hinter die Kulissen Hollywoods. Einen besseren Einstieg ins Geschäft kann sich ein Filmstudent nicht wünschen, erst recht nicht ein deutscher. "Die Tür nach Hollywood", sagt Hebbeln (der am Ende so unter Strom steht, dass er kaum stillsitzen kann), "ist jetzt einen Spalt offen."
Fast wäre es dazu nie gekommen. "Es war extrem schwierig, in Deutschland für 'NimmerMeer' Unterstützung zu kriegen", sagt Hebbeln. "Niemand glaubte an den Film. Man traute uns das als Studenten nicht zu."
Rettung im letzten Moment
Der einstündige Streifen ist ein schwermütiges Märchen, das in Szene zu setzen nicht nur Filmschüler herausgefordert hätte. Geschrieben von Hebbeln und Nina Vukovic, erzählt er die Geschichte eines Fischerjungen im 18. Jahrhundert, der seinen Vater verliert, doch durch einen Magier das Lächeln zurückerhält.
Dazu schuf er mit Kameramann Felix Novo De Oliveira "einen eigenen Kosmos" - eine surreale Welt aus Träumen, Erscheinungen, fantastischen Bildern. 15 Monate brauchten sie "von der Idee zum Werk", gedreht wurde an der Nordsee und auf der Insel Röm.
Doch dann: nur Enttäuschung. Keiner wollte "NimmerMeer". "Die deutschen Festivals haben ihn durch die Bank abgelehnt", sagt Hebbeln. "Wäre da nicht Heinz Badewitz gewesen." Der Leiter der Hofer Filmtage nahm "NimmerMeer" 2006 ins Programm. Dort gewann der Film gleich zwei Preise - also reichte die Filmakademie ihn für den Student Academy Award ein.
Aber auch das wäre beinahe schiefgegangen. Erst schickte die Ampas "NimmerMeer" nämlich postwendend und ungesehen zurück. Grund: Die maximale Laufzeit der Wettbewerbsfilme ist 60 Minuten. "NimmerMeer" ist 59 Minuten lang, kommt aber mit Abspann auf 63 Minuten.
"Wir haben für unsere Vision gekämpft" - auf Umwegen ins Finale
"Das kann nicht wahr sein", dachte Hebbeln. Er war bereit, den Abspann zu kürzen - doch das erste Screening war schon am selben Abend. Zum Glück lebte seine Freundin Sophie Frost damals noch in Los Angeles. Sie trieb eine Kopie des Films auf, die beim Beverly Hills Film Festival lag, das zwei Tage später anfing.
Am Ende setzte "NimmerMeer" sich gegen vier andere Beiträge durch, darunter drei weitere aus Deutschland (die Auslandskategorie ist die einzige, die vorab entschieden wird). Und so landete Hebbeln am Mittwoch in Los Angeles, im Schlepptau neun Kollegen - darunter Kameramann Novo de Oliveira, Produzent Bickenbach, Cutter Simon Blasi und Herstellungsleiter Tommy Lechner.
Ampas-Fahrer chauffierten sie ins Renaissance Hollywood Hotel, gleich am Kodak Theatre, wo die "großen" Oscars verliehen werden, und dann vier Tage lang kreuz und quer, von einem Termin zum anderen. Es gab Gala-Dinners und Empfänge bei der Directors' Guild und der American Society of Cinematographers. Es gab "Photo Sessions" und Interviews mit US-Reportern.
Eine Dankesrede muss her
Für Sightseeing blieb Hebbeln da keine Zeit. Dafür schüttelte er Film-Legenden die Hand. Zum Beispiel Hawk Koch - der Produzent und Regieassistent von Klassikern wie "Chinatown", sagt Hebbeln, sei "hin und weg" von "NimmerMeer" gewesen. Für Montag habe er ein Treffen mit Agenten eingefädelt, um Hebbeln und Novo de Oliveira hier "Repräsentanz" zu beschaffen.
Hebbeln nimmt's gelassen: "Mal sehen." Trotzdem schwirrt ihm nur so der Kopf. So viele prominente Kontakte! Etwa William Fraker, Kameramann von "Rosemaries Baby". Und dieser Drehbuchautor, wie hieß der noch? "Ich bin mit Namen immer schlecht."
Stunden vor der Verleihung kauert Hebbeln nervös in einem Sofa in der Hotel-Lobby. Er hat sich schon in Schale geworfen: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarzer Schlips, gegeltes Haar. Seine Dankesrede muss er noch schreiben. Und wem will er danken? Dem ganzen Team natürlich: "NimmerMeer" sei das Produkt der "Leidenschaft und Liebe aller Beteiligten".
Kurz vor dem Festakt lädt die Ampas zum Privatempfang mit ihren Mitgliedern, zwischen goldenen Oscar-Statuen und Postern alter Filme. Es gibt Hors d'Oeuvres und Dessert-Brownies. Die Schauspielerin Zooey Deschanel, in einem gewagt-kurzen Kostüm, delektiert sich an Weintrauben. An Hebbelns Revers steckt eine rote Schleife: "Winner."
"Wir haben für unsere Vision gekämpft"
Erst ein Oscar für "Das Leben der Anderen", nun (schon wieder, denn das gelang auch mehreren anderen Jung-Regissueren) der Studenten-Oscar: Warum, fragt jemand Ampas-Chef Ganis, sind die Deutschen in Hollywood so erfolgreich? Ganis lacht laut. "Sie lieben Film", sagt er. "Sie lieben Film."
Im Auditorium sitzt Hebbeln ganz vorn, seine Mannschaft in der achten Reihe. Produzent Bickenbach dreht sich um und dankt einem verrunzelten Ampas-Mitglied überschwänglich für seine Stimme. "Thank you, thank you", sagt er, verbeugt sich und berüht die Hand des Greises mit seiner Stirn, als sei er der Papst.
"Ihr seid wahrhaft Talente in der Blüte", lobt Ganis die Studenten und ruft dann gleich als ersten Hebbeln auf die Bühne. Den Nachnamen spricht er "Häblän" aus - und den Titel der Filmakademie "Beden-Wörderböörg".
Hebbeln nimmt die Trophäe entgegen, einen schwarzen Kubus mit einer goldenen Medaille. Er räuspert sich, zückt einen Zettel, liest seine Rede vor. "Es hat in meinem Leben nicht viele Momente gegeben wie diesen", sagt er und beschreibt erneut die "lange Geschichte von Rückschlägen, Enttäuschungen und Entmutigungen", die der Film überwunden habe. "Wir haben für unsere Vision gekämpft."
Zum Schluss doch noch Sightseeing
Novo de Oliveira hat sogar doppelten Grund zur Freude: Der Film "High Maintenance", bei dem er ebenfalls die Kamera führte, gewinnt die Silbermedaille in der Kategorie "Narrative". Bis auf den New Yorker Nachwuchsregisseur Philip Van ist auch der eine komplette deutsche Produktion und wurde in Berlin gedreht.
Zum Abschluss der Zeremonie zeigt die Ampas "NimmerMeer" noch einmal, in voller Länge. Das Publikum klatscht und jubelt, trotz der gelegentlich groben Untertitel.
Damit ist Hebbelns Hollywood-Abenteuer nicht zu Ende. Er hat seinen Aufenthalt um eine Woche verlängert, Universal Pictures zum Termin geladen. Ein kleiner US-Verleih - an dessen Namen er sich im Moment nicht erinnern kann - hat Interesse, "NimmerMeer" in die US-Kinos zu bringen.
Und zum Schluss will er zwei Tage lang den Highway 1 an der Küste entlang fahren. Ein bisschen Sightseeing muss doch noch sein.