Wissenschaftssprache zum Abgewöhnen Wie Professoren ihre Studenten quälen

Ein schwer verständlicher Satz aus einem Lehrbuch der Publizistik (Für Fortsetzung und Auflösung klicken Sie bitte auf das Bild)
Foto: Illustration: Romy BlümelAchtung! Wir empfehlen, vor der Lektüre der folgenden Sätze ganz tief durchzuatmen.
"Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften haben recht differente Publikationskulturen. Dies rührt daher, dass die Naturwissenschaften aufgrund ihrer engen Anbindung an gesellschaftliche Produktion zu langfristig einheitlichen Gegenstandskonzeptionen tendieren, während diese in den Geistes- und Sozialwissenschaften nach wie vor strittig sind."
Alles verstanden so weit? Nein? Dann vielleicht kurz ins Bad gehen und sich kaltes Wasser ins Gesicht klatschen. Und dann erfrischt weiterlesen oder es, nun ja, wenigstens versuchen:
"Es stehen sich daher eine in die Breite und Tiefe gehende Wissensentwicklung, die idealiter die Historizität der Gegenstände und ihrer Konzeptionen, also die Fachgeschichte selbst, mit im Blick behält, und ein auf enge Innovationszonen bezogener Erkenntnisfortschritt, der auch das noch nicht Gewusste bereits als Aufgabe scharf umrissen hat, gegenüber."
Die Passage stammt aus einem Handbuch für Literaturwissenschaft, geschrieben von einem Professor für Literaturwissenschaft, einem ausgewiesenen Textexperten also, der seinen Studenten ja eigentlich etwas beibringen soll. Warum nur formuliert der Mann seine Thesen dann nicht klar und verständlich? Wahrscheinlich, weil sie sonst ziemlich banal klingen würden. Schließlich ließe sich das obige Zitat ganz simpel auch folgendermaßen formulieren:
"Jedes Fach ist anders. Bei den Naturwissenschaften wird weniger diskutiert, bei den Geistes- und Sozialwissenschaften mehr. Deshalb klingen die Texte in den verschiedenen Fächern auch unterschiedlich."
Lesen Sie hier einige Textbeispiele aus Fachbüchern und wissenschaftlichen Aufsätzen - samt humorvollen Vorschlägen für verständliche Formulierungen:
Warum nur quälen viele Wissenschaftler ihre Leser immerzu mit dieser schauderhaften Sprache? Gibt es da eine Vorschrift? Nein, natürlich nicht. Man sollte aber wissen: Die Sprache an deutschen Hochschulen dient nicht nur der reinen Wissensvermittlung. Sie hat nicht immer das Ziel, komplexe Theorien, Zusammenhänge oder Forschungserkenntnisse verständlich darzustellen.
Warum komplizierte Sätze so unendlich müde machen
Viele Professoren wollen sich mit ihren Texten vom Rest der Gesellschaft abgrenzen, ihre Zugehörigkeit zu einem exklusiven Zirkel beweisen. "Herrje, bin ich gebildet und wortgewandt", lautet die Botschaft. "Ich kenne mich so gut aus wie kaum jemand sonst. Schaut alle her zu mir! Oder besser noch: Schaut alle auf zu mir!"
Während Forscher in den USA ihre Reputation auch durch ihre Lehrleistung erhalten, zählt hierzulande vor allem die Anzahl an Publikationen in Fachbüchern und -journalen. Also schreiben Wissenschaftler in Deutschland möglichst viel und möglichst kompliziert, um mit ihren Texten, Forschungsanträgen und Vorträgen die Fachkollegen und Vorgesetzten zu beeindrucken: Das nämlich hilft auf dem Weg zum Professorentitel oder Lehrstuhl.

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Okay, könnte man sagen, eine geschliffene und zuweilen großspurige Sprache ist doch von jeher Teil des intellektuellen Habitus. Und klar, jede Disziplin hat ihre eigenen Begriffe, Ausdrucksweisen und Abkürzungen. Mediziner sprechen halt von "Varizen", wenn jemand Krampfadern hat, und Juristen reden von "Prokura", wenn es um eine Vollmacht geht. Das ist präzise und effizient. Doch viel zu häufig basteln Professoren unnötigerweise Schachtel- und Bandwurmsätze, verwenden hässliche Substantivierungen und unbekannte Fremdwörter.
So kann die Lektüre eines juristischen Fachbuchs zu einem der schmerzhaftesten Erlebnisse eines Studentenlebens werden. Denn: Unser Gehirn mag verschachtelte Sätze mit vielen Substantivierungen und Fremdwörtern nicht; sie sind ihm zu anstrengend. Stößt jemand beim Lesen auf ein ihm unbekanntes Wort, braucht sein Gehirn bis zu einer halben Sekunde, um das zu bemerken - die Bedeutung hat er damit oft aber noch immer nicht begriffen. Bekannte Wörter hingegen werden in weniger als einer Fünftelsekunde verarbeitet.
Der Text enthält Auszüge aus dem Buch:

Lena Greiner, Friederike Ott:
Simulieren geht über Studieren
Akademisch für Anfänger
Rororo Verlag; 160 Seiten; 9,99 Euro.


Lena Greiner, Jahrgang 1981, studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen in Hamburg, Berlin und Washington D.C. Sie ist Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE und für den UniSPIEGEL.

Friederike Ott, Jahrgang 1977, studierte Internationales Management und Außenwirtschaft in Hamburg. Sie arbeitet als freie Journalistin u.a. für "ARD-aktuell", die SPIEGEL-Gruppe und die "SZ".