

So hatte sich Tal Fortgang das wohl kaum vorgestellt. Der Student an der Elite-Uni Princeton wollte mit einem Essay für ein obskures konservatives Blättchen höchstens ein paar Kommilitonen erreichen. Stattdessen scheint er nun die gesamten USA aufgebracht zu haben - für sich oder gegen sich, je nachdem.
Er sei ganz "ausgebrannt von all der Aufmerksamkeit", beklagt sich der 20-Jährige jetzt in einer E-Mail an "Newsweek": "Ich möchte wirklich, dass sich dieser Wirbel legt."
Ein frommer Wunsch. Der Princeton-Novize, der Geschichte oder Politik studieren will, hat nämlich in Amerikas wildestes Wespennest gegriffen - die neue, stürmische Debatte um Rassismus, "Affirmative Action" und den demografischen Wandel in der USA, wo die historische Mehrheit der Weißen unaufhaltsam schmilzt.
Alles begann im April mit einem Aufsatz in der rechten Studentenpostille "Princeton Tory". Damit mischte sich Fortgang in die laufende Rassismus-Debatte ein, indem er sich selbst zum Opfer stilisierte und so einen alten Mythos neu belebte - den der unterdrückten Weißen.
Er schrieb darin, Weiße seien zwar meist die "Strippenzieher der Welt". Doch habe er es satt, dass das als "weißes Privileg" abgetan werde und er sich dafür auch noch schämen müsse. "Check your privilege", so laute ein populärer Slogan an "linken" Unis wie Princeton: Vergiss nie, dass du es als Weißer stets einfacher hast.
Dem widersprach Fortgang: Seine Erfolge erklärten sich "nicht immer durch Geschlecht oder Hautfarbe" - sondern durch "all die harte Arbeit, die ich in meinem Leben geleistet habe". Das zu "schmälern", indem man den USA weiterhin latenten Rassismus vorwerfe, sei eine "Phrase", die auf Weiße abgeschossen werde "wie eine Obama-sanktionierte Drohne".
Um seine These zu untermauern, berichtete Fortgang von seinen gar nicht privilegierten weißen Vorfahren. Von seiner Großmutter, die das KZ Bergen-Belsen überlebt habe. Von seiner Urgroßmutter und ihren fünf Kindern, die erschossen und ins Massengrab geworfen worden seien. Von seinem Großvater, der später als "mittelloser jüdischer Immigrant" in den USA ein neues Leben begonnen habe.
"Ich habe mein Privileg gecheckt", schloss Fortgang, "und ich entschuldige mich für nichts."
Starker Tobak - und doch im Trend: Amerikas schwindende weiße Mehrheit begehrt auf gegen die gesellschaftlichen Umwälzungen, die sich nicht zuletzt in den Ergebnissen der vergangenen Präsidentschaftswahlen offenbart haben. Denn bei denen bestimmten erstmals die Noch-Minderheiten den Ausgang.*
Fortgangs Abhandlung wäre eigentlich untergegangen. Doch dann druckte "Time" den Aufsatz diese Woche nach - mit scharf zugespitztem Titel: "Warum ich mich nie für mein weißes, männliches Privileg entschuldigen werde."
Fortgangs Argument: Diskriminierung nach Hautfarbe oder Herkunft kann sich andersrum auch gegen Weiße richten. Der Umstand, "dass ich, nur weil ich einer bestimmten ethnischen Gruppe angehöre, mit ihr kollektiv abgeurteilt werde", sei fast so rassistisch wie Rassismus.
Es ist ein Argument, das Weiße neuerdings wieder gern bemühen: Sie gerieren sich als Opfer eines umgekehrten Rassismus - etwa der Quoten für Minderheiten ("Affirmative Action"), die das Ungleichgewicht an den Universitäten ausbalancieren sollten, jetzt aber politisch langsam aus der Mode kommen.
"Tal Fortgang ist ein Idiot", schreibt Katie McDonough - eine Weiße - in einer Replik im Online-Magazin "Salon", "aber beim Thema Rassismus in Amerika ist er kein Einzelfall."
Entsprechend die Reaktionen. Beide Seiten heben Fortgang auf den Schild. "Student stutzt Linke zurecht", jubelte der konservative Kabelkanal "Fox News". Fortgangs "Privileg", schrieb dagegen seine schwarze Kommilitonin Briana Payton, bestehe aus der prinzipiellen "Unfähigkeit", Rassismus zu verstehen, da er ihn als verwöhnten Weißen "nicht betrifft".
Fortgang: "Keine rassistische Ader"
In der Tat macht Fortgang den gleichen Fehler wie so viele: Kein Weißer kann sich ins Dasein eines Schwarzen hineindenken, geboren mit dem Bewusstsein, anders gesehen zu werden - oder gar nicht, so der schwarze Autor Ralph Ellison schon 1952 in seinem Schlüsselroman "Der unsichtbare Mann".
Auch ignoriert Fortgang den oft noch fest institutionalisierten Rassismus in Wirtschaft, Gesellschaft und Justiz. "Ertappte" oder offene Rassisten dienen da nur als groteske Medien-Sideshows: NBA-Teamchef Donald Sterling, Südstaaten-Starköchin Paula Deen, der von "Negern" faselnde Rancher Cliven Bundy.
Im Alltag zeigt sich Rassismus überall. Nur ein Bruchteil des Gesamtvermögens der US-Bürger besitzen die Schwarzen, Reichtum ist in den USA überproportional weiß. Ihre Arbeitslosenquote ist fast doppelt so hoch wie die der Weißen, ihre Schulen sind schlechter, ihre Gehälter niedriger, ihre Haftstrafen länger, Todeszellen sind überdurchschnittlich mit Schwarzen besetzt.
Auch der Supreme Court (sieben Weiße, eine Latina, ein Schwarzer) als letzte Instanz hilft da wenig. Kürzlich kippte er die "Affirmative Action" in Michigan, voriges Jahr höhlte er den Voting Rights Act von 1965 aus, mit der Begründung, Diskriminierung und Rassismus seien in den USA passé - ein typisch weißes Argument.
"Ich habe keine rassistische Ader", versicherte Fortgang der "New York Times". Aber, so gab er zu, auch kein Gespür für die Nuancen eines solch pikanten Themas: "Ich lerne, dass ich lernen muss."
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Princeton-Student Tal Fortgang: In einem konservativen Uni-Blatt schrieb der 20-Jährige, er habe es satt, als männlicher Weißer oftmals den Ausspruch "Check your privilege" zu hören. Er empfinde sich selbst nicht als privilegiert und wolle sich nicht schämen. Damit befeuerte er die Rassismus-Debatte in den USA...
...denn im April hatte der Supreme Court geurteilt, dass der US-Staat Michigan die Bevorzugung von Minderheiten verbieten darf. Die sogenannte Affirmative Action an Hochschulen war dort im Jahr 2006 per Volksentscheid abgeschafft worden.
Schwarze, Latinos und Frauen dürfen nun nicht mehr bevorzugt werden. Die Entscheidung des Supreme Courts war eine Ohrfeige für alle Bürgerrechtler, es gab Demonstrationen in Michigan.
Auch die weiße Texanerin Abigail Fisher, 22, fühlte sich diskriminiert, weil sie an der University of Texas in Austin keinen Studienplatz bekam. Sie sagt, das habe an ihrer Hautfarbe gelegen und landete damit ebenfalls vor dem Supreme Court. Die Richter wiesen die Klage allerdings in die Vorinstanz zurück.
"Nichts auf dieser Welt ist gefährlicher als aufrichtige Ignoranz und gewissenhafte Dummheit": Mit einem Zitat des Bürgerrechtlers Martin Luther King über gut gepflegte Vorurteile möchte dieser Student auf Alltagsrassismus hinweisen. Die Bilderserie "I, too, am Harvard" erregte viel Aufsehen. Studenten berichten darin von ihren schlimmsten Schmähungen. mehr...
Nicht gerade witzig: Die Scherzfrage "Kannst du lesen?"
"Weil ich eine Meinung habe, bin ich noch keine 'zornige schwarze Frau'" - damit spielt diese Studentin auf die "Angry Young Men" an, eine Gruppe von Autoren, die in den Fünfzigerjahren Klassenkonflikte thematisierten.
"Andererseits... Manches kann einen wirklich wütend machen..."
"'Ich bin farbenblind'... bedeutet das, dass du MICH nicht siehst?" fragt diese Studentin. Die Phrase "Ich bin farbenblind" als Beteuerung, alle Menschen gleich behandeln zu wollen, hat einen rassistischen Unterton. Nicht Ignoranz, sondern Akzeptanz sollte das Ziel sein.
"Du bist nicht schwärzer als ich, weil du mehr Jay-Z-Songtexte rappen kannst", sagt diese Studentin: HipHop-Musik ist nicht das Sprachrohr für alle Schwarzen.
"Ich heiße Monica - nicht My Nigga", sagt diese Studentin und verrät damit viel über frühere Hänseleien.
"Ich habe dich nicht auf dem Kieker... aber ich weiß Bescheid. Und ja, ich sehe dich", sagt diese junge Frau.
"Nein, ich bringe dir nicht das 'Twerken' bei": Denn der anzügliche Tanzstil mit ruckartigen Hüftbewegungen hat nichts mit schwarzer Hautfarbe zu tun - ein gängiges Stereotyp.
Dieser Student zitiert ebenfalls Martin Luther King: "Es geht nicht um Weiß gegen Schwarz, es geht um Gerechtigkeit gegen Ungerechtigkeit, Licht gegen Dunkelheit."
"Überraschung! Ich habe mich in Harvard nicht bloß mit einer Fotografie meines Gesichts beworben" - damit reagiert dieser Student auf den Vorwurf, Dunkelhäutige würden bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt.
"Incognegro" ist der Titel eines Albums von US-Rapper Ludacris und eines Sachbuchs über Apartheid des amerikanischen Literaturprofessors Frank B. Wilderson. Das Wortspiel könnte man mit "anonyme Schwarze" übersetzen.
"Innendrin bist du ja nicht schwarz", sagten ihre Freunde in der Kindheit.
"Du bist angezogen, als wolltest du jeden Moment auf mich schießen - wie ein Gangster", bekam diese Studentin zu hören.
Genervt vom Alltagsrassismus: "Nein, ich bin nicht eingereist, um meine HIV-Erkrankung behandeln zu lassen."
"Wünschst du dir nicht, weiß zu sein wie wir anderen?", fragte eines Tages die Freundin.
"Du hast Glück, farbig zu sein: Macht es leicht, aufs College zu kommen", hörte diese Studentin von einer Klassenkameradin.
Musikalisches Klischee: "Nein, es ist KEIN Rap", den dieser Student in den Kopfhörern hat.
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