Ukrainische Studentinnen Mit Krawall gegen Sextourismus

Wo sie auftauchen, wird's turbulent. Mit rabiaten Mitteln kämpft die Gruppe Femen gegen Sextourismus und Prostitution in Kiew. Die Studentinnen und Schülerinnen ziehen sich aus, warnen Ausländer, werfen mit Schlamm oder Torten. Ihr Schlachtruf: "Die Ukraine ist kein Bordell!"
Von André Eichhofer

"Ukrainian girls are not for sale", lautet die Botschaft auf dem Plakat. Eine Gruppe junger Frauen hat sich auf der Kiewer Flaniermeile Kreschtschatik unter die Menschenmenge gemischt. Sie tragen rosa Strumpfhosen, Miniröcke, High-Heels. "Heute gehen wir auf Patrouille", sagt Abiturientin Nastia.

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Foto: Slavica Ziener

Die Frauen halten Ausschau nach Ausländern. Nastia erblickt einen schick gekleideten Mann, der sich als dänischer Tourist entpuppt. Sie spricht ihn an, drückt ihm einen Flyer in die Hand. "Die Ukraine ist kein Bordell", steht darauf, plus der Hinweis, dass die Ukraine die höchste Aids-Rate Europas hat. Und dass die Mafia unterstützt, wer sich mit Prostituierten einlässt.

"Wir wollen die Sexsucht einiger Ausländer heilen"

"Wir erkennen Ausländer an ihren Gesichtszügen und an ihrer Kleidung", erklärt Nastia. "Meist liegen wir richtig." Die jungen Frauen sprechen drei südländisch aussehende Männer an. Die drei Italiener sagen, sie seien auf Geschäftsreise, beteuern, noch nie Sex mit Prostituierten gehabt zu haben. "Meist reagieren die Leute freundlich auf uns", sagt Nastia. Manchmal hagele es aber auch Pfiffe.

Letztes Jahr haben die Frauen die Organisation Femen gegründet. Die meisten Mitglieder sind Studentinnen, es gibt aber auch Schülerinnen und sogar ein paar Männer. Die Mission: Kampf gegen Sextourismus und Prostitution - und das mit krawalligen Aktionen. Verkleidet als Krankenschwestern und mit Spritzen im Gepäck zogen die Frauen zum Beispiel vor die türkische Botschaft. Anna Hutsol, Gründerin und Leiterin von Femen, sagt: "Das war symbolisch gemeint. Wir wollten die Sexsucht einiger Ausländer heilen." Denn die Ukraine habe sich zum Reiseziel für Sextouristen entwickelt - aus allen westlichen Ländern.

Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums gibt es etwa 12.000 Prostituierte in der Ukraine. Jede Achte ist einer Umfrage des Kiewer Soziologischen Instituts zufolge Studentin oder Schülerin. In der Hauptstadt sei der Anteil noch höher, so Anna Hutsol: "Wir schätzen, dass 60 Prozent der Prostituierten in Kiew Studentinnen sind." Hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen und Lebenshaltungskosten wie in Westeuropa trieben viele Studentinnen in die Prostitution. Laut offizieller Statistik lag das Durchschnittseinkommen 2008 in Kiew bei 300 Euro monatlich. Wegen der Wirtschaftskrise sind die Gehälter in diesem Jahr gesunken, Tausende haben ihren Job verloren. Dabei sind Lebensmittel oder Kleidung etwa so teuer wie in Deutschland. Die Inflation soll in diesem Jahr auf 20 Prozent galoppieren; gepfefferte Studiengebühren machen Studenten zusätzlich das Leben schwer.

Aus "Expats" werden "Sexpats"

Die schlechte Wirtschaftslage und lockere Einreisebestimmungen seien ein Nährboden für Sextourismus, sagt Femen-Sprecherin Tania Kozak. Zusammen mit dem Kiewer Soziologischen Institut hatte Femen eine Umfrage unter 1200 Studentinnen gestartet. 70 Prozent erklärten, schon einmal Sex-Angebote von Ausländern erhalten zu haben - in Discotheken, Bars oder einfach so auf der Straße.

Was vielen Ausländern nicht klar ist: Prostitution ist in der Ukraine nach Artikel 302 des Strafgesetzbuches verboten. Trotzdem wird Bezahl-Sex verschleiert angeboten - ob auf Web-Seiten, als "Escort-Service" getarnt oder in Nachtclubs. Im vergangenen November wurde ein 21-jähriger Concierge eines Kiewer Luxushotels verhaftet, weil er Prostituierte an ausländische Gäste vermittelt haben soll - gegen eine "Gebühr" von hundert Dollar. Ausländer, die sich mit Prostituierten einlassen, haben in Kiew längst einen Spitznamen: "Sexpats", so die Verballhornung der "Expats", der von ausländischen Firmen entsandten Angestellten.

"Ausländern ist nicht bewusst, dass sie mitunter ihr Leben riskieren", warnt Tanja Kozak. Denn die Ukraine hält einen traurigen Rekord: Nirgendwo in Europa ist die Aids-Rate höher als im Land zwischen den Karpaten und der Krim. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind in der Ukraine 1,6 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert. Zum Vergleich: In Deutschland sind es etwa 0,1 Prozent. Allein in Odessa sollen 150.000 Menschen infiziert sein, schätzt die WHO.

Tortenwurf auf einen Macho

Mit einer Kampagne will Femen die Menschen sensibilisieren. So versammelten sich mit dem dem Slogan "Die Ukraine ist kein Bordell" Studentinnen auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew, zogen sich aus und steckten sich Dollarscheine in den BH. Gründerin Anna Hutsol: "Würden wir in Schlabberlook rumlaufen, würde uns doch niemand wahrnehmen." Ein anderes Mal hatten sich die Studentinnen auf der Straße mit Schlamm beworfen, um gegen die "politische Schlammschlacht in unserem Land zu protestieren", so Hutsol. Wegen des Dauerzwistes zwischen Präsident Juschtschenko und Premier Timoschenko sei das Land wie gelähmt, viele Menschen seien politikverdrossen - "und wir wollen die Leute wachrütteln".

Femen sei keine feministische Organisation, betont Abiturientin Nastia: "Ich mag es, wenn mir ein Mann die Tür aufhält oder mich zum Essen einlädt." Studentin Alexandra wirft ein: "Trotzdem benehmen sich manche Männer wie Chauvinisten." Alexandra studiert an der Universität in Chmelnitsk Finanzmanagement. Im April hatte sie für landesweite Aufregung gesorgt, als sie dem Schriftsteller Oljes Buzina bei einer Buchvorstellung eine Sahnetorte ins Gesicht schleuderte. Viele Frauen waren zornig über Buzinas zuvor veröffentlichtes Traktat mit dem Titel "Frauen zurück in den Harem". Seine sonderbaren Ansichten: Frauen gehörten an den Herd und hätten sich jederzeit für Sex bereitzuhalten.

"Nach dem Tortenwurf wurde er gewalttätig, benahm sich wie ein Hooligan und sprühte den anwesenden Journalisten Reizgas in die Augen", erzählt Alexandra. Buzina kann die Empörung über sein Buch nicht verstehen. "Es wurde über zehntausend Mal verkauft. Frauen haben mich um Autogramme gebeten", schreibt er in seinem Blog. Für Alexandra hatte die Tortenattacke keine schlimmen Folgen. Auf dem Polizeirevier habe sie eine Strafe von 85 Griwna (ca. 8,50 Euro) zahlen müssen, damit sei die Sache erledigt gewesen. "Sogar die Polizisten hatten Verständnis mit mir."

Performance mit DJ Hell

Sprecherin Tania Kozak beschreibt Femen als politisch unabhängig. In einem Café in der Nähe des Unabhängigkeitsplatzes planen die Frauen Kampagnen, beschriften Plakate, entwerfen Flugblätter. Über soziale Netzwerke im Internet  trommeln sie ihre Mitglieder zusammen und bringen das Geld für die Kampagnen aus eigener Tasche auf.

Unterstützung aus Deutschland erhielt Femen vor kurzem von Helmut Geier alias DJ Hell. "Ich bin durch einen Zeitungsartikel auf die Gruppe aufmerksam geworden", erzählt er. Auf eigene Kosten flog der Musiker in die Ukraine und inszenierte mit den Studentinnen eine Performance - mitten in der Innenstadt von Kiew. Modedesign-Studenten hatten aufwendige Kostüme entworfen, an denen symbolische Preisschilder hingen. Während die Musik von DJ Hell über die Straßen fegte, ließen sich die Studentinnen von Männern auf den Boden werfen. "Das sollte demonstrieren, welche Erniedrigung die Frauen durchmachen müssen", so der DJ.

Femen rechnet mit weiter wachsendem Sextourismus in die Ukraine. 2012 soll die Ukraine gemeinsam mit Polen die Fußball-Europameisterschaft ausrichten. Nicht alle Fans werden sich nur für Sport interessieren, ahnt Femen und will für die EM einen besonderen Aktionsplan entwickeln. Für Ausländer haben die Frauen noch einen Tipp parat: "Lassen Sie sich nicht mit Prostituierten ein. Besuchen Sie lieber das Museum unseres Nationaldichters Michail Bulgakov."

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