Studentenauswahl Stümpern gilt nicht
Seit Jahren stänkern Bildungspolitiker und Universitäten gegen die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund. Die Bürokraten-Krake, so die Litanei, stranguliere die Hochschulen in ihrer Selbstbestimmung. Statt den Bildungsanstalten die Freiheit zu lassen, sich ihre Studenten selbst auszusuchen, liefere die ZVS Bewerberware en gros.
Soweit das Klischee. Die Wirklichkeit sieht längst anders aus. Nach den neuen Zulassungsregeln, die zum ersten Mal für das Wintersemester 2005/06 galten, verlesen die Hochschulen ihre Bewerber nun verstärkt selbst. Konnten sie früher nur 24 Prozent der künftigen Erstsemester selbst auswählen, sind es nun 60 Prozent.
Nicht immer gehen die Hochschule mit der neugewonnenen Freiheit professionell um. Ein aktuelles Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts in München belegt eine häufig schludrige Zulassungspraxis. Es richtet sich gegen die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), hat aber bundesweite Bedeutung, weil andere Hochschulen ähnlich verfahren.
Die Richter verdonnerten die Münchner Universität per einstweiliger Anordnung dazu, acht Studenten zum Medizin-Studium zuzulassen. Die Hochschule hatte sie eigentlich wegen zu schlechter Abiturnoten abgelehnt. Beim Vergleich der Bewerber seien jedoch die großen Qualitätsunterschiede beim Abitur in den einzelnen Bundesländern nicht ausreichend berücksichtigt worden, so das Gericht. Es sei jedoch verfassungsrechtlich bedenklich, diese Abweichungen nicht zu berücksichtigen (Aktenzeichen M 3 E L 05.20578).
Abiturnote allein reicht nicht aus
Die Ablehnung sei nicht auf ein "rechtmäßiges Auswahlverfahren der Hochschule gestützt", heißt es in der Urteilsbegründung. Gegen die an der LMU praktizierten Auswahlkriterien bestünden "durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken". Die Richter sehen die Auswahlpraxis im Konflikt mit mehreren Vorgaben des Grundgesetzes: Artikel 3 schreibt den Grundsatz der Gleichbehandlung fest, Artikel 12 garantiert die freie Wahl des Ausbildungsplatzes.
Solche Grundsätze würden verletzt, indem Studienplätze "ausschließlich nach dem Grad der Qualifikation vergeben werden", die die Abiturnote misst, dies aber "ohne weitere Unterscheidung danach, in welchem Bundesland das entsprechende Zeugnis erworben wurde".
Aufgrund der mangelnden Vergleichbarkeit reiche eine "alleinige Vergabe nach der Durchschnittsnote" nicht aus, so das Urteil - mindestens ein zusätzliches Kriterium müsse ebenfalls zum Zug kommen.
Die Gerichtsentscheidung nimmt die Hochschulen in die Pflicht, ihre neu erworbene Freiheit tatsächlich wahrzunehmen. In den letzten Jahren wurde der Anteil von Studienplätzen in zulassungsbeschränkten Fächern, den die ZVS vergeben konnte, stetig zurückgefahren. An die Stelle der Abiturnote sollen Kriterien treten, die passgenauer über die Qualifikation Auskunft geben: eine Berufsausbildung etwa, Noten in einzelnen Fächern oder die persönliche Motivation, ein bestimmtes Fach zu studieren.
Der Haken: Solche Qualifikationen der Bewerber lassen sich meist nur in persönlichen Auswahlgesprächen oder in einem mehrstufigen schriftlichen Verfahren ermitteln. Und für so viel Aufwand fehlen den klammen Hochschulen schlicht Personal und Geld. Oder die Motivation. Deshalb verhalten sich viele Hochschulen wie kleine Zentralstellen und vergleichen einfach die Abiturnoten - ohne auf die Fallstricke zu achten, wie im Münchner Fall.
Rückenwind für die ZVS
Solche Fehler passieren der ZVS nicht: Sie berücksichtigt bei der Vergabe von Studienplätzen sogenannte Landesquoten, die genau festlegen, wie viel ein Abitur in einem bestimmten Bundesland wert ist. Dadurch konkurrieren nur Bewerberinnen und Bewerber miteinander, die ihr Abitur im selben Bundesland erworben hatten.
Das Urteil der Verwaltungsrichter bestätigt die Kritik, die ZVS-Direktor Ulf Bade unlängst am Auswahlverfahren der Universitäten geübt hatte. Die Verfahren dauerten länger, das belaste die jungen Menschen, die auf ihren Studienplatz warten. Bade plädierte dafür, die Auswahl zwar künftig komplett den Hochschulen zu überlassen. Die Rahmenbedingungen jedoch solle die ZVS schaffen.
Bei der häufig gescholtenen Dortmunder Behörde hält man sich mit Triumphbekundungen zurück: Es sei eben nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen, den Hochschulen mehr Freiheiten einzuräumen, nur damit diese es bei der Auswahl nach Abiturnote belassen. "Wer A sagt, muss auch bei A bleiben", so ein ZVS-Sprecher.
Hochschulen, die bislang ähnlich schematisch vorgingen wie die LMU, werden sich nun beeilen, ihrer Selbstverpflichtung nachzukommen - ansonsten droht ihnen eine Klagewelle.