Studiengebühren in USA Die Abkehr vom Geld

Eingang eines Community Colleges in Queens, New York
Foto: imagoWenn man Stephen Dunnett fragt, wann die Trendwende begonnen hat, sagt der Vizepräsident der Universität von New York in Buffalo nur ein Wort: "Obama." Anfang 2015 war es, die Journalisten schrieben, dem Visionär seien die Visionen ausgegangen. Und dann stand der Präsident auf dem Campus des Pellissippi State Community Colleges in Tennessee und sagte: "Alle Amerikaner sollen die Möglichkeit erhalten, sich so zu bilden, dass sie im 21. Jahrhundert erfolgreich sein können." Darum wolle er einen ehrgeizigen Plan verkünden: "Ich will die Studiengebühren an Community Colleges abschaffen." Diese staatlichen Hochschulen bieten in den USA den Einstieg in die akademische Bildung.
Zweieinhalb Jahre später sitzt Stephen Dunnett in seinem Büro und blättert in Zeitungsartikeln, die von dem berichten, was seit Obamas Rede passiert ist. Aus dem "College Promise" von damals sei eine bundesweite Bewegung geworden, sagt er. Erst habe der demokratische Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur Bernie Sanders noch einen draufgesetzt: Er kündigte an, nicht nur die ersten beiden Studienjahre an den Community Colleges kostenfrei zu machen, sondern das ganze vierjährige Bachelorstudium, an allen Hochschulen im Land. Später übernahm Hillary Clinton seine Idee.
Politiker reden, Bundesstaaten handeln
Obamas Plan scheiterte am Widerstand der Republikaner, aber seine Idee verbreitete sich trotzdem. Denn während die Bundespolitiker redeten, handelten einige Bundesstaaten bereits. Tennessee stoppte schon 2015 die Gebühren an seinen Community Colleges teilweise. Oregon folgte, später die Stadt San Francisco, die im Gegenzug die Steuer auf Luxusimmobilien erhöhte.
New Yorks demokratischer Gouverneur Andrew Cuomo verkündete im Januar 2017, gerade als Obama das Weiße Haus räumen musste: Von diesem Herbst an werden alle Studenten an den staatlichen Hochschulen gebührenfrei studieren können, und zwar bis zum Bachelorabschluss. Auch an Dunnetts Universität. Rhode Island und Minnesota könnten bald nachziehen.
Vorher kannten die US-Studiengebühren lange Zeit nur eine Richtung: aufwärts. Seit 2006 sind die Kosten für einen Bachelor um 40 Prozent gestiegen. 1200 Milliarden Dollar Studienkredite haben Absolventen angehäuft, das entspricht im Schnitt 30.000 Dollar pro Schuldner. Selbst im Rentenalter stottern viele Amerikaner noch ihre Studienkredite ab, laut einer aktuellen Studie schulden allein die über 60-Jährigen 67 Milliarden Dollar.
"Excelsior" spart Studenten 6470 Dollar pro Jahr
Bernhard Streitwieser, Professor für internationale Bildung an der George-Washington-Universität in Washington nennt den Trend zum gebührenfreien Studium folgerichtig. "Die Idee öffentlicher Universitäten, die im 18. Jahrhundert in den USA entstand, fußte auf der Vision eines Bildungssystems, das für alle offenstehen sollte." Irgendwann sei dann angesichts der Gebührenexplosion klar gewesen: "So geht es nicht weiter." Stephen Dunnett sieht das ähnlich. "Dieses Ideal öffentlicher Hochschulbildung hat mich als jungen Wissenschaftler überhaupt erst an eine öffentliche Universität gezogen."
In New York zahlen Studenten bisher 6470 Dollar pro Jahr. Künftig fällt die Gebühr für Studienanfänger weg, wenn sie Vollzeit studieren und ihre Familie über weniger als 125.000 Dollar Jahreseinkommen verfügt - was laut US-Zensus auf 80 Prozent der Amerikaner zutrifft. Das entsprechende staatliche Programm heißt "Excelsior". Wer es in Anspruch nehmen möchte, muss sich verpflichten, nach dem Abschluss so viele Jahre im Staat New York zu leben, wie er vorher von Excelsior profitierte. Wer dagegen verstößt, muss die erlassenen Gebühren nachzahlen.
Kritiker fordern mehr Stipendien
Allerdings meint Vize-Unipräsident Dunnett, dass die Gebühren gar nicht das Hauptproblem der Studenten darstellten. "Die Lebenshaltungskosten, die Versicherungen und all das müssen die Studenten trotzdem zahlen."
Andere Kritiker fürchten, die Abschaffung der Gebühren werde zu einer schlechteren Ausstattung der Hochschulen führen, weil der Staat seine Zuschüsse nicht entsprechend stark erhöhen werde. Der Hochschulforscher Philip Altbach vom Boston College sagte schon vergangenes Jahr: "Wer Studiengebühren für die Mittelschicht abschafft, alimentiert diejenigen, die es nicht nötig haben." Viel wichtiger sei es, den wirklich armen Studenten mit Stipendien zu helfen, die auch den Lebensunterhalt finanzieren.
Stephen Dunnett ist gespannt darauf, was im Herbst auf dem Campus passiert. Vielleicht kommen so viele neue Studenten, dass die Vorlesungen überrannt werden. Vielleicht sind vielen aber auch die Auflagen von Excelsior zu streng. Unklar ist auch, inwieweit die Regierung tatsächlich die entfallenen Studiengebühren ersetzen wird. Doch egal, was passiert, eines freut ihn jetzt schon: "Da ist eine Debatte über die verloren gegangene Offenheit unserer Hochschulen in Gang gekommen, und das ist die eigentliche gute Nachricht."
So funktioniert das staatliche Hochschulsystem in den USA:
Das US-Hochschulsystem ist dreigeteilt. Die Community Colleges bieten mit zweijährigen Studienprogrammen den Einstieg in eine akademische Bildung, gerade für sozial schwächere junge Menschen. Allerdings gelten sie auch als am schlechtesten ausgestattet und haben die höchsten Abbrecherquoten. Colleges und Universitäten dagegen führen in vier Jahren zum Bachelor.
Absolventen von Community Colleges können an ein College oder eine Uni wechseln, um dort nach zwei weiteren Studienjahren mit dem Bachelor abzuschließen.
Universitäten dürfen sich normalerweise nur solche Einrichtungen nennen, die neben einem College auch sogenannte Graduate Schools für Master- und Doktoranden-Programme in einem breiten Fächerspektrum anbieten. Die Studiengebühren für den Graduate-Bereich will bisher kaum eine politische Initiative abschaffen. Dort gibt es auch die meisten Stipendien für leistungsstarke Studenten.
Community Colleges haben traditionell die niedrigsten Gebühren, zumeist wenige Tausend Dollar pro Jahr. Staatliche Hochschulen sind für Einwohner des eigenen Bundesstaats relativ günstig. An renommierten Universitäten wie Chapel Hill in North Carolina etwa zahlen Auswärtige 32.000 Dollar pro Jahr - und damit die 4,5-fache Gebühr.