Studium Pop-Ökonomie
Pop-Kultur statt Mathe büffeln
Weil theoretisches Modellwissen keine Studenten in den Hörsaal lockt, kreierte ein Weimarer Professor das Seminar "Popsong Economy". Am Beispiel von Robbie Williams oder Dieter Bohlen sollen die Studenten lernen, wie Musikbranche und Marktwirtschaft funktionieren.
Der junge Mann wirkte unscheinbar. Braunes, kurz gelocktes Haar. An seiner Schulter baumelte eine Tasche, die Beine steckten in Jeans. "Ich kenne die Hintergründe - weiß, wie das System Bohlen funktioniert", sagte er. Dann blickte er seinem Dozenten Knuth Baumgärtel fest in die Augen. Ende Januar, erzählte Baumgärtel lachend, halte der Student nun einen Vortrag - Thema: "Dieter Bohlen hautnah" im Seminar "Popsong Economy".
Bauhaus-Universität in Weimar, Fakultät für Medien. Hier entstand im vergangenen Jahr die Idee zur Popökonomie: Die Rockband Metallica hatte gerade Napster verklagt, weil sich ihre Fans die Songs bei der Musiktauschbörse umsonst herunterladen konnten. Ein Pop-Freak kam an den Lehrstuhl für Medienmanagement und zeigte den Ökonomen ein Gimmick im Netz. Die Cyber-Surfer verulkten die Rocker mit Masken, weil es den Musikern "auch nur ums Geld gehe", so Baumgärtel.
Wer zockt ab im Musikmarkt?
Das sei "so lustig" gewesen, dass die Idee zur Popökonomie entstand. Und weil die "Mitglieder der Erlebnisgesellschaft auch im Hörsaal abenteuerhungrig" sind, poppen die Medienökonomen im laufenden Wintersemester den Hörsaal mit dem Seminar "Popsong Economy" auf.
Am Beispiel der Musikbranche sollen die Studenten lernen, wie Ökonomie funktioniert und was sich hinter der bunten Glitzerwelt der Stars und Sternchen abspielt. Wer zockt wirklich ab im Musikmarkt? Und wie sind große Musikkonzerne wie Sony Music oder EMI aufgebaut?
Die Nachfrage nach Pop-Kultur im Hörsaal sei so groß, dass es nun zwei Kurse mit rund 90 Teilnehmern gebe, erzählt Baumgärtel. Ein "bunt gemischter Haufen" aus Studenten der Medienwissenschaften, Musikwissenschaften und Architektur. Die Veranstaltung sei eine Mischung aus Vortrag und multimedialer Präsentation: Abwechselnd laufen auf einer Großbildleinwand Videos, dann kommt die Analyse. Welche Rolle spielt der Videodreh? Und rentiert sich ein Konzert für den Musiker überhaupt noch?
Welche Rolle spielen Luder in Dieter Bohlens Karriere?
Oft kommen die Studenten auch selber an den Lehrstuhl und fragen: "Mich interessiert Dieter Bohlen - darf ich etwas über seine Vermarktungsstrategie erzählen?" "Na, klar", antwortet Baumgärtel - "das ist ein klasse Thema, das muss man bringen."
Ende Januar zeigt der Student nun einen 23-minütigen Film, den er aus Fernsehbeiträgen selbst zusammengeschnitten hat. Anschließend analysiert er, welche Rolle die Band Modern Talking in Dieters Leben spielt - und vor allem die zahlreichen Affären. Denn seine "Luder" vernasche der Star mit System, um sich seine extreme Medienpräsenz zu sichern.
Viele Studenten seien so begeisterte Pop-Musik-Fans, dass im Hörsaal manchmal Konzert-Atmosphäre entstehe, erzählt der Dozent. So dunkelten einmal zwei Fans der Band Radiohead den Raum ab und zündeten Kerzen an. Auf einer Großbildleinwand lief dann das Video zum Song "Creep", dem ersten Radiohead-Hit. Anschließend wurde hitzig diskutiert: Wie macht man einen Star? Und vor allem - was macht einen Star aus?
Engel-Alarm im Hörsaal
Fallstudie Robbie Williams: Der, so Baumgärtel, sei "extrem wandlungsfähig, biete aber durch seine dunkle Drogen- und Alkoholvergangenheit zugleich viel Projektionsfläche". So erzeuge der Sänger bei potentiellen Käufern Emotionen - und wecke ihre Aufmerksamkeit.
Die Folgen könne man an den Pop-Geschöpfen No Angels bestens erläutern: Schon bevor die erste Platte in die Läden kommt, leidet und freut sich der Zuschauer mit den Mädels. Es entwickelt sich eine enge emotionale Bindung aus der ein Kaufsog resultiert: Die Musik sei nun vollkommen von den Künstlern abgekoppelt, so der Diplom-Kaufmann. Steht die erste CD in den Regalen, wird sie automatisch gekauft. "Leider entstehen dadurch auch viele Eintagsfliegen."
Auch in den USA halten die Mitglieder der Pop-Kultur Einzug in längst verstaubte Uni-Gemäuer: So sind die "Simpsons" an der Siena Heights Universität in Michigan schon Teil der Religions- und Philosophieunterrichts. Wer fleißig das Leben von Bart, Homer und Maggie paukt, erhält dafür zwei Credit-Punkte.