Furcht-Ranking des Uni-Losers Meine fünf liebsten Angstmacher

Seit ich studiere, begegne ich verunsicherten Menschen. Dabei sind die Aussichten für Akademiker exzellent. Woher kommt nur diese Angst?

Ich glaube, ich hatte manchmal Schwierigkeiten an der Uni, weil ich zu wenig gemacht und zu viel gegrübelt habe. Manchmal denke ich aber, dass Grübeln das Schönste am Studieren ist.

Ich habe die letzten Tage über einen seltsamen Widerspruch nachgedacht, über die Gleichzeitigkeit zweier Entwicklungen, die nicht zusammenpassen - auf den ersten Blick. Das Ergebnis meiner Überlegungen ist: Der Kapitalismus funktioniert wie eine Terrorbande. Er muss nur gelegentlich drohen, um dauerhaft Angst zu verbreiten. Weil wir die Angst verinnerlichen, weil sie sich in uns verselbständigt.

Ich will erklären, wie ich darauf komme. Beginnen wir auf dem Campus: Seit meinem ersten Studientag, das war im Frühjahr 2007, begegne ich verunsicherten, ängstlichen Menschen. Studenten, die auf ihre Zukunft blicken, als steuerten sie auf ein Gewitter zu, auf das es sich vorzubereiten gilt: dieses dauerhaft apokalyptische Reden. Als sei jedes Abbiegen auf dem Lebensweg nur eine Sicherheitsvorkehrung im Angesicht der nahenden Katastrophe. Wir präparieren unsere Lebensläufe, jeder für sich, wie man sein Haus vernagelt, bevor der große Sturm kommt.

Warum sind wir nicht entspannter?

Die größte, die existentielle Frage an deutschen Universitäten lautet: Müssen wir das für die nächste Klausur wissen? Man kann diese Angst kaum jemandem vorwerfen. Jedenfalls nicht jenen, die sie haben.

Diese Angst - das ist die eine Sache. Die andere Entwicklung sollte uns eigentlich beruhigen. Wer studiert hat, wird sehr selten arbeitslos und verdient verhältnismäßig gut. In diesem Jahr studieren an deutschen Hochschulen mehr Menschen denn je. Deutschland geht es wirtschaftlich besser, viel besser als dem europäischen Durchschnitt. Der Uni-Psychologe Wilfried Schumann sagt, viele Studenten seien heutzutage viel grausamer gegen sich selbst, als das System zu ihnen sei.

Eine Rätselfrage: Warum sind wir nicht entspannter, wenn doch offenbar die Grundlage für unsere Angst verschwindet?

Ich glaube, es ist wie mit dem Terrorismus. Die Angst vor Terrorismus ist in diesem Land unverhältnismäßig groß im Vergleich zu der Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Diese Angst ist irrational - aber es gibt sie. Sie ist real, solange es Menschen gibt, die an ihrer Verbreitung interessiert sind.

Meine persönliche Angst-Hitliste

Ich glaube, es gibt ebenso Institutionen und Verbände, die daran interessiert sind, die Angst an Universitäten aufrechtzuerhalten - die von ihr profitieren. Ängstliche Studenten sind ideal für den Arbeitsmarkt, weil sie kaum Ansprüche stellen. Um an einen Job zu kommen, akzeptieren sie befristete Verträge und machen unbezahlte Praktika und Überstunden. Sie sind zu jener Ausbeutung bereit, die sich unterhalb des Radars von Arbeitsmarktstatistik und Wachstumszahlen abspielt.

Weil Rankings im universitären Zusammenhang en vogue sind, habe ich eine Top 5 der Campus-Angstmacher aufgestellt.

  • Kostenlose Karrieremagazine wie "Unicum" oder "Audimax". Sie propagieren in hunderttausendfacher Auflage den unterwürfigen Super-Studenten und sind voll mit (nicht immer gut gekennzeichneten ) Anzeigen großer Unternehmen. Früh übt sich: Beide Hefte haben auch Ableger für die Schule.
  • Bewerbungstrainings an Universitäten. Klar: Wer arbeiten will, muss wissen, wie man sich bewirbt. Dass man im ersten Semester aber darüber spricht, welche Socken man beim Vorstellungsgespräch anziehen sollte, hat mehr mit Sklavenerziehung zu tun als mit sinnvoller Vorbereitung aufs Leben.
  • Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Mit einem Millionenetat wirbt die Initiative für einen unternehmerfreundlichen Umbau von Arbeitsmarkt und Bildungswesen. Den Mindestlohn bezeichnet ein Vertreter der Initiative als Ausdruck eines "linken Zeitgeists".
  • Kommilitonen. Manchmal sitzen die Panikmacher auch mitten unter uns. Hier gilt: mit entspannter Gegenrede kontern.
  • Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Bekannt durch sein Hochschulranking. Das CHE setzt sich nach eigenen Angaben für ein "wandlungsfähiges Wissenschaftssystem" ein. Kritiker werfen dem von der Bertelsmann-Stiftung finanzierten Centrum vor, neoliberale Hochschul-Reformen zu vertreten.

Ich gebe es zu: Mein Ranking ist subjektiv, unvollständig und methodisch fragwürdig. So ist das mit Rankings eben. Ich glaube: Wir sollten weniger Angst haben. Sie nützt nur den Angstmachern.

Den Uni-Loser Felix Dachsel gibt es jetzt auch in bewegten Bildern. Er verfilmt ab jetzt Leserkommentare in seinem Blog  .

Fotostrecke

Prominente Studienabbrecher: Es gibt ein Leben nach der Uni

Foto: Wolfgang Kumm/ picture alliance / dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren