Studiengebühren "Der IQ-Rabatt ist verfassungswidrig"

In Freiburg und Konstanz grassiert die IQ-Testeritis, seit beide Unis hochbegabten Studenten die Campusmaut erlassen. Dürfen die das überhaupt? Ein Experte für Anti-Diskriminierungs-Recht meldet starke Zweifel an - er sieht durch einen Grips-Rabatt das Grundgesetz verletzt.
Uni Freiburg: Lockt mit Superhirn-Rabatt

Uni Freiburg: Lockt mit Superhirn-Rabatt

Die Stimmung unter den 15 Teilnehmern ist angespannt. Einige kneten nervös die Hände, andere spielen abwesend mit dem Stift. Es ist der "Nationale Testtag" des Hochbegabtenvereins Mensa. In der Volkshochschule Konstanz laufen heute vier IQ-Tests.

Schon vor dem Start herrscht absolute Stille. Mehr als zwei Drittel der Teilnehmer studieren in Freiburg und Konstanz - für sie kann das korrekte Lösen der 108 Aufgaben 1500 Euro wert sein. Denn seit Frühjahr 2007 erlassen beide Unis Hochbegabten für drei Semester die Studiengebühren. In Freiburg punktet man mit einem Intelligenzquotienten ab 130, als Nachweis gilt ausdrücklich der Mensa-Test.

Im Südwesten kam es prompt zum Ansturm auf die Plätze: In Konstanz musste Mensa gleich vier Termine statt einen anbieten und in Freiburg mehr als 50 Leute auf eine Warteliste setzen. Die Unis stützen sich auf Baden-Württembergs Gebührengesetz, das Befreiungen bei "weit überdurchschnittlicher Begabung" vorsieht. Unklar ist, ob der IQ allein eine hohe Begabung dokumentieren kann.

Vier Freiburger Studenten haben bereits Klagen gegen den IQ-Rabatt beim Verwaltungsgericht eingereicht. Der erste Verhandlungstermin ist für den 14. November angesetzt. Die heikle Rechtsfrage: Verstößt der Gebührenerlass für Hochbegabte gegen das Grundgesetz? In Artikel 3 heißt es unter anderem, dass niemand wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden darf.

Intelligenzforscher sind sich weitgehend einig, dass genetische Faktoren wie auch die Umwelt die Intelligenz eines Menschen beeinflussen. "Hochbegabung kann man nicht erlernen. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht", so Christine Warlies vom Mensa-Vorstand. Intelligenz sei stark von den Genen und der Sozialisation in den ersten Lebensjahren abhängig.

"Auf Basis dieser Erkenntnisse verstößt die Verknüpfung des Studiengebührenerlasses mit der Intelligenz des Studenten eindeutig gegen das Grundgesetz und ist damit verfassungswidrig", sagt Klaus Michael Alenfelder, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anti-Diskriminierungs-Recht. Bei der IQ-Regelung hätten Studenten keine Möglichkeit, die Studiengebühren durch ein bestimmtes Verhalten erlassen zu bekommen, so der Bonner Rechtsanwalt - daher könne "von Chancengleichheit keine Rede mehr sein".

"Sie dürfen nun umblättern, die Zeit läuft"

Das sehen auch viele Studenten aus Konstanz so. Und meldeten sich trotzdem für den IQ-Test von Mensa an. "Ich will es zumindest versuchen, unabhängig davon, wie es mit der Regelung weitergeht. So bin ich auf der sicheren Seite, sollte ich den Test bestehen", sagt Andreas Lischka, 23. Dabei hält der Jurastudent die Befreiung für unfair: Ein guter Student zeichne sich nicht durch seinen IQ aus, "sondern durch seinen Fleiß, seine Lernmethoden und Begabung für das spezielle Studienfach".

Wie Lischka müssen sich alle Teilnehmer an den strengen Zeitplan halten: Hefte auf, Beispielaufgaben lesen, bloß nicht weiterblättern - damit das Ergebnis nicht verfälscht wird. "Sie dürfen nun umblättern, die drei Minuten Bearbeitungszeit laufen ab... jetzt!", verkündet Testleiterin Estrid Stoll, drückt auf eine piepende Stoppuhr und zwinkert einigen, die hilflos dreinschauen, aufmunternd zu.

Die erste Aufgabe: zwölf Wissens- und Wortbedeutungsfragen. Es folgen Merk- und Matheaufgaben, Zahlenreihen und Wortakrobatik.

"Einfach an die Wand gucken und kurz abschalten" - wenn die Konzentration taumelt

Laut Statistik würden nur zwei Prozent der Bevölkerung den Test bestehen. Doch auch wenn nur eine Handvoll vom neuen IQ-Rabatt profitiert, werden damit alle Studenten nach Intelligenz sortiert. "Dadurch, dass hier eine ganze Gruppe von Menschen benachteiligt wird, ist eine solche Ungleichbehandlung noch schwerer zu rechtfertigen", sagt Rechtsexperte Klaus Michael Alenfelder.

Die IQ-Regelung soll vor allem als Köder dienen - und ist Teil des Uni-Marketings. "Wir möchten die Hochbegabten auf unsere Universität aufmerksam machen", sagte die Freiburger Uni-Sprecherin Eva Opitz. Prorektor Karl-Reinhard Volz schwärmte gar, ein Vorlesungs- oder Seminarplatz neben einem Hochbegabten sei ein Geschenk des "Bildungsabenteuers Universität".

Dabei ist nicht bewiesen, dass Hochbegabte ihr Studium schneller oder besser absolvieren. "Wir dürfen unter keinen Umständen damit anfangen, Menschen nach ihren Genen oder nach ihrer Herkunft einzuteilen", sagt Alenfelder. Er findet es dagegen in Ordnung, wenn Studenten, die durch Leistungen herausragen, keine Gebühren zahlen müssen: "In solch einem Fall haben die Beteiligten durch ihr Verhalten einen Einfluss auf die von ihnen geforderten Leistungen - was beim IQ nicht der Fall ist."

Durchhalten, es geht um 1500 Euro

Mensa-Vorstandsmitglied Christine Warlies verteidigt den IQ-Rabatt. "Es stellt sich die Frage, ob wir alle Menschen gleich machen oder individuell fördern wollen. Wir als Verein Mensa plädieren eindeutig für letzteres", sagt sie. "Wenn die Gesellschaft heute in die Hochbegabten investiert, kriegt sie den Einsatz später vielfach wieder raus."

Auch die Testteilnehmer in Konstanz hoffen, dass sich ihr Einsatz auszahlt. "Wenn ich jetzt die 49 Euro Teilnahmegebühr und die Fahrtkosten investiere, kann ich am Ende vielleicht 1500 Euro sparen", kalkuliert Chris Mattes, 25. "Ich denke, ich habe gute Chancen, den Test zu schaffen." Der Medizinstudent ist extra an den Bodensee gekommen, weil in Freiburg sofort alle Test-Plätze ausgebucht waren.

Jetzt brütet er über den letzten Aufgabenblöcken. Würfel müssen in Gedanken gekippt und gewendet werden. Die Konzentration schwindet, immer öfter reiben sich die Teilnehmer die Augen. "Kann es sein, dass sich die Würfel irgendwann drehen, wenn man zu lange drauf guckt?", fragt eine Studentin besorgt. "Ja, das kommt vor, dann einfach an die Wand gucken und kurz abschalten", sagt Testleiterin Stoll. Doch entspannen und lange nachdenken ist nicht drin - jede Sekunde zählt.

"Ein Schnellschuss unserer Universität"

Nur die wenigsten werden ein gutes Ergebnis erzielen - ein IQ von über 130 ist eben selten. Das Bildungssystem Baden-Württembergs sei "eines der sozial selektivsten der Welt", die neuen Regelungen würden die Ungerechtigkeiten "immer weiter verstärken", schreibt der Freiburger Asta in einer Stellungnahme.

Auch der Asta in Konstanz lehnt den Hochbegabten-Bonus ab. "Die Unileitung hat den neuen Befreiungstatbestand klammheimlich und an den universitären Gremien vorbei eingeführt. Wir haben davon erst durch die Medien erfahren", sagt Asta-Mitglied Matthias Burkhardt und kritisiert den "Schnellschuss unserer Universität, der ein zusätzliches Argument im Wettbewerb der sogenannten Elite-Unis ergeben soll".

Die Testteilnehmer kümmert das gerade wenig. Sie haben noch eine Minute Zeit für den letzten Aufgabenblock. Diesmal müssen sie geometrische Formen, wie sie aus Tangram-Spielen bekannt sind, zu einer neuen Form zusammenfügen. Konzentrieren kann sich fast niemand mehr. "Stopp! Hefte zu." Die Aufzeichnungen werden samt Aufgabenheft abgegeben. "Na, wie ist es gelaufen, wie fandet ihr den Test?", fragt Estrid Stoll locker in die Runde.

Schweigen. Gemischte Gesichtsausdrücke. Einige konnten es halt, für andere war es ein herber Dämpfer.

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