
Tipp fürs EM-Tippspiel: Bauch schlägt Hirn
Tipps fürs EM-Tippspiel Jetzt bloß nicht nachdenken!
Vor Europa- und Weltmeisterschaften wird Franz Baumgarten regelmäßig um eine Einschätzung gebeten. Der angehende Sportpsychologe, 27, ist verrückt nach Fußball, glühender 1.-FC-Magdeburg-Fan. Stundenlang legt er sich vor großen Turnieren Strategien zurecht, weil er glaubt, Ereignisse besser vorhersehen zu können als andere.
Baumgarten kann die Fifa-Weltrangliste oder den Uefa- Koeffizienten herunterbeten, kennt pikante Details aus der Mannschaftskabine, Neuigkeiten über die psychische und physische Verfassung der Spieler saugt er über Blogs und Zeitungen nur so auf. Genüsslich fachsimpelt er über Fakten und Gerüchte mit sachkundigen Kommilitonen. Trotzdem gelang ihm bisher noch kein einziger Tippspiel-Sieg. Im Gegenteil. "Ich lag regelmäßig im unteren Drittel, das hat mich irgendwann wahnsinnig gemacht", sagt er.
Der Potsdamer Student entschloss sich, das Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Ein gutes halbes Jahr forschte er im Rahmen seiner Diplomarbeit dazu. Hilft Expertise beim Tippen von Spiel-Ergebnissen? Und wenn ja, unter welchen Umständen gelingt Mannschaftskennern die Vorhersage am besten?
Tippspielforschung: Mehr Glück als Verstand?
Seit etwa zehn Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft mit dem Phänomen. Der Sportpsychologe Markus Raab von der Sporthochschule Köln beispielsweise. Er belegte, dass Expertise beim Tippen überhaupt nichts bringt, weil der Zufall Turnierverläufe dominiert. Mehr Glück als Verstand segnet ihm zufolge den Wettkönig, was erklären würde, warum Laien beim Tippspiel fast ebenso oft abräumen wie Fachkundige.
Baumgarten aber wollte nicht glauben, dass allein der Zufall regiert. In nahezu allen Lebenslagen vertraue der Mensch auf die Meinung der Experten, dachte er sich. "Selbst bei der Einschätzung von Aktien- oder Börsenkursen, einem ebenso unvorhersehbaren Geschäft, befragen wir Makler", sagt er. Angehäuftes Wissen muss in der Praxis nützen, glaubt Baumgarten. Deswegen folgt er einer anderen Annahme: Eine Expertise begünstigt die Einschätzung durchaus, allerdings scheinen die Umstände eine Rolle zu spielen.
Expertenwissen trifft Bauchgefühl
Baumgartens Hypothese folgt der Theorie des Psychologen AP Dijksterhuis. Der Holländer geht davon aus, dass wir unbewusst oft die besseren Entscheidungen fällen. Um das Phänomen besser begreiflich zu machen hat Dijksterhuis die Theorie der unbewussten Gedanken entwickelt. Zwingt sich der Fachkundige zum Brainstormen, kommen ihm eine Fülle an Informationen in den Sinn und er läuft Gefahr, den Überblick zu verlieren. "Er gewichtet alle Informationen gleich, was ein Fehler ist", sagt Baumgarten.
Entscheidet aber das Unbewusste, durchlaufen Informationen mehrere Filter. Dadurch werden sie geordnet und gewichtet. Das Unbewusste trifft - nach Dijksterhuis - die überlegteren Entscheidungen. "Deshalb kommen uns auch die besten Ideen oft, wenn wir gar nicht richtig daran denken, zum Beispiel beim Einkaufen oder Zähneputzen", sagt Baumgarten.

Studenten als Löw-Berater: Fußball? Griech ich nicht genug von
Dijksterhuis' Theorie, in der Wissenschaft nicht unumstritten, konnte der Student in seinem Experiment belegen. 196 Probanden schickte Baumgarten mit seinem Kollegen Goeffrey Schweizer von der Universität Heidelberg ins Labor. Anhand von Tests wurden sie in drei Gruppen eingeteilt. In Laien, Wissensexperten und Tipperfahrene. Letztere brachten nicht nur detailreiche Kenntnis über Fußball mit, sondern wetteten auch seit vielen Jahren auf Spielergebnisse.
Die Probanden sahen allein die Namen der Mannschaften, die in der bevorstehenden Bundesliga-Saison gegeneinander spielen würden. Gruppe eins musste nach wenigen Sekunden einen Tipp abgeben, Gruppe zwei konnten sich mehrere Minuten Zeit nehmen. Die dritte Gruppe sah die vorherzusagenden Partien, vor der Tippabgabe wurde sie aber durch ein Buchstabenrätsel abgelenkt.
Im Zweifel immer 2:1
Am Besten schnitten Tipperfahrene ab, die sich zwischendurch der anderen Aufgabe gewidmet hatten und dann schnell entschieden hatten.
Baumgartens Fazit: Fachwissen hilft, wenn der Fußballkundige nicht allzu lange grübelt. Je mehr Expertise Personen besitzen, desto weniger bringt das eigentliche Nachdenken. "Am besten ist es, sich die Mannschaften anzuschauen, Informationen zu sammeln, sich dann aber mit etwas völlig anderem zu beschäftigen und danach schnell zu tippen", sagt er.
Bei Laien hingegen hilft die Ablenkungsaufgabe nicht viel, da sie kaum über Fachinformationen verfügen, die das Gehirn auch nicht ordnen oder filtern muss. "Bei Tippspielen rate ich Laien, gewisse Daumenregeln zu beachten", sagt Baumgarten. Neben dem Blick in die Fifa-Weltrangliste spiele die Tordifferenz eine Rolle, in der Regel würden Heimspiele oft gewonnen. Im Zweifel tippt man 2:1, weil dies das häufigste Fußballergebnis ist.
"Wenn Laien die Fußballexperten ins Aus manövrieren wollen, sollten Sie diese zum Grübeln animieren", sagt Baumgarten und lacht. Das könnte erklären, warum er im derzeitigen Tippspiel wieder auf dem vorletzten Platz rangiert. "Mich haben wieder alle nach meiner Einschätzung gefragt, und ich habe wieder zu viel nachgedacht", sagt er. An vorderster Stelle steht eine Kollegin, die nach eigener Aussage überhaupt keine Ahnung von Fußball hat.