Tschüss, Campusmaut Hessen schafft Studiengebühren ab
Zum kommenden Wintersemester ist das Studium an hessischen Hochschulen wieder gebührenfrei. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linksfraktion beschloss der Landtag in Wiesbaden am Dienstag die Abschaffung der erst zum vergangenen Wintersemester eingeführten Beiträge. CDU und FDP stimmten dagegen.
SPD und Grüne hatten das Aus der Studiengebühren nach der Landtagswahl Ende Januar auf den Weg gebracht. Nach ihrem Willen soll es künftig weder allgemeine Gebühren noch Beiträge für ein Zweitstudium oder für eine lange Studiendauer geben. Die drei Fraktionen verwirklichen mit ihrem ersten großen gemeinsamen Gesetzgebungsprojekt ein Wahlkampfversprechen.
Erst seit dem Wintersemester 2007/2008 müssen Studenten in Hessen 500 Euro pro Semester zahlen und konnten das mit wütenden Proteste nicht verhindern. Die CDU hatte die Einführung der Gebühren im Oktober 2006 mit ihrer seinerzeit noch absoluten Mehrheit durchgesetzt. Der damalige Wissenschaftsminister Udo Corts ( der mit dem Fanclub hatte die Gebühren als notwendig bezeichnet, um die Studienbedingungen an den Hochschulen verbessern zu können. Jetzt muss die geschäftsführende Wissenschaftsministerin Silke Lautenschläger (CDU) den Beschluss zur Abschaffung der Gebühren umsetzen.
Zwei Klagen liegen bei den Verfassungsrichtern
SPD und Grüne betonten am Dienstag, mit der Abschaffung der Gebühren ein zentrales Versprechen aus dem Landtagswahlkampf einzulösen. Beide Parteien wie auch die Linke halten die Studienbeiträge für unsozial und verfassungswidrig. Vor dem hessischen Verfassungsgericht, dem Staatsgerichtshof, hatten SPD und Grüne Anfang 2007 eine gemeinsame Klage eingereicht. Für eine weitere Klage sammelten Studenten und Gewerkschaften fast 80.000 Unterschriften; nötig sind für eine Volksklage lediglich 43.000 Unterschriften.
Über die Klagen will der Staatsgerichtshof nächsten Mittwoch entscheiden. Denn in Hessen ist die Situation nicht nur politisch heikel, sondern auch rechtlich besonders verzwickt: Anders als in allen anderen Bundesländern ist der Verzicht auf Gebühren für Studenten und Schüler in der Landesverfassung vorgesehen - jedenfalls nach Interpretation der Gebührengegner, die sich auf einen Passus der Landesverfassung zu "Unterrichtsgeldfreiheit" berufen.
Besonders pikant: Ausgerechnet Roland Kochs Vater hatte sich vor 60 Jahren erfolgreich gegen Studiengebühren gewehrt. Karl-Heinz Koch setzte damals die Abschaffung der "Vorlesungsgebühren" durch und berief sich ebenfalls auf Artikel 59 der Landesverfassung, auf den die Campusmaut-Kritiker auch heute bauen.
Guter oder schlechter Tag für die Hochschulen?
In der Landtagsdebatte am Dienstag warnte die CDU abermals vor negativen Folgen der Gebühren-Abschaffung. Ohne Studiengebühren würden die hessischen Hochschulen von Studierenden aus anderen Bundesländern "überflutet", sagte die Abgeordnete Eva Kühne-Hörmann. Die hessischen Studenten hätten dann das Nachsehen. "Das ist ein schlechter Tag für die hessischen Hochschulen", so Kühne-Hörmann. Die Universitäten hätten dann weniger Geld, weniger Autonomie, aber mehr Studenten. Auch die FDP kritisierte das Gesetz.
Die Abschaffung der Gebühren stelle die Chancengleichheit beim Hochschulbesuch wieder her, argumentierte dagegen der SPD-Abgeordnete Michael Siebel. Die Zeit sei reif, einen Irrweg in der Hochschulpolitik zu beenden. Studiengebühren schreckten vor allem junge Menschen aus sozial schwachen Familien vom Studium ab, das zeigten Erfahrungen aus Baden-Württemberg.
Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir wertetet das Gesetz als Beleg dafür, dass sich im hessischen Landtag ohne Regierungsmehrheit und mit einer geschäftsführenden CDU-Regierung durchaus fortschrittliche Politik gestalten könne - "wenn auch unter erschwerten Bedingungen". Die Grünen hätten im Wahlkampf versprochen: "Gebühren sind abwählbar". Dieses Versprechen sei eingelöst worden.
Janine Wissler von der Linken betonte, den Studenten werde ein "zentrales bildungspolitisches Grundrecht zurückgegeben", nämlich das Recht auf ein kostenfreies Studium. Allerdings hatte die Linke in einem eigenen Gesetzentwurf auch gefordert, den Studenten müssten die bisher gezahlten Gebühren zurückerstattet werden. Das wurde nach Annahme des rot-grünen Gesetzes einstimmig abgelehnt.
Hochschulen erhalten Ausgleich aus dem Landesetat
Am Ende stimmten CDU und FDP zwar gegen die Abschaffung, verzichteten aber darauf, eine dritte Lesung des Gesetzes zu erzwingen, die sonst am Donnerstag hätte stattfinden sollen. SPD, Grüne und Linksfraktion hatten ihre Absicht unmissverständlich kundgetan, und zusammen haben sie eine Mehrheit von 57 gegen 53 Stimmen im neuen Wiesbadener Landtag.
Das Gesetz legt auch fest, dass Studenten fortan nach deutlicher Überschreitung der Regelstudienzeit keine Langzeit-Studiengebühren zahlen müssen. Die Hochschulen sollen die mit der Gebühren-Abschaffung verbundenen Einnahmeausfälle aus dem Landeshaushalt ersetzt bekommen. Über die Vergabe dieser Mittel sollen Kommissionen an den Hochschulen entscheiden, an denen die Studenten zur Hälfte beteiligt sind.
Ersatz für die Gebühren-Einnahmen von rund 96 Millionen Euro pro Jahr hatten Hessens Hochschulpräsidenten gefordert. "Wir brauchen diese Gelder. Es darf nicht weniger werden", sagte Stefan Hormuth, Präsident der Gießener Uni. Wichtig sei es zudem, die steigenden Studentenzahlen zu berücksichtigen und die Zuschüsse entsprechend zu dynamisieren. Auch sein Kollege Rudolf Steinberg von der Frankfurter Universität verlangte langfristige Ausgleichszahlungen vom Land. Die Uni Marburg befürchtet, dass das Land dabei auf das Geld für die Modernisierung der Hochschulen zurückgreift.
jol/dpa/ddp/AP