Technikfächer Fehlende Professoren, dafür jede Menge Abbrecher

Studenten im Labor (Archivfoto): In Mathematik, Informatik, den Natur- und Technikwissenschaften (MINT) kommen immer mehr Studenten auf einen Dozenten
Foto: Jan Woitas/ picture alliance / dpaAn deutschen Unis und Fachhochschulen muss sich ein Wissenschaftler statistisch um 15,9 Studenten kümmern - etwas mehr als noch vor gut einem Jahrzehnt. 2003 lag der Betreuungsschlüssel bei 1:15,2. Dass sich das Verhältnis trotz stark gestiegener Studentenzahlen kaum verschlechtert hat, hält der Bildungsforscher Dieter Dohmen vom Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) für "die gute Nachricht" einer neuen Studie, die am Donnerstag erscheint und die SPIEGEL ONLINE vorliegt.
Die schlechte Nachricht allerdings hat es in sich: Die Entwicklung ist in den verschiedenen Studiengängen völlig unterschiedlich, in einzelnen Fächern sind die Betreuungszahlen regelrecht abgestürzt. Beispiel Ingenieurwissenschaften: 2003 mussten sich hier noch 15,6 Studenten einen Professor oder Dozenten teilen, 2012 waren es bereits 22,4 - ein Zuwachs von fast 50 Prozent.
"Dramatisch" findet Dohmen vor allem die Steigerung an den Universitäten. "Statt 11,0 Studierende musste jeder Professor oder wissenschaftliche Mitarbeiter zuletzt 19,4 Studenten betreuen", heißt es in der Studie. An den Fachhochschulen stieg die Zahl der angehenden Ingenieure pro Dozent dagegen nur um 3,1.
Gravierende Verschlechterung
Doch es kommt nicht nur auf die Hochschulart, sondern auch auf das Bundesland an. "Besonders gravierend sind die Veränderungen an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie an den Fachhochschulen in Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen", stellen die Bildungsforscher fest.
Deutlich verschlechtert hat sich die Betreuungsquote auch in Mathematik und den Naturwissenschaften: Hier fallen insbesondere Hessen und Nordrhein-Westfalen durch verschlechterte Betreuungsverhältnisse auf - angesichts des Fachkräftemangels in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften) ein fatales Signal.
"Gerade in den für den Wirtschaftsstandort Deutschland relevanten Ingenieur- und Naturwissenschaften haben sich die Relationen drastisch verschlechtert", sagt Dohmen. Er vermutet: "Die gestiegenen Betreuungsrelationen in den MINT-Fächern könnten einer der Gründe für die hohen und zwischenzeitlich gestiegenen Abbrecherquoten sein."
Weitere Teilergebnisse der Studie zum Betreuungsverhältnis:
- In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist die Betreuung an Unis und FHs deutlich besser geworden: 2003 kamen 34 Studenten auf einen Wissenschaftler, 2012 waren es nur noch 29.
- Bei angehenden Geistes- und Kulturwissenschaftlern hat sich die Relation immerhin leicht von 1:25 auf 1:24 verbessert.
- Zwischen 2003 und 2012 zeigen die Fachhochschulen ein leicht verbessertes Betreuungsverhältnis, die Universitäten ein etwas schlechteres. "Bemerkenswert sind die überproportionalen Verbesserungen der FHs in Brandenburg, Niedersachsen, NRW und Baden-Württemberg", heißt es in der Studie.
- Insgesamt aber ist das Lehrpersonal an Fachhochschulen deutlich stärker belastet als an Unis: In Bremen kümmert sich ein FH-Dozent statistisch um 34,7 Studenten, in Schleswig-Holstein sogar um 36,4 Studenten - das ist bundesweiter Negativrekord.
Die gesamte Entwicklung ist für die FiBS-Forscher nachvollziehbar: In den meisten Bundesländern sind seit 2003 die Ausgaben pro Student gesunken - und das macht sich in insgesamt schlechteren Betreuungsquoten bemerkbar. Ob die Abschaffung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern, die am Freitag im Bundesrat beschlossen werden soll, die Hochschulfinanzierung grundlegend verbessert, ist fraglich.
Deutsche Hochschulen: So viele Studenten muss ein Dozent betreuen
Für Dohmen ist angesichts der Betreuungsdefizite in einzelnen Fächern die Politik gefragt. Beim Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern war vereinbart worden, den Hochschulen pro Studienanfänger 26.000 Euro auszuzahlen. "Der Betrag reicht, um zusätzliche Lehrkapazitäten in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu schaffen", so der FiBS-Direktor, "aber für die MINT-Fächer reicht er nicht aus." Im nächsten Hochschulpakt müssten die Zuschüsse deshalb nach Fächern differenziert werden: "Schließlich sind gute Betreuungsrelationen ein wichtiger Faktor zur Verringerung der sehr hohen Studienabbrecherquoten gerade in diesen Fächern."