Studierende Politikerinnen "Nach der Wahl wurde es zum Spießrutenlaufen"

Beide kennen den Bundestag und die Uni, beide haben gerade ihr Diplom bekommen. Bei SPIEGEL ONLINE sprechen Angela Marquardt (Ex-PDS) und Dorothee Mantel (CSU) über neidische Professoren, Uni-Streiks und ihr Politikstudium in Berlin.

SPIEGEL ONLINE:

Sie haben im Sommer Ihr Diplom als Politikwissenschaftlerinnen am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin in Empfang genommen. Während des Studiums saßen Sie beide im Deutschen Bundestag. Wie studiert es sich als Politikerin?

Dorothee Mantel: Ich war im sechsten Semester an der Uni München, als ich 2002 in den Bundestag kam. Ich war schon RCDS-Landesvorsitzende und sehr aktiv in der Hochschulpolitik, daher kannten mich viele. Nach der Wahl wurde es zum Spießrutenlaufen, ausgehend von den Professoren. Es gab einen, der hat immer gesagt, er habe ja auch schon so oft für den Bundestag kandidieren können. Er habe es aber nicht gemacht, weil Politiker als "Abschaum" der Gesellschaft gesehen würden.

SPIEGEL ONLINE: Sie wurden also mit einem gewissen Neid betrachtet?

Mantel: Viele Professoren haben mich ganz normal behandelt. Aber einige empfinden sich als die besseren Politiker. Ich hatte immer das Gefühl, dass die lautesten Schreihälse in ihren Parteikarrieren nicht weit gekommen sind, aber sich damit noch nicht abgefunden haben. Ich habe dann ans OSI nach Berlin gewechselt, wegen der Nähe zum Bundestag, aber auch wegen der größeren Anonymität. In München war normales Studieren nicht mehr möglich.

Angela Marquardt: Ich war schnell bekannt, schon wegen meiner Frisur. Ich habe 1995 mit dem Studium angefangen. Da war ich stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende. Von 1998 bis 2002 saß ich dann im Bundestag. Die meisten Professoren sind gut damit umgegangen. Manche konnten es zwar nicht nachvollziehen, wie man sich bei der PDS engagieren kann. Aber insgesamt habe ich viel Unterstützung bekommen, auch mal Verlängerungen, wenn es mit den Hausarbeiten nicht so ganz pünktlich geklappt hat. Aber es gab schon einige negative Erlebnisse. Einmal musste ich während einer Diskussion auf Toilette, und als ich aus dem Raum ging, rief mir der Professor arrogant hinterher: "Immer wenn es spannend wird, verdrücken sich die Volksvertreter."

Mantel: Ich habe am OSI immer versucht, meine Politikertätigkeit geheim zu halten. Das Institut hat ja einen linken Ruf, und ich als CSU-Abgeordnete... In Berlin kennt ja niemand die CSU so richtig, und man hat da teilweise ein Bild (lacht). Ich habe mich in jedem Seminar als erste für die Referate gemeldet, weil ich dachte, dass es so früh im Semester noch keiner wissen würde. Irgendwann aber kann man sich ja auch nicht mehr zurückhalten, und ich habe heftig mitdiskutiert. Hinten herum habe ich dann auch gehört: Du musst mal ein wenig aufpassen, die Leute sagen schon, dass du so komische Ansichten hast.

Marquardt: Ich finde die Geschichte über die rechtsradikale CSU gut.

Mantel: Ja. Einmal hat eine Kommilitonin ihre Diplomarbeit vorgestellt, in der sie den Beweis führen wollte, dass die CSU eine rechtsradikale Partei ist. Da konnte ich einfach nicht meinen Mund halten. Lustig war es auch, als sich eine andere Kommilitonin über junge Bundestagsabgeordnete aufgeregt hat. Leute wie Anna Lührmann (junge Grünen-Abgeordnete, d. Red.) hätten im Parlament nichts zu suchen. Sie wusste nicht, wer ich bin. Ich habe Anna natürlich verteidigt. Mein Professor hat das Ganze beobachtet und die ganze Zeit gegrinst.

Marquardt: 1995 hättest du wahrscheinlich einen noch viel größeren Schreck bekommen. Damals waren die Studenten viel linker, auch entsprechend engagiert, weswegen ich mich auch für dieses Institut entschieden habe. Aber inzwischen habe ich während des Studiums am OSI noch jemand anders getroffen, der sich auch bei der CSU engagiert und in Seminaren immer seine Meinung sagt. Wenn der vor zehn Jahren am OSI gewesen wäre, hätte man ihn vielleicht aus dem Seminarraum getragen.

SPIEGEL ONLINE: Als PDS-Mitglied hatten Sie es da wahrscheinlich leichter...

Marquardt: Ich hatte ein anderes Problem. Ich musste mich immer dagegen wehren, bei politischen Aktionen vereinnahmt zu werden. Wir hatten mal einen Streik an der Uni, an dem ich nicht teilnehmen wollte. Ich saß in einem Seminar, auf einmal fliegt die Tür auf, die streikenden Studenten stehen da, sehen mich und sind total entrüstet. Gerade ich als Linke von der PDS dürfte doch jetzt wohl hier nicht sitzen. Das sind Erlebnisse, die ich wirklich als negativ abgespeichert habe. Es gab immer wieder Kommilitonen, die mich in die Richtung stoßen wollten, aber ich habe denen dann immer erklärt: Leute, ich bin Studentin hier, und Uni ist Uni.

SPIEGEL ONLINE: Aus der Hochschulpolitik haben Sie sich herausgehalten?

Marquardt: Uni und Politik habe ich bewusst getrennt. Ich stand schon mal auf den Wahllisten der PDS-Hochschulgruppe, aber immer ganz weit hinten. Verständlicherweise wollten sie mit mir Werbung machen, da ich bekannt war, aber ich habe mich immer stark zurückgehalten. Ich habe mir ein paar Sitzungen des Studentenparlaments angeschaut, und ich bin für das politische Mandat der Studenten. Aber ich finde es schwierig, wenn die Studentenparlamente wie die anderen funktionieren. Schließlich geht es um unterschiedliche studentische Interessen, nicht um Unterschiede zwischen Parteien, die meiner Meinung nach oft viel zu viel Einfluss über ihre jeweiligen Hochschulgruppen haben.

Mantel: Als ich in Berlin war, bin ich nicht mehr zurück zum RCDS gegangen. Ich habe mich drei Jahre lang ziemlich intensiv in Bayern um Hochschulpolitik gekümmert, unter anderem haben wir als erster RCDS-Landesverband ein neues Hochschulfinanzierungsmodell inklusive Studiengebühren gefordert. In Berlin wollte ich das nicht mehr weiter machen, aus zeitlichen Gründen und auch, weil es ein anderes Bundesland war. Die einzige Uni-Abstimmung, an der ich teilgenommen habe, war eine Abstimmung über das Semesterticket. Das habe ich als meine Pflicht als Studentin gesehen.

SPIEGEL ONLINE: Fühlten Sie sich unter besonderem Leistungsdruck, weil Sie Bundestagsabgeordnete waren?

Marquardt: Ja, ich war mir immer sehr bewusst, was ich in Seminaren sagte. Es könnte ja falsch oder dumm sein. Es gab immer diese erwartungsvollen Blicke, dabei weiß ich auch nicht mehr als andere. Ich hatte auch Angst, dass man mir unterstellt, ich würde an der Uni Werbung machen. Darum habe mich etwa bei Diskussionen über den Kosovo-Krieg komplett rausgehalten. Ich habe die Uni als neutralen Ort gesehen, nicht als Kampffeld für meine politischen Positionen.

Mantel: Ich habe ja immer versucht, alles unter der Decke zu halten. Von dem Moment an, wo es in einem Seminar dann doch raus kam, habe ich mich zurückgehalten. Einige Professoren behandeln einen schon anders.

SPIEGEL ONLINE: Wie waren Ihre Abschlussnoten?

Mantel: 1,5.

Marquardt: Auch 1,5.

SPIEGEL ONLINE: Wie empfanden Sie die Studienbedingungen?

Marquardt: Die Bibliothek war ein großes Manko am OSI. Im Zuge der Verkleinerung wurden zum Beispiel viele Zeitungen abgeschafft. Alle haben wie wild über die "Junge Freiheit" diskutiert, aber man konnte sie nicht mehr nachlesen. Wenn man im Bundestag sitzt, stört das natürlich nicht. Man kann sich alle Bücher kaufen. Das ist schon ein unglaubliches Privileg. Eine andere Sache war, dass wir gerade in den attraktiveren Bereichen teilweise Seminare mit 150 Studenten hatten. Ich habe mehrmals meine Seminare auf Heizungskörpern verbracht. So was muss sich dringend ändern. Das war auch 1995 noch nicht so, als ich anfing.

Mantel: Ich war sehr zufrieden. Sowohl in München als auch in Berlin gab es eine große Vielfalt von Professoren. Ich war nie die typische Studentin, die in der Bibliothek sitzt. Schon vor dem Bundestag habe ich mir meine Bücher immer selbst gekauft, weil ich reinschreiben und mit den Büchern arbeiten wollte. Von daher war mir die Ausstattung der Bibliothek nie so wichtig.

Marquardt: Besorgnis erregend ist, dass es heute an der Uni immer schneller gehen muss. Meine 20 Semester sind wahrlich kein Vorbild. Aber ich finde, ab und zu sollte mehr über die Qualität des Studiums als über die Zeit geredet werden. Mir fehlt die Buntheit. Jetzt kommt der Bachelor, und alles muss noch schneller gehen. Ich bin froh, dass ich mein Diplom bekommen habe.

Mantel: Von den Bachelors mit ihren sechs Semester Turbo-Studium wird keiner genommen. Ich bin auch froh, Diplom-Politologin zu sein. Endlich steht im Lebenslauf auf meiner Bundestags-Website nicht mehr "Studentin".

Das Interview führten Sebastian Christ und Carsten Volkery

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