Vorlesung mit "Professor Mölli" Das Orakel von Schalke
Die Spieler sehen aus wie frisch aus dem Labor verpflichtet: gleich trainiert, gleich frisiert, gleich strebsam und gleich spießig. Die Spielfläche ist braun und tot, aber durch ein hübsches Glasdach geschützt. Der Kickertisch im Hörsaalzentrum Ost der Ruhr-Universität Bochum wirkt wie das Modell eines deutschen Fußballstadions der Gegenwart. Jürgen W. Möllemann rennt an dem Ding vorbei.
Er nennt sich selbst "Mölli", und das klingt wie die Kosenamen der Achtziger: Litti, Toni, Rudi. Aber einen wie ihn interessiert ja nicht Vergangenheit und nicht Gegenwart; ihn interessiert die Zukunft, die Zukunft des Fußballs ganz allgemein und die Zukunft des Fußballclubs Schalke 04 ganz besonders.
Schalkes Zukunft ist das Thema der Vorlesung im Hörsaal 040, der zehnten einer Fußball-Vortragsreihe in diesem Wintersemester. Gekommen sind ein paar Fans, die Neues aus Schalke hören wollen, und ein paar Rentner, die immer kommen, wenn irgendein Schalker irgendwo irgendwas von sich gibt, und 100 Studenten, die etwas lernen wollen.
"Ich bitte um Nachsicht, wenn ich mit gequälter Stimme spreche", krächzt nun "Professor Mölli". Er habe nicht gesoffen gestern, sei bloß krank, und "sollte die Erststimme versagen, werde ich die Zweitstimme benutzen". Da glotzen die Fans, und die Studenten lachen.
Die Referentin bleibt tapfer, die Fans johlen
Dann stellt Möllemann seine Referentin Katrin Schlösser vor, schlank und schön, und da johlen die Fans, und Möllemann sagt: "Ja, sicher", weil ein Kerl wie er natürlich immer die besten Frauen im Schlepp hat, und Frau Schlösser lächelt tapfer, und die Fans johlen immer noch. Bis hierher ist alles noch sehr von gestern.
Jetzt also: Schalkes Zukunft.
Schalke 04, das muss vielleicht vorher noch erklärt werden, war mal so ungeheuer von gestern wie kein zweiter deutscher Verein. Auf Schalke wirkten Spieler wie Stan Libuda, die sich um alles tranken, was sie besaßen. Auf Schalke wurde der einstige Spieler Helmut Kremers mit einem Satz Präsident, und dieser Satz war: "Früher ham wa gegen Dortmund nich ma den Trainingsanzug ausgezogn und se wechgehaun."
Auf Schalke, sagt "Professor Mölli", "wurde der mächtigste Mann in einer von Alkohol und Emotionen aufgeputschten Atmosphäre gewählt, und das war dann der König von Schalke und manchmal auch der Sonnenkönig". Eichberg hieß dieser Herr, König Günter I., und der verfasste Verträge auf Bierdeckeln und feierte dazu mit Weißwein auf Eis.
Die Zukunft von Schalke begann 1994 ganz unten, und sie konnte nur in den Ruin führen oder dazu, dass der Verein "hochgradig verlässlich für seine Geschäftspartner" wurde. So sagt es "Professor Mölli", im Nebenleben Aufsichtsrat des FC Schalke 04 und ein Mann, der hin und wieder "auch das eine oder andere im politischen Bereich zu tun" hat - "der eine oder andere wird davon gehört haben". Möllemann trägt Rollkragen und am Jackett eine Nadel mit einer 18, so viel zum politischen Bereich.
Das mit der hochgradigen Verlässlichkeit ist gleichfalls schnell erklärt: Der Fußballverein der Zukunft, Schalke 04 mit Namen, gab sich eine neue Satzung, die an das Aktienrecht angelehnt ist. Es gibt Aufsichtsrat und Vorstand und sechs Gesellschaften: FC Schalke 04 AG, Immobilienverwaltungs-KG, Cateringgesellschaft und noch drei andere, denn dieser Verein der Zukunft hat ja schon heute das Stadion der Zukunft, die "Arena Auf Schalke", ein 180-Millionen-Euro-Ding mit fleckigem Rasen und feinem Dach.
Mythen zu Marken
Der Fußball der Zukunft wird, wenn es nach Leuten wie Möllemann geht, von den Fußballkonzernen Bayern München, Borussia Dortmund und Schalke 04 produziert. Und die machen das natürlich perfekt, mit dynamischen jungen Spielern, mit Museen, die die eigenen Mythen zu Marken verwursten. Eine Rivalität wie jene zwischen Schalke und "dieser verbotenen Stadt, einer Stadt in der Nähe von Lüdenscheid" (Möllemann), spüren die Makler dieser Marken nicht mehr selbst, aber sie speisen sie ein, weil die Tradition dieser Rivalität "marketingmäßig nützlich" ist, wie das auf Fußballder-Zukunft-Deutsch heißt. Natürlich sollen die Fans auch in Zukunft noch "Scheiß-BVB" brüllen, aber bitte im Takt und in die Mikrofone.
Möllemann war selbst mal Fußballer, rechter Läufer und rechter Verteidiger bei Grün-Weiß Appeldorn am Niederrhein. Sein Vater nahm ihn mit auf Schalke, und ja doch, es hat durchaus schöne Momente gegeben in all den Jahren: das 6:6 gegen Bayern, den Uefa-Cup-Sieg in Mailand, sogar den Abstieg 1983, als Schalke im letzten Spiel gegen den HSV verlor, der HSV dadurch Meister wurde und Möllemanns Ehefrau, HSV-Anhängerin, auf der Tribüne herumhopste. "Hör mal, Jürgen, wat hasse da für ne Alte beigeschleppt", fragten die traurigen Schalker ihren "Mölli". Möllemann erzählt seine Geschichten, und da lachen die Rentner, und die ersten Studenten gehen.
Hobby, nicht Liebe, war der Fußball der Vergangenheit für Jürgen W. Möllemann; Geschäft, nicht Hobby, wird der Fußball der Zukunft. "Früher ging Opa auf Schalke, in Zukunft haben wir die Oper auf Schalke", sagt Möllemann.
"Fragen?"
Eine: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Zukunft und Gegenwart?
KLAUS BRINKBÄUMER