Wichtel-Formel reloaded Weihnachtsrätsel für Fortgeschrittene
Mehr als peinlich, wenn man beim Weihnachtswichteln ausgerechnet das eigene Schrott-Geschenk zieht. Der Chemiker Stephan Kipp berechnete die Wahrscheinlichkeit. Und stachelte mathematisch versierte SPIEGEL ONLINE-Leser an, eigene Vorschläge zu schicken - vom Kopierkartonverfahren bis zum Drei-Runden-Würfeln.
Schöne Bescherung: Noch mehr Wichtelformeln
Wer wichtelt, will etwas loswerden. Vor allen Dingen will er auf keinen Fall sein eigenes Geschenk wieder mit nach Hause nehmen, dachte sich der Braunschweiger Chemiker Stephan Kipp und berechnete mit seiner "Kipp-Formel" die Chance, der Dumme zu sein, der seinen eigenen Krimskrams zieht. Seit SPIEGEL ONLINE darüber berichtete, kann Kipp sich vor Reaktionen kaum noch retten.
"Die angegebene Formel ist nicht korrekt", kritisiert etwa Jens Willibald in seiner E-Mail und schlägt stattdessen als Berechnungsgrundlage vor:
P (Alle bekommen fremdes Geschenk) = 1 - 1/1! + 1/2! - 1/3! +- ... +- 1/n
Warum? Ganz einfach: "Dies konvergiert bekanntermaßen sehr schnell gegen 1/e = 0,367879441...".
Gleich mehrere Fachwissenschaftler bezweifelten Stephan Kipps Urheberschaft an der Formel, die in jeder Stochastik-Formelsammlung zu finden sei. Das Wichtelproblem sei in abgewandelter Form schon Jahrhunderte alt und längst gelöst, betont etwa der Mathematiker Frank Palkowski von der TU Braunschweig: Schon im "Essay d'analyse sur les jeux de hazard" von R.P. Montmort, erschienen 1708, sei ein vergleichbares Kartenspielproblem angesprochen worden.
Und wer hat's erfunden? Der Franzose
Leser Jakob Macke nennt als Urheber de Montforts im Jahre 1713, "seitdem ist es auch eine beliebte Aufgabe für Übungsblätter", die von jedem Teilnehmer eines Mathematik-Grundkurses zu lösen sei. "Die Formel ist ein alter Hut", schreibt Erik Koop, "und sie wurde auch schon in meiner Vordiploms-Prüfung im Jahr 2000 geprüft." Möglicherweise, stichelt Koop in Richtung Stephan Kipp, gebe es eine "unzureichende mathematische Grundausbildung in der Chemie".
Flut von Reaktionen: Chemiker Kipp
So viel Rummel hat Stephan Kipp selten erlebt. "Es gab auch Anfragen von Lehrern, die das Problem mit ihren Schülern nachrechnen wollen", erzählt er. Und etliche Schreiber schickten konkrete, säuberlich ausgearbeitete Vorschläge zur Lösung des Wichtelproblems - damit auch wirklich jeder Besucher einer Weihnachtsfeier mit einem neuen Geschenk nach Hause gehen kann.
Marcus Oswald vom Institut für Informatik der Uni Heidelberg etwa will, dass derjenige, dessen Geschenk als erstes gezogen wird, selbst als letzter ziehen muss: "Dieser Algorithmus wurde schon mehrmals erfolgreich auf Praxistauglichkeit hin getestet und funktioniert für n>=2", berichtet Oswald.
Langjährige Feldversuche zahlen sich aus
Stimmt zwar, setzt aber voraus, dass sich der erste Wichtelspender outet, "und das kann ich aus Datenschutzgründen absolut nicht akzeptieren", hält Oswalds Kollege Andreas Wieland dagegen: "Haben Sie schon mal gesehen, was in Deutschland alles verwichtelt wird?" Wieland schlägt deshalb ein "gänzlich anderes Verfahren vor, bei dem alle Geschenke in neutralen Kartons von Kopierpapier verpackt werden, um dann anschließend in mehreren Teilmengen unter die Leute gebracht zu werden.
Wichtel-Vorschlag: Bonsaitanne als Kopfschmuck
Stephan Kipp hat natürlich auch längst selbst eine Idee, wie sich alle Irritationen vermeiden lassen. Sein "Zwei-Sack-Prinzip" ist eine vereinfachte Abwandlung des "Wieland'schen Wichtel-Verfahrens": Die Wichtelfreunde sitzen an zwei Tischen, und jede Runde steckt ihre Geschenke in einen eigenen Sack. Gezogen wird aber nur aus dem Wichtelsack des jeweils anderen Tisches - so bleibt niemand auf dem eigenen Krempel sitzen.
Dass dieses Verfahren allerdings nur bei einer geraden Anzahl von Mit-Wichtlern funktioniert, weiß auch Stephan Kipp. Neues Futter also für mathematische Wichtel-Theorien...
Drei patente Lösungen von SPIEGEL ONLINE-Lesern:
"Wieland'sches Wichtel-Verfahren"
Schrott-Julklapp nach Klemp
US-Methode nach Oberländer