
Ein Protestbanner wird 50: Historischer Stoff
Plakataktion 1967 "Frech, gewaltlos, nicht ohne persönliches Risiko"
In ihren besten Anzügen gelangten die beiden Jura-Studenten Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer am 9. November 1967 auch ohne Eintrittskarte ins restlos gefüllte Hamburger Audimax zum feierlichen Rektorenwechsel. Sie waren dem Einlasspersonal als ehemalige Asta-Vorsitzende bekannt, schreibt der Leiter der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Rainer Nicolaysen , über den Coup, der sich am Donnerstag zum 50. Mal jährt.
Als die beiden damals 23- und 24-jährigen Studenten wenig später schelmisch grinsend die Treppe des Audimax herunterschritten, in der Hand ein Transparent mit der Aufschrift "Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren", hinter sich der aktuelle und der künftige Rektor, beide mit Talar, steifer Halskrause und Hut, sollten sie Geschichte schreiben, die sie zur Bildikone der Studentenrevolte machte.
Mit der Aktion wollten die beiden auf die verkrusteten Strukturen in Universität und Gesellschaft aufmerksam machen: "Als ehemalige Asta-Vorsitzende waren wir frustriert und wütend, dass engagierte Gremienarbeit lange vergeblich war", sagt Behlmer rückblickend .
Mit der Protestform ist Behlmer, der später Karriere als Staatsrat machte, noch heute zufrieden: "Sie war frech, gewaltlos, nicht ohne persönliches Risiko und im besten Sinne antiautoritär."
"Affront sondergleichen" bleibt straflos
"Der Spruch brachte einfach alles auf den Punkt", sagt Nicolaysen von der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte. Für die Parole ließ sich Behlmer nach eigener Aussage von einem Graffiti auf dem Campus inspirieren. "Aber die Talare, der Reim und vor allem - darauf lege ich großen Wert - die 1000 Jahre stammen von mir", sagte er dem "Hamburger Abendblatt" im Jahr 2008. Damit habe er auf das "Tausendjährige Reich", auf das sich die Nazis bezogen, anspielen wollen.
Kaum eine Deutung der Studentenbewegung von 1968 kommt heute ohne den "Muff" aus. Für den Hamburger Protestforscher Wolfgang Kraushaar ist der "Generalangriff auf die Ordinarienuniversität" ein "Affront sondergleichen", für Nicolaysen ein Symbol für die Zeitenwende an den deutschen Unis und die 68er-Bewegung schlechthin.
Zumal auch das Banner, das heute im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt wird, ein ganz besonderes ist. Denn den Spruch klebte Behlmer mit weißen Leukoplaststreifen auf ein Stück Trauerflor, das er von der Beerdigung des am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Polizisten erschossenen Studenten Benno Ohnesorg aufgehoben hatte.
Die "Majestätsbeleidigung" der Ordinarien blieben für Behlmer und Albers, der bereits vor neun Jahren starb, folgenlos. Denn auch die Presse sei für die Studenten gewesen, eine Bestrafung wäre folglich nach hinten losgegangen, sagt Nicolaysen.
Profs dank Hochschulreform keine "Götter" mehr
Ihre Aktion zeitigte hingegen Erfolg: In Hamburg trat eineinhalb Jahre später das Universitätsgesetz in Kraft, das als erstes Hochschulreformgesetz der Bundesrepublik mit den alten Strukturen brach. Die Professoren, die zuvor ein strenges Regiment an der Uni führten, fühlten sich fortan nicht mehr "kurz unter Gott", wie Nicolaysen sagt. "Und an den meisten Unis war es danach vorbei mit den Talaren."
Für die aktuelle Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta) der Uni, Franziska Hildebrandt, haben die damaligen Studenten eine "Basis geschaffen, auf der wir bis heute agieren und leben". Und das Jubiläum der Aktion könnten die Studenten zum Anlass nehmen, aus den Kämpfen von früher zu lernen, um sie zu aktualisieren. "Das muss man wieder neu schaffen, diese treffende Kritik", sagt Hildebrandt.