Studentinnen erzählen Schwanger im Studium - jetzt oder nie
Mehr Kinder sollen die Deutschen bekommen, da sind sich Politiker, Soziologen und Arbeitgeber einig. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt, um eine Familie zu gründen? Mitten im Beruf - obwohl die Schwangerschaft viele Frauen ins Karriereabseits befördert? Oder während des Studiums - wenn man doch zügig und intensiv lernen soll?
In Berlin und Ostdeutschland entscheiden sich immer mehr junge Frauen und Männer für die zweite Variante, das zeigt die aktuelle Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Jeder elfte Student an den Berliner und ostdeutschen Hochschulen ist Mutter oder Vater, vor fünf Jahren war es nur jeder 14. Den Anstieg führen die Autoren auf die familienfreundliche Situation in den neuen Bundesländern zurück: Dort gibt es mehr Krippenplätze und eine höhere Akzeptanz von jungen Familien als im Westen.
Doch auch die Gesamtzahl der studierenden Eltern ist beeindruckend: 123.000 Mütter und Väter zählt das Deutsche Studentenwerk, ein Anteil von rund sieben Prozent der Studenten. Gibt man auf StudiVZ den Suchbegriff "Studieren mit Kind" ein, kommen als Treffer 56 Diskussionsgruppen. Sie alle drehen sich um das große Thema, wie man es schafft, akademische Ausbildung und eigene Familie zu vereinbaren.
"Flexibler als bei einer starren 40-Stunden-Woche"
Oft haben studierende Eltern Angst, den Anschluss an ihre kinderlosen Kommilitonen zu verpassen. Sie haben weniger Zeit zum Lernen, weniger Energie zum Ausgehen, müssen mit ihrem Geld besser haushalten. Unter den Langzeitstudenten sind sie laut Sozialerhebung überproportional vertreten, unterbrechen es viel häufiger und brechen es auch öfter ganz ab als kinderlose Kommilitonen.
Trotzdem sagen viele, dass das Studium der beste Zeitpunkt sei, um ein Kind zu bekommen: Wenn nicht jetzt, wann dann? Und wenn nicht wir, wer dann? Auf "StudiVZ" führt eine kinderlose Studentin an, warum sie noch vor ihrem Berufseinstieg Mutter werden will: "Ich glaube halt daran, dass ich während des Studiums flexibler bin als später bei einer starren 40-Stunden-Woche." Eine andere schwärmt von der studentischen Freiheit, sich Vorlesungen und Hausarbeiten frei einteilen zu können. Ihr Fazit: "Studium und Kind = kein Problem!!!"
Die jungen Eltern glauben, dass es besser sei, im Studium ein Kind zu bekommen als im Beruf. "Wenn ich fertig bin, kann Raphael schon in die Vorschule gehen", erklärt Gesine Stingl, 22. Ihr Sohn ist zwei Jahre jung. Die betreuungsintensivste Zeit mit ihrem Kind wird die alleinerziehende Studentin bereits hinter sich haben, wenn sie ihren ersten Job antritt. "Außerdem", sagt Stingl, "bringe ich als junge Mutter Organisationstalent und Verantwortungsbewusstsein mit. Diese Eigenschaften kann ich auch im Beruf gut einbringen."
Mütter mit Organisationstalent
Das sieht Ingrid Hofmann, Chefin einer Zeitarbeitsfirma und Präsidiumsmitglied im Bund der Deutschen Arbeitgeber, genauso. "Eine Berufsanfängerin, die schon ein Kind hat, zeigt, dass sie taff ist und gut organisieren kann", sagte Hofmann SPIEGEL ONLINE, "ich würde für sie eine gewisse Bewunderung empfinden."
Bei berufstätigen Müttern gerät sie ins Schwärmen: "Ich liebe es, mit ihnen zu arbeiten!" Zwei Drittel ihrer 500-köpfigen Stammbelegschaft sind Frauen, davon die Hälfte Mütter. "Sie nutzen die Zeit sehr effizient", erzählt Hofmann, "sie machen ihre Arbeit bewusster, weil sie beides schaffen wollen - den Beruf und die Familie."
Spricht also alles für eine frühe Familiengründung? Familienforscher Hans Bertram warnt, studierende Eltern hätten mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie berufstätige. "Heute ist das Studium durch die Bachelor -und Masterstudiengänge so verdichtet, dass die Studenten 50 Stunden und mehr an der Uni verbringen müssen", sagt der Berliner Soziologe.
Die Vorstellung vom einem flauschigen, lockeren Studentenleben mit viel akademischer Freiheit sei Vergangenheit - das Studium bedeute harte Arbeit. Straffe Zeitplanung, Leistungsdruck und Anwesenheitspflicht bestimmen laut Bertram den Alltag der Lernenden. Ein Kind unter diesen Umständen zu bekommen, sei "sehr schwierig".
Kaum Zeit für Selbstentfaltung
Auch Rolf Dobischat, Präsident des Deutschen Studentenwerks, kritisiert die familienfeindliche Situation an deutschen Hochschulen: "Es fehlt an Kinderbetreuungsplätzen, Studienfinanzierung und flexiblen Stundenplänen. Das sind enorme Hemmnisse für die Gründung einer Familie." Zwar bieten die Studentenwerke bundesweit 5500 Krippenplätze, doch bei insgesamt 123.000 studierenden Eltern mit mindestens einem Kind ist das viel zu wenig.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum Dobischat jungen Menschen nicht empfehlen würde, im Studium ein Kind zu bekommen: Es nimmt ihnen die Zeit, zu experimentieren und sich selbst zu finden. "Heutzutage wollen die Studenten schnell durch das Studium kommen und sehen es nicht mehr als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung", seufzt der Bildungs- und Berufsforscher, "da geht auch viel verloren."
Dennoch bereuen die meisten studierenden Eltern ihre Entscheidung nicht. In der Sozialerhebung fragt das Deutsche Studentenwerk: "Wenn Sie noch einmal vor der Entscheidung stehen würden, würden Sie wieder mit Kind studieren?" 61 Prozent der Teilnehmer bejahen diese Frage. Nur 25 Prozent sagen nein, sie würden entweder erst das Studium beenden oder gar kein Kind bekommen.
Das bedeutet nicht, dass studierende Eltern ihre Lage für ideal halten. Aber in die Knie gezwungen wird eine klare Mehrheit der Befragten von der Doppelbelastung Studium und Familie keineswegs.
Auf SPIEGEL ONLINE erzählen diese Woche vier Studentinnen, warum sie sich dafür entschieden haben, während ihres Studiums ein Kind zu bekommen - und wie sie den Alltag zwischen Krippe und Hörsaal bewältigen.
Dienstag:
"Alles eine Frage der Organisation", sagt Gesine, 22
Mittwoch:
Ingemarie, 26 - ein Kind, zwei Jobs, Spitzennoten
Donnerstag:
Julia, 26, will mit Kind richtig durchstarten
Freitag:
Das neue Leben von Rock'n'Roll-Mami Carmen, 25
Bafög bis Urlaubssemester - Tipps für studierende Eltern
Bafög: Für das erste Kind wird seit Januar ein pauschaler Zuschlag von 113 Euro zum persönlichen Bafög-Satz gewährt, der nicht zurückgezahlt werden muss (für weitere Kinder 85 Euro).
Elterngeld: Seit 2007 erhalten Studenten 12 Monate lang Elterngeld (Alleinerziehende 14 Monate). Wer vor der Geburt einen sozialversicherungspflichtigen Job hatte, erhält 67 Prozent des letzten Nettogehalts (mindestens 300, max. 1800 Euro). Das Elterngeld gibt es unabhängig vom Bafög.
Kinderbetreuung: wird an vielen Universitäten vom Studentenwerk angeboten, Übersicht unter www.studentenwerke.de (Rubrik Beratung und soziale Dienste)
Kindergeld: Pro Kind gibt es monatlich 154 Euro. Antragsformular unter www.familienkasse.de .
Regelstudienzeit: verlängert sich in der Regel durch Geburt und Betreuung eines Kindes (Infos beim Prüfungsamt). Dadurch erhöht sich auch die maximale Bafög-Bezugsdauer.
Studiengebühren: werden jungen Eltern in den meisten Bundesländern erlassen (Altersgrenze der Kinder maximal 8 bis 10 Jahre).
Urlaubssemester: Studenten können wegen der Geburt und bis zu drei Jahre danach eine Pause einlegen, ohne exmatrikuliert zu werden. Während dieser Zeit fließt allerdings kein Bafög (mögliche Einnahmequellen: Eltern-, Kinder- und Wohngeld, Sozialhilfe). Ändert sich die Prüfungsordnung, besteht kein Rechtsanspruch auf eine Prüfung nach den alten Regeln.