University of Herfordshire

Tanzforscher klärt auf Wer rockt das Parkett, Dr. Dance?

Warum strotzen manche auf der Tanzfläche vor Selbstsicherheit, und andere kleben am Barhocker? Peter Lovatt hat die Antwort: Der britische Psychologe untersucht das Tanz- und Balzverhalten von Partygängern - und forscht in der Disco. Seine Botschaft an die Männer: Gebt euch mehr Mühe!
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Englands Tanzexperte: Dance, Dr. Dance!

Foto: Science Museum London

Im Umfeld der Bar halten sich einige an ihren Drinks fest, etwas näher an der Tanzfläche wippen und nicken manche im Takt, andere machen den Ort unter der Discokugel zu ihrer Bühne, beweisen Kreativität und Körpergefühl oder versuchen sich zumindest im Discofox. So ist das in jeder Disco. Aber was genau passiert eigentlich mit uns, wenn der Beat beginnt? Warum strotzen manche vor Selbstsicherheit auf dem Parkett, wieso kommen andere nicht vom Barhocker los? Und welche Tanzstile taugen am ehesten zum Balzen?

Glaubt man Peter Lovatt, entscheiden drei Faktoren darüber, wie selbstbewusst man sich auf die Tanzfläche begibt - und wie attraktiv das jeweils andere Geschlecht findet, was man dort veranstaltet: das Alter, das Geschlecht und die Gene. Lovatt muss es wissen. Der Dozent für Psychologie ist mittlerweile weit über den Campus seiner Universität in Hertfortshire, einer Grafschaft im Norden von London, bekannt - als "Dr. Dance".

Um Material für sein Tanzlabor zu bekommen, ging Lovatt vor einem Jahr in einen Club. Seine Mission: herausfinden, welcher Tanzstil auf das jeweils andere Geschlecht attraktiv wirkt - und was dahintersteckt. Zu Beginn maßen seine Studenten die Ring- und Zeigefinger der Clubbesucher. Das Verhältnis lässt auf den Testosteronspiegel schließen: Ist der Ringfinger länger als der Zeigefinger, ist der Spiegel hoch.

"Frauen verstehen das - ohne es zu merken"

Lovatt und sein Team beobachteten die Tanzfläche und holten Tänzer zu sich für einen Soloauftritt: Die Jungs tanzten 30 Sekunden in einem Nebenraum vor einer Kamera - und einem kreischenden Mädchenmob. Danach ging es mit den Videos zurück ins Labor. Lovatt legte einen Unschärfefilter über die Filme, so dass die Tänzer nur noch als Silhouette zu sehen, nur ihre Bewegungen zu erkennen waren. Diese Filme zeigte er Studentinnen. Sie wurden zur Jury und gaben ihre Wertungen ab, auf einer fünfstufigen Skala von "sehr attraktiv" bis "sehr unattraktiv".

Das Ergebnis: Die Jungs mit dem höchsten Testosteronspiegel begeisterten die Studentinnen am meisten, die mit niedrigem Spiegel am wenigsten. "Männer können ihren Testosteronspiegel mitteilen, indem sie tanzen. Frauen verstehen das - ohne es zu merken", sagt Lovatt. Die Männer, die Studentinnen in Wallung brachten, tanzten mit recht großen Bewegungen, die sie immer wieder kunstvoll variierten. Der Grat ist jedoch schmal: Wer große Bewegungen macht, die aber nicht geschmeidig zu koordinieren weiß, kommt als dominanter Platzhirsch rüber - und wird kaum Frauenherzen erobern. Die Größe der Bewegungen und die Komplexität des Tanzes nahmen mit dem Testosteronspiegel ab.

Bei Frauen war der Zusammenhang zwischen Tanzstil und Testosteron ähnlich - die Reaktion der Männer aber genau umgekehrt: Tänzerinnen mit einem hohen Hormonspiegel bewegten mehr Körperteile, und das recht unkontrolliert, während diejenigen mit einem geringeren Testosteronwert vor allem ihre Hüften dezent bewegten. Die Studenten fanden letztere am attraktivsten.

Auftritt Lovatt: Bald tanzt der ganze Saal

Lovatt sagt, er betrete Neuland mit seiner Forschung. "Es gibt viele Leute, die sich mit Dingen wie Tanztherapie beschäftigen, aber niemanden, der experimentell den psychologischen Aspekt des Tanzens angeht", so Lovatt. Er selbst war Profitänzer: Bis er 26 war, tanzte er in Musicals in den großen Hallen Englands oder trat auf Kreuzfahrtschiffen auf. An eine wissenschaftliche Karriere dachte er damals kaum. Bis er 23 war, hatte er kein einziges Buch gelesen - er konnte es schlicht nicht. Die Schule hatte er ohne Abschluss verlassen, sah er auf eine Buchseite, "war das für mich ein großer schwarzer Block".

Lesen brachte er sich dann selbst bei: "Ich dachte, es ist lächerlich, dass ich es nicht kann." Lovatt holte das Abitur nach, mit 26 hörte er auf, professionell zu tanzen. Er studierte Englisch und Psychologie und forschte dann in Cambridge. "Eines Tages - ich beschäftigte mich damals mit Erinnerung und Sprache, sehr theoretischer Kram - wanderte ich über den Campus und dachte mir: Das ist nicht meins, ich will das nicht mehr."

Der Tanz, die Bewegung fehlte Lovatt. Er wollte beides und beschäftigte sich fortan mit der Psychologie der darstellenden Künste. In Herfortshire bekam er eine Stelle und startete den Kurs "Die Psychologie des Tanzens". Lovatt tanzte in seinen Vorlesungen, er erzählte nicht nur von seiner Forschung, er zeigte, um was es geht. Die Studenten fingen an, ihn zu lieben, der Kurs war ein voller Erfolg.

Mittlerweile ist Lovatt ein gefragter Redner. Im Oktober war er im Science Museum London zu Gast, mit dem Vortrag "Tanz, Hormone und sexuelle Auslese". Am Ende tanzte der ganze Saal.

"Frauen mögen es eben nicht gern klein und einfach"

Lovatts Forschung ist populär. Jeder kann nachvollziehen, dass Frauen Männer, die sich beim Tanzen kaum und wenig einfallsreich bewegen, nicht sonderlich attraktiv finden. Völlig verblüffend sind die Erkenntnisse von Dr. Dance nicht, dafür taugen sie hervorragend zum Small Talk. Lovatt weiß das - und weiß es auch zu verkaufen: Er hat als Tänzer gelernt, ein Publikum zu unterhalten, es für sich zu gewinnen. Lernen musste er nur noch, dies auch verbal zu tun. Zur geringen Attraktivität primitiv tanzender Männer sagt Lovatt: "Frauen mögen es eben nicht gern klein und einfach."

In einer weiteren Studie stellte Lovatt im vergangenen Jahr auf der BBC-Web-Seite per Video verschiedene Tanzstile vor: Erst tapst er einfach von links nach rechts, bewegt die Arme hoch und runter. Dann werden seine Seitwärtsschritte breiter, seine Arme fliegen höher. Daraufhin ändert er nicht mehr die Größe der Bewegungen, sondern den Stil: Er winkelt die Arme an, schnippst mit den Fingern, beginnt dann rudernde, runde Bewegungen mit dem Arm, um schließlich unkoordiniert rumzuzappeln.

Die Besucher konnten einen Fragebogen ausfüllen und entscheiden: Welcher Tanzstil kommt ihrem eigenen am nächsten? Wie groß sind die Bewegungen, wie komplex sind sie? Zudem gaben die Teilnehmer an, für wie gut sie ihre Tanzkünste halten, verglichen mit Leuten des gleichen Alters und Geschlechts - die Skala reichte von "grausam" bis "exzellent".

Ab 55 geht es bei Frauen bergab

Die Resonanz war riesig, knapp 14.000 Menschen machten mit. "Alle meinten, dass ihre Tanzkünste besser sind als der Durchschnitt in ihrem Alter", so Lovatt. Gut, wer will schon zugeben, eine völlige Tanzniete zu sein? Aber Lovatt fand mehr heraus: Die Zufriedenheit mit den eigenen Tanzkünsten entwickelt sich bei Frauen und Männern im Laufe des Lebens unterschiedlich.

Am größten ist sie bei Mädchen, bis sie 16 werden. "Sie verstehen Tanzen als Freizeitspaß, nicht als Teil eines Paarungsverhaltens", so Lovatt. Das ändert sich ab 16 - das Selbstbewusstsein sinkt: "Zwischen 16 und 20 fällt die Zufriedenheit bei Mädchen deutlich ab", sagt Lovatt. "Mädchen fangen an, Tanzen als sozialen Akt zu begreifen, als eine Ausdrucksform, sich selbst darzustellen: Sie beginnen, sich Gedanken zu machen, wie sie aussehen, suchen einen Freund."

Haben sie sich mit der verlorenen Unschuld des Tanzens einmal arrangiert, steigt auch die Zufriedenheit: Ab 20 wird die Meinung über die eigene Kompetenz auf dem Parkett besser und steigt bis zum Alter von 35. Ab dann herrscht - man muss das wohl so sagen - Flaute. Die Selbstzufriedenheit stagniert. Und es wird nicht besser: Ab 55 sinkt der Wert sogar. "Das fällt mit den Wechseljahren zusammen", sagt Lovatt und macht Frauen wenig Hoffnung: "Die Zufriedenheit bleibt dann für den Rest des Lebens niedrig."

Schüttel, was du hast, denn du bist kein Brett

Bei Männern sieht es anders aus: Zwar steigt die Zufriedenheit bei ihnen ebenso bis Mitte 30, stagniert dann, sinkt ab etwa 55 - doch ab 65 beginnt der zweite Frühling. Alte Männer halten viel von ihrem Tanz. Aber warum?

Vielleicht liegt es an der abfallenden Selbstzufriedenheit der älteren Frauen: Das könnte für Männer wie eine Befreiung sein, meint Lovatt. "Es sind schon viele Männer zu mir gekommen, die sagten: 'Au Mann, ich bin ein fürchterlicher Tänzer'. Ich fragte sie: 'Warum?' Die Antwort: 'Meine Frau sagt das'."

Sind Frauen aber mit dem eigenen Tanz unzufrieden, werden sie kaum ihre Männer kritisieren, die dann befreit auftanzen können. Oder es liegt an einer natürlichen Auslese: "Optimistische Menschen leben länger, sie laufen weniger Gefahr, lebensbedrohlich zu erkranken." So könne es sein, sagt Lovatt, dass ab 65 der Anteil der Optimisten steigt.

Bleibt die Frage, was denen zu raten ist, die von ihren Tanzkünsten gar nichts halten, es daher gleich ganz lassen und am Barhocker kleben bleiben. "Ich glaube, es gibt niemanden, der nicht tanzen kann", sagt Lovatt. "Man sollte keine Angst vor den eigenen Bewegungen haben, sollte relaxen." Dr. Dance hat eine Botschaft: "Lasst los, eure Körper sollen sich bewegen!"

Sind Sie ein Tanztalent? Schicken Sie uns ein Video - Dr. Dance untersucht Ihren Tanzstil!

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