Studienplatz per Klage Die Gerichts-Mediziner
Magdeburg. Im Osten. Da wollte Petra Sitz (Name geändert) aus dem Saarland eigentlich nicht studieren. Aber es hätte schlimmer kommen können. Noch östlicher. "In Budapest kann man auch auf Deutsch Medizin studieren, das war meine Alternative für den Notfall." Der ist ausgeblieben - trotz Abiturnote 2,8 und ZVS-Ablehnungsbescheid.
Denn Petra erstritt sich ihren Studienplatz vor Gericht. Genau genommen tat das der Anwalt, den ihr Vater engagiert hatte. Der Architekt wählte mit Wolfgang Zimmerling einen von höchstens einem Dutzend Juristen, die auf Studienplatzklagen spezialisiert sind.
"Ich und meine Kanzlei-Kollegen haben 25 Jahre Erfahrung - und bei Medizinern eine Erfolgsquote von 100 Prozent", sagt Zimmerling, der die Erfolgreichen schon mal "Gerichtsmediziner" nennt.
Nahezu keine Chance bei der ZVS
Zimmerling und Co. haben Jahr für Jahr mehr zu tun. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) konnte für dieses Wintersemester nur jedem dritten Humanmedizin-Bewerber einen Platz geben. In der Tiermedizin und in der Psychologie gab es sogar vier Bewerber pro Platz. Tausende gingen leer aus - und viele von ihnen wurden zu Klägern.
Die ZVS verklagen allerdings die wenigsten. Und von denen hat wiederum so gut wie niemand Erfolg. Dazu müsste man ihr auch Fehler im Verfahren nachweisen - nahezu aussichtslos.
Anders sieht das bei Kapazitätsklagen aus, die gegen einzelne Hochschulen gerichtet sind. Jeder Studierinteressent kann selbst einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen mit dem Argument, dass die Ausbildungskapazität einer Uni die von ihr zur Verfügung gestellte Zahl von Studienplätzen übersteige. Einen Anwalt braucht man in erster Instanz nicht. Kosten für den Antrag: rund 50 Euro.
Relativ oft endet das Verfahren mit einem Vergleich: Die Hochschule stellt zusätzliche Plätze zur Verfügung, die unter den Klägern verlost werden. Vorteil für die Uni: Mehr als diese Zusatzstudenten werden es nicht, die Gerichtskosten tragen die Antragsteller. Für die ist eine Chance da - eine Garantie nicht.
Die Jagd nach Kapazitäten
Eine Garantie können zwar auch Anwälte wie Wolfgang Zimmerling nicht bieten - aber die Juristen taktieren garantiert gut. Sie bieten eine Dienstleistung, mit der dem Glück nachgeholfen werden kann: Sie klagen zielgerichtet und an vielen Orten zugleich.
Der Berliner Rechtsanwalt Hartmut Riehn sagt, er sei "ständig auf der Jagd nach den Erfolg versprechendsten Hochschulen". Das sind beispielsweise Unis, die ihre im vergangenen Jahr nachträglich zur Verfügung gestellten Studienplätze diesmal wieder herausgerechnet haben. Wichtig sind auch die Fragen: Ist der Stellenbestand ab- oder ausgebaut worden? Und: Wie hat das zuständige Gericht beim letzten Mal entschieden?
Für die Kosten wichtig: Lässt sich die Universität anwaltlich vertreten? Schließlich können allein die eigenen Anwalts- und die Gerichtskosten am Ende schon mal mit 5000 Euro zu Buche schlagen - zumindest wenn man in Anwalt Zimmerlings 100-Prozent-Quote Eingang finden möchte und ihn mit einem Dutzend Verfahren in ganz Deutschland beauftragt.
Eine ganze Stange Geld. Aber Zimmerlings Mandanten können sich das offenbar leisten. Darunter sind "viele aus Ärztehaushalten. In den Kreisen spricht sich schnell rum, dass die Tochter eines Kollegen eingeklagt wurde."
Von der gezielten Suche nach und der guten Argumentation vor Gerichten profitieren allerdings nicht alle und nicht nur die Mandanten des Anwalts: Erreicht er ein Losverfahren, haben alle Kläger die gleiche Chance - ob anwaltlich vertreten oder nicht. Mitlaufen ist auch eine Taktik.
"Uns sind schon die Aktendeckel ausgegangen"
Ein Verfahren kann in der Humanmedizin zwei bis sechs Monate dauern. Je länger es dauert, desto geringer wird die Konkurrenz - dafür sorgen das ZVS-Nachrückverfahren und die Erfolge von Konkurrenten bei anderen Gerichten.
Wer einen Platz hat, muss alle anderen Klagen fallen lassen. Das ist gut für die verbleibenden Kläger. Ein Grund mehr, an vielen Orten dabei zu sein.
So häufen sich vor allem zum Wintersemester die Klageschriften bei den Verwaltungsgerichten. In Dresden sind es diesmal 1400 Verfahren, doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. In Gera, zuständig für die Uni Jena, sind 1000 Verfahren anhängig, "mehr als je zuvor", berichtet Richter Beugt Fuchs: "Uns sind schon die Aktendeckel ausgegangen."
"Die Anwälte maximieren ihre Chancen", weiß der Dresdner Verwaltungsrichter Hanns-Christian John. An seinem Gericht gab es kürzlich wie in den Jahren zuvor einen Vergleich, der von den nicht anwesenden Klägern noch angenommen werden muss: 48 zusätzliche Medizin-Plätze sprangen heraus.
Das war vorhersehbar. Die TU Dresden hatte 204 Studienplätze errechnet, das Wissenschaftsministerium aber nur 200 an die ZVS gemeldet. Die Begründung: Der finanzielle Zuschuss des Landes an die Medizinische Fakultät sei knapp bemessen.
"Das versteht kein normaler Mensch"
Für ein Gericht dürften solche Argumente wenig Überzeugungskraft haben, wenn es die Kapazitätsangaben nachrechnet. Wie eine solche Berechnung vonstatten geht, wissen allerdings nur wenige. "Das Rechenwerk ist kompliziert und fehleranfällig", meint Richter John. "Das versteht kein normaler Mensch", pflichtet Anwalt Zimmerling bei.
- ZVS-Homepage
- Hamburger AStA-Infos zu Klagen
- Numerus clausus-Infozentrum (von Anwalt Hartmut Riehn)
- Homepage des Anwalts Wolfgang Zimmerling
Ministeriell nach unten korrigierte Angaben locken die Anwälte in jedem Fall an. So auch in Leipzig: 340 Medizin-Studienplätze hatte die Uni laut Anwalt Zimmerling angegeben, 300 dann das Ministerium. Vor Gericht gab es kürzlich auch hier einen Vergleich. Zusätzliche Plätze: 137.
Eine ziemlich hohe Zusatzzahl. Die Gründe dafür vermag Hanns-Christian John aus Dresden nicht einzuschätzen. Aber eines ahnt er: "Da werden die Kollegen nächstes Jahr ihr Vergnügen haben."