Auf das deutsche Kopftuch-Urteil reagierten die türkischen Medien verhalten. Dort ist die Trennung von Staat und Religion ein besonders brisantes Thema, die Türkei geht weit rigoroser vor: Längst wurden alle Kopftücher von den Universitäten verbannt. Fromme muslimische Studentinnen umgehen das Verbot bisweilen mit List.
Die türkische Presse berichtete nur pflichtschuldig über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Lediglich die regierungsnahe Tageszeitung "Yeni Safak" ("Die neue Morgenröte") setzte Fereshta Ludin auf die Titelseite
und lobte implizit die Karlsruher Entscheidung.
Auch Politiker der regierenden "Entwicklungs- und Gerechtigkeitspartei" (AKP), deren Vorgänger-Organisationen seit Jahren für die Liberalisierung des Kopftuchverbotes an türkischen Universitäten gekämpft hatten, halten sich auffällig zurück.
Der Hintergrund: Die Kopftuchfrage ist eines der brisantesten politischen Themen in der Türkei. An ihr scheiden sich die Geister zwischen dem laizistischen Establishment, vertreten durch die Armee, und den Massen der frommen Muslime, die der konservativen AKP im vergangenen November zu ihrem fulminanten Wahlsieg verholfen haben.
Premierminister Recep Tayyip Erdogan, dessen Ehefrau in der Öffentlichkeit stets mit streng gebundenem "Türban" auftritt, ist selbst für die Freigabe des Kopftuchs, doch zur Enttäuschung seiner Wähler meidet er eine öffentliche Auseinandersetzung mit den säkularen Eliten des Landes. Während seine Töchter an amerikanischen Universitäten studieren, um das Verbot zu umgehen, behelfen sich die frommen Töchter weniger wohlhabender Türken mit einem Trick: Viele von ihnen tragen Perücken, wenn sie den Campus betreten.
Sah es in den neunziger Jahren so aus, als würde massiver öffentlicher Druck der "Kopftuch-Studentinnen" auf den laizistischen "Rat für Höhere Erziehung" letztlich Erfolg haben, wendete sich das Blatt nach dem
verheerenden Erdbeben im Sommer 1999: Demonstrantinnen vor dem Haupteingang der Istanbuler Universität hielten Transparente für die Freigabe des Kopftuchs hoch und beschuldigten gleichzeitig die säkulare Armee und Universitätsleitung, an dem Erdbeben schuld zu sein: "Reichen 7.4 Punkte auf der Richter-Skala nicht als Beweis?", lautete eine der Parolen - die Naturkatastrophe als göttliches Strafgericht für das Kopftuchverbot.
Seither haben es die Kopftuch-Demonstrantinnen deutlich schwerer, ihre Argumente durchzusetzen; für viele moderne Türken offenbarte der Skandal nach dem Erdbeben, dass unter dem Kopftuch eben doch gefährlich
intolerante und reaktionäre Gesinnungen blühen. Erdogans Zurückhaltung dürfte auf genau diese Wahrnehmung zurückgehen: Er würde gegenüber Europa, zu deren Mitgliedern die Türkei einst gehören möchte, ungern den Eindruck religiöser Rückständigkeit erwecken.