Schwangere ohne Mutter Mama, du fehlst mir

Frauenhände und Babyfüße
Foto: Dominic Lipinski/ dpaWir warten auf dem langen, zu hell erleuchteten Flur vor dem Kreißsaal. Zum Glück sind heute Abend nur wenige Geburten im Gange, wir werden gleich drankommen. Hoffentlich ist mit dem Baby alles in Ordnung.
Zwei Stunden zuvor: verdammtes Glatteis. Ich will zum Yoga und komme keine zwei Meter weit. Direkt vor der Haustür falle ich auf dem Bürgersteig hin. Ein Sturz in der Schwangerschaft. Sofort habe ich die Sätze aus den Ratgebern im Kopf: "mögliche Plazentaablösung", "sofort zum Arzt". Andererseits tut mir der Bauch nicht weh. Soll ich nicht einfach wie geplant zum Yoga gehen? Vorsichtig richte ich mich auf.
Die Angst kann ich jedoch nicht abschütteln. Ich bin in der 24. Schwangerschaftswoche, das Kind ist gerade erst lebensfähig. "Mit Ihrem Baby ist alles in Ordnung, Sie müssen sich keine Sorgen machen", sagt die Ärztin nach einem Blick auf den Ultraschallmonitor. Ich atme aus, mein Mann lächelt mich an, ich werde ruhiger. Es ist alles gut gegangen.
Meine Mutter fehlt jeden Tag, jedes Jahr
Die Angst, dem Baby könnte etwas passieren, begleitet mich durch die Schwangerschaft. Ich habe bereits einen Verlust erlebt: Meine Mutter starb, als ich elf Jahre alt war. Nun bin ich erwachsen und werde selbst Mutter. Doch ich war nicht darauf vorbereitet, wie stark mich ihr Tod in dieser Phase wieder beschäftigen würde.
Das Baby ist so gewünscht, so gewollt, wir feiern jeden Millimeter Baby, der in meinem Bauch wächst. Ich wusste schon immer, dass ich Mutter werden möchte. Erst jetzt merke ich jedoch, wie eng der Weg dorthin mit der Trauer um meine Mutter verknüpft ist - auch nach fast 20 Jahren. Gegen die Ängste um das Baby helfen mir daher leider keine Wahrscheinlichkeiten. Schließlich ist es auch extrem unwahrscheinlich, mit Anfang 30 an Brustkrebs zu erkranken und daran zu sterben. Ihr Tod betrifft mich nun auf ganz neue Weise.
Klar, die Lücke, die war immer da. Als ich Abitur machte und danach nach Australien aufbrach, ein Studium begann, im Ausland studierte. Und sie ist auch nach wie vor in all den normalen Momenten da, wenn zum Beispiel eine Freundin erzählt, dass sie mit ihrer Mutter für ein langes Wochenende nach Rom fliegt. Meine Mutter fehlt jeden Tag, jedes Jahr. Das ist ein Grundrauschen in meinem Leben.
Jeder geht davon aus, dass Schwangere engen Kontakt zu ihrer Mutter haben
Doch jetzt ist es nicht nur meine Freude über den positiven Schwangerschaftstest, die ich mit ihr teilen möchte, und die vielen Fragen, die ich plötzlich an sie habe. Sondern es ist auch das Gefühl: Ich falle durch alle Raster. Jeder Schwangerschaftsratgeber, jeder Mama-Blog geht irgendwann darauf ein, wie sehr sich die Beziehung der Schwangeren zu ihrer eigenen Mutter durch die Schwangerschaft intensivieren würde. Aha.
Auch in zahlreichen Bemerkungen von Fremden, Nicht-ganz-so-Fremden und entfernten Bekannten merke ich, dass automatisch jeder davon auszugehen scheint, dass ich meine Mutter noch habe und als Schwangere natürlich in ganz engem Kontakt mit ihr stehen würde. Als ich den Umzug erwähne, freut sich meine Hebamme: "In die Heimat? Zurück zu Mama? Das ist ja schön!" Ja, das wäre wirklich schön.
Zum Glück hatte meine Mutter für mich festgehalten, wann ich meine ersten Schritte und anderes in den ersten Jahren gemacht habe. Und auch ihre Freude über mich als Baby hat sie aufgeschrieben. Ihre Worte kann ich wieder und wieder lesen. Und ich bin dankbar, dass sie die Eckdaten meiner Geburt in mein Fotoalbum geschrieben hat: morgens mit Wehen in die Uniklinik, spazieren gehen, dann in den Kreißsaal und eine schnelle und komplikationslose Geburt. Das stimmt mich optimistisch.
Allerdings nur bis zum Geburtsgespräch. Aufgrund der Beckenendlage setzt die Oberärztin einen geplanten Kaiserschnitt an. Ich bin tieftraurig. Jetzt bin ich doch die, bei der es anders laufen wird - erneut. Und ich merke: Diese Empfindungen kommen von früher; als Kind war ich stets die, bei der die Familiengeschichte "nicht normal" war, "die mit der toten Mutter", die, die in ihrer Kindheit schon mit schwerster Krankheit und Hospiz konfrontiert war. Und dabei will ich doch einfach nur mal den normalen Weg gehen.
Und dieses Mal klappt es doch! Dank dem Rat der Ärzte versuchen wir es - und unser Sohn kommt tatsächlich auf natürlichem Weg zu Welt. Noch Tage später kreisen die Gedanken in meinem Kopf: "Wir haben ein Kind. Es war eine gute Geburt. Unserem Sohn und mir geht es bestens. Was für ein beeindruckendes Erlebnis so eine Geburt ist. Es ist alles, alles, alles gut gegangen!"
Nun fehlt mir meine Mutter plötzlich auch als Oma meines Sohnes. Und wieder mache ich die Erfahrung, damit allein dazustehen. Andere Mütter erzählen, dass ihre Mama extra kommt, um nach der Geburt für sie da zu sein. Im Krabbelkurs wird vorgeschlagen, die Oma könne ja babysitten. Für mich ist das Gefühl zunächst schwer auszuhalten, dass meine Mutter im kleinen Leben meines Sohnes nicht vorkommt.
Doch dann realisiere ich, dass meine Mutter kaum präsenter sein könnte. So viel von dem, was mir in unserem Familienleben wichtig ist - wie wird Weihnachten gefeiert, wie der Kindergeburtstag - hat mir meine Mutter mitgegeben. Und so fehlt sie nicht nur jeden Tag. Sie ist auch jeden Tag da.
Anmerkung: Die Redaktion kennt den Namen der Autorin und respektiert ihren Wunsch, anonym bleiben zu wollen.