
Reise-Tattoos: Schwarz auf weißer Haut
Bali, England, Kambodscha Meine Weltreise in Tattoos
England, November 2011: "Ich habe mich verliebt"
Ich habe mich in England verliebt, als ich mit 15 auf Klassenfahrt dort war. Deswegen suchte ich mir ein Jahr später einen Praktikumsplatz bei einem Londoner Fotografen. Als ich wieder zu Hause in Frankfurt war, hatte ich solches Fernweh, dass ich mir den Titel eines Punksongs unter die linke Brust tätowieren ließ, direkt am Herzen: "England belongs to me".

Sehnsucht nach England: Das Fernweh ist bereits erwacht, das Tattoo hat sich Kim aber in ihrer Heimat Frankfurt stechen lassen
Foto: Marcel KlovertIch schmiss die Schule und zog mit 18 nach London. Um über die Runden zu kommen, arbeitete ich als Putzfrau. Das war nicht so mein Ding, und einen Job im Callcenter bekam ich wegen meiner Piercings nicht. Ich hatte eine tolle Zeit in London, aber nach fünf Monaten ging mir das Geld aus.
Danach jobbte ich in einem Klamottenladen in Berlin, doch glücklich war ich nicht. Die Stadt ist so kalt. Meine Großeltern stammen aus Java. Also buchte ich einen Flug dorthin, um zu sehen, wo meine Wurzeln sind. Als ich ankam, musste ich weinen, weil ich froh war, endlich weit weg zu sein von Deutschland.
Bali, Oktober 2013: "Der Tätowierer trug einen Lendenschurz"
Ich reiste nach Bali, wo ich mein erstes traditionelles Hand-Tapping-Tattoo bekam. Vorher war ich supernervös. Der Tätowierer arbeitete mit zwei Stöcken: An den einen Stock hatte er mit Klebeband die Nadel befestigt, mit dem anderen klopfte er darauf. Ich saß auf einer Bambusmatte in einem Holzhaus in Ubud und schaute auf die Reisterrassen vor dem Fenster.
Der Tattoo-Künstler war Ende zwanzig und selbst voll tätowiert. Er trug einen Lendenschurz und goldene Messingringe in den riesengroßen Ohrläppchen. Auf der Veranda spielten seine Freunde Gitarre und balinesische Maultrommel. Es war Mittag und ziemlich warm. Das Tattoo hatten wir gemeinsam entworfen, es erinnert an die Tätowierungen der Mentawai-Bevölkerung auf Sumatra. Ich wollte unbedingt ein Andenken an diese Reise und bin immer noch sehr stolz und verliebt in dieses Tattoo.

Traditionelle Tattootechnik: Mit Stöcken unter die Haut geklopft
Foto: Marcel KlovertKambodscha, November 2013: "Glückszeremonie vor Buddha"
Mein Vater hatte mir viel von den Ruinen von Angkor Wat erzählt, doch als ich selbst inmitten der riesigen Tempelanlage stand, war ich sprachlos. Auf dem Rückweg fragte ich einen Tuk-Tuk-Fahrer nach einem Tätowierer in Siem Reap. "Ich bring dich hin", sagte er und bog in eine schmale Gasse ein. Über Schlaglöcher holperten wir zu einem schäbigen Haus.
Nach einer halben Stunde rief mich ein Mann in Shorts mit goldenen Ringen an den Fingern in einen winzigen Raum mit blauweißem Neonlicht. Er setzte mich auf einen wackligen Zahnarztstuhl, und ich suchte mir ein kleines buddhistisches Glückssymbol aus, für mehr reichte mein Geld nicht.

Fünf-Minuten-Tattoo aus Kambodscha: Zeremonie aufwendiger als das Stechen
Foto: Marcel KlovertDer Tätowierer befestigte eine neue Nadel an seinem Holzstab, zog den Rolltisch mit der Tinte heran, und nach fünf Minuten war er fertig. Dann wurde es spannend: Im Vorraum musste ich mich vor einen großen Buddha auf den Boden setzen. Er zündete Kerzen und Räucherstäbchen an und begann zu beten, dass mir mein Tattoo Glück bringen möge. Der Tätowierer knotete ein rotes Band um mein Handgelenk und besprühte mich mit Parfum, das nach Rasierwasser roch. Die Aktion war ziemlich verrückt, aber ich bereue das Tattoo überhaupt nicht, weil es mich immer an Kambodscha erinnern wird.
Java, November 2013: "Ein Fingertattoo für Frauen"
Meine Großmutter wuchs auf einer Plantage auf Java auf und hat mir als Kind oft von den Wasserbüffeln und ihrem Pferd erzählt. Sie war recht wohlhabend, bis die Japaner kamen und sie auf einem Schiff nach Holland floh.
Nun reiste ich durch ihre Heimat, und es fühlte sich überhaupt nicht fremd an, obwohl alles neu war. Ich mietete mir eine Wohnung in Jakarta, um einem Tätowierer, dessen Stil ich sehr mag, einige Monate lang bei der Arbeit zuzuschauen.

Traditionelles Tattoo für Frauen: Eine halbe Stunde Schmerzen
Foto: Marcel KlovertIch war im Internet auf ihn gestoßen. Das Tattoo auf meinen Fingern habe ich mir von seinem Assistenten gewünscht, es ist ein traditionelles Tattoo aus Borneo für Frauen. Ich saß auf einem gepolsterten Stuhl, alles war blitzsauber, wir haben das Studio jeden Morgen geputzt. An der Innenseite der Finger tat es weh, aber es dauerte nur eine halbe Stunde.
Philippinen, April 2014: "Kohlepaste unter der Haut"
Für diesen Farn bin ich fünf Stunden lang ins Bergdorf Buscalan gewandert, wo die Tattoo-Künstlerin Whang Od lebt. Sie ist über 90 Jahre alt und tätowierte schon Menschen, als sie ein junges Mädchen war. In ihrem Dorf fahren keine Autos, nicht mal Mopeds oder Fahrräder. Ich kam abends an Whang Ods Haus an und wollte sofort ein Tattoo, doch sie hatte keine Zeit, sie musste noch die Schweine füttern.
Am nächsten Morgen saß ich auf ihrer Veranda und trank süßen Kaffee, der Nebel hing noch über den Bergen, als Whang Od in orangefarbenen Strumpfhosen und einem viel zu großen schwarzen T-Shirt über die Felder gelaufen kam. Sie hat zwei weiße Strähnen in den langen grauen Haaren, fröhliche Falten im Gesicht und kaum noch Zähne.
Das Tattoo hat sie für mich ausgesucht und mit einem Dorn gestochen, den sie mit Kohlepaste bestrichen hatte. Viele Leute fragen mich, was aus meinen Tattoos werden soll, wenn ich alt bin. Whang Od ist alt und voll tätowiert, und sie sieht immer noch wunderschön aus. Es ist doch egal, ob ich jung oder alt bin, meine Tattoos gehören zu mir.

Kohlepaste mit einem Dorn unter die Haut gestochen: Für dieses Tattoo ist Kim fünf Stunden gewandert
Foto: Marcel Klovert
Ausgabe 4/2014
Der Überlebende
Die abenteuerliche Geschichte des Studenten Patrick Manyika aus Ruanda