Verschwurbeltes Hochschuldeutsch Warum Wissenschaftler ihre Leser quälen

Korrektes Kauderwelsch: Viele Wissenschaftler schreiben richtig - aber unverständlich
Foto: Frank May/ picture-alliance/ dpaSie müssen jetzt leider, liebe Leser, einen Augenblick tapfer sein und die folgenden beiden Sätze aufmerksam und langsam lesen:
"Alle genannten, am Konzept des Auslegers orientierten Formen des Verständlich-Machens, haben gegenüber textoptimierenden Ansätzen einen entscheidenden Vorzug: in keinem Fall findet eine reine Substitution unter Tilgung des substituierten Elements statt. Dadurch ist für den Rezipienten stets die Möglichkeit gegeben, die Verwendungsweise des unbekannten Elements, den ausgelegten Text schließlich als solchen zu verstehen zu lernen, mithin seine Kompetenz zu erweitern."
Alles auf Anhieb verstanden?
Die beiden Sätze stammen aus einem Buch, das den schönen Titel "Verständlich-Machen" trägt. In ihm drückt sich das gesamte Elend der deutschen Wissenschaftspublizistik aus. Und zwar in gleich doppelter Weise. Zum einen ist das ganze Buch wie eine polnische Weihnachtsgans vollgestopft mit abstrakten Substantiven. Sätze mäandern über viele Zeilen. Komplizierte Satzkonstruktionen verschleiern selbst banale Gedanken. Kurzum: Der Leser quält sich zur Erkenntnis.
Zum anderen findet der Autor das auch noch gut. Denn nichts anderes sagen die beiden oben zitierten Sätze aus. In einfaches Deutsch übersetzt laufen sie auf folgende Aussage hinaus: Ein Text braucht vom Autor nicht verständlich geschrieben zu werden. Vielmehr soll sich der Leser gefälligst ein bisschen anstrengen, denn dann lernt er durch die Mühe, die er damit hat, etwas dazu.
Allgemeinverständlichkeit schadet der Karriere
Kein Wunder, dass Deutsch als Wissenschaftssprache immer weiter an Bedeutung verliert. Selbst ausländische Forscher, die gut Deutsch sprechen, müssen in vielen Fällen vor der Prosa deutscher akademischer Autoren kapitulieren. Das hat System, sagt Teresa Löwe-Bahners, Lektorin für Sachbücher beim Stuttgarter Verlag Klett-Cotta: "Ein deutscher Wissenschaftler kann es sich kaum erlauben, populär zu schreiben, bevor er Mitte 40 ist." Universitätsakademiker in Deutschland trauten sich demnach kaum, ihre Texte an ein breiteres Publikum zu richten, solange sie keine dauerhafte Stelle an einer Universität haben, am besten eine Professur - aus Angst, dass ihnen dies schaden würde.
In der Tat gilt es im deutschen akademischen Betrieb kaum als karrierefördernd, wenn man sich mit Büchern, die in einem Publikumsverlag erscheinen, an ein interessiertes Laienpublikum wendet. Ein Beispiel: Die Sprache gehört zu jenen Themen, für die sich viele Menschen interessieren. Dennoch gibt es keinen einzigen deutschen Linguisten, dessen Name einem interessierten Nicht-Fachmann sofort einfallen würde.
Die meisten haben Angst, von ihren Fachkollegen schief angesehen zu werden, sobald sie ein populärwissenschaftliches Buch zum Thema veröffentlichen. Der Einzige, der versucht, linguistische Erkenntnisse populär aufzubereiten, ist Dieter E. Zimmer - ein Journalist und Autor der Wochenzeitung "Die Zeit". Anders im angelsächsischen Raum: die Amerikaner Steven Pinker, George Lakoff und Derek Bickerton, der Brite Steven Mithen, der auf Englisch schreibende Israeli Guy Deutscher und natürlich der Linguistik-Guru Noam Chomsky haben alle sehr erfolgreiche Bücher verfasst, in denen sie ihre Theorien einem breiten Publikum präsentieren.
Britische Wissenschaftler arbeiten gerne einmal mit dem Cliffhanger
Ähnliches gilt für die Geschichtswissenschaften. Das Fach stößt generell auf großes Interesse, das aber von Deutsch schreibenden Akademikern kaum befriedigt wird. Ihnen mangelt es meistens an der Fähigkeit, erzählerische Elemente mit der Vermittlung von Fakten zu verbinden. Geschichte also mit Geschichten zu erzählen.
Anders die Briten. "Die haben kein Problem damit, Erzähltechniken aus der Unterhaltungsliteratur mit wissenschaftlichem Schreiben zu verbinden", meint Lektorin Löwe-Bahners. Die Autoren nutzen zum Beispiel einen Cliffhanger, um ihre Leser auf das folgende Kapitel neugierig zu machen, oder sie verbinden Anekdoten aus ihrem Leben mit wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Deutschen Wissenschaftsautoren gilt das als Anbiederung ans Publikum. "Im angelsächsischen Raum schreibt man grundsätzlich unverkrampfter, populärer. Englische Wissenschaftler nehmen sich - bei allem Stolz auf das, was sie tun - nicht so bierernst wie ihre deutschen Kollegen", analysiert auch der Bestsellerautor Frank Schätzing, der selbst ein naturwissenschaftliches Sachbuch über die Tiefsee verfasst hat.
Es liegt also nicht nur am Wollen. Carsten Könneker, Chefredakteur der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft", stellt sogar einen wachsenden Druck innerhalb der Wissenschaftsgemeinde fest, sich der Öffentlichkeit verständlicher zu machen. "Schließlich erhalten die Einrichtungen öffentliche Gelder und daraus entsteht die Verpflichtung, der Gesellschaft etwas zurückzugeben." Das Problem liegt ebenso beim Handwerk des Schreibens. Wer 20 Jahre lang verquastetes Wissenschaftsgeschwurbel geschrieben hat, wer sich bislang in Förderanträgen möglichst bürokratisch und hochtrabend ausdrücken musste, dem fällt es schwer, plötzlich elegant und allgemeinverständlich zu formulieren. Zumal in Deutschland die Meinung vorherrscht, Schreiben könne man nicht lernen, Schreiben sei ein gottgegebenes Talent.
Selbst Koryphäen bereichern den Stoff mit Anekdoten
Im englischen und amerikanischen Bildungssystem hingegen müssen die Studierenden in jedem Semester oder Trimester innerhalb von wenigen Wochen ein halbes Dutzend Essays vorlegen. Dabei geht es darum, einen klugen Gedanken interessant, stringent und verständlich zu entwickeln. Auf diese Weise wird schon den Erstsemestern einsichtig, dass es wichtig und keinesfalls ehrenrührig ist, sich an ein Laienpublikum zu wenden und sich populär auszudrücken.
Zumal sich selbst die Koryphäen eines Faches nicht scheuen, in ihren einführenden Lehrbüchern mit Beispielen und Anekdoten zu arbeiten. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman erzählt in seiner Einführung in die Volkswirtschaftslehre (zusammen mit Robin Wells) kleine Geschichten aus dem Alltag, um den schwierigen Stoff anschaulich zu machen.
Der amerikanische Neurobiologe Richard F. Thompson macht in seinem Lehrbuch zum "Gehirn" die Struktur der Nervenzelle anschaulich: "Die Dendriten - also alle Fasern, die von der Nervenzelle ausgehen, mit Ausnahme des Axons - stellt man sich am besten als dünne Ausstülpungen des Zellkörpers vor. Die Dendriten verleihen der Nervenzelle ihre charakteristische Gestalt. Ihre Zahl und Größe pro Zelle kann von einigen wenigen und kurzen Nervenfasern bis zu einer riesigen Menge von Fortsätzen reichen, die das Neuron wie einen Baum aussehen lassen."
Der britische Althistoriker Robin Lane Fox verfasste eine wissenschaftlich mehrfach ausgezeichnete Biografie Alexanders des Großen, die am Ende sogar von Oliver Stone in Hollywood verfilmt wurde - mit Lane Fox als wissenschaftlichem Berater. "Im sogenannten wissenschaftlichen Schreiben in Deutschland hingegen wird den Autoren die Anti-Anschaulichkeit geradezu eingetrichtert", befindet Klett-Cotta-Lektorin Löwe-Bahners.
Dabei wäre der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft dringend notwendig. "Bildung ist heute wichtiger denn je, und vermitteln können wir Bildung nur, indem Fachleute ihre Elfenbeintürme verlassen und mit der breiten Öffentlichkeit kommunizieren lernen", bilanziert Bestsellerautor Schätzing.