
Wohnheimwände zum Beschmieren: Bitte verewige dich!
Anti-Randale-Wohnheim An die Wand schmieren erwünscht
"Das ist so ein geiles Wohnungsding!" Mit Schwung hat ein deutscher Gaststudent sein Kompliment an die Wand des Wohnheims in Helsinki gekritzelt. Unter all den Sprüchen, die in der Lobby des Hochhauses für Austauschstudenten zu lesen sind, hat Liina Länsiluoto diesen am liebsten. Er zeigt ihr, was sie und das finnische Studentenwerk Hoas in den vergangenen Monaten geschafft haben.
Bis vor kurzem war der Bau an der Junailijankuja Nummer 5, der "Eisenbahnstraße" im Industrieviertel Pasila, noch ein Ort des Unrats und der Querelen. Es gab Beschwerden über Dreck, lautstarke Dauerpartys und Fernseher, die gelegentlich von Balkonen geworfen wurden. "Diesen Teufelskreis haben wir jetzt durchbrochen", sagt die 28-jährige Sozialwissenschaftlerin Länsiluoto.
Gemeinsam mit Studenten, Designern und Wissenschaftlern hat Hoas das neunstöckige Gebäude aus den Siebzigern in eine angesagte Herberge verwandelt. Das neue, schmucke und freundliche "Junnu", so der Spitzname des Heims, gehört nun zu den Vorzeigeprojekten Helsinkis als Weltdesignhauptstadt 2012. "Design umfasst für uns Finnen mehr als nur schöne Dinge", erklärt Managerin Länsiluoto, "hier geht es auch um neue Konzepte für ein besseres Leben." Um bessere Kommunikation zum Beispiel.
Gute Kommunikation wichtiger als Renovierung
"I love HOAS" - bis vor kurzem waren solche Kritzeleien auf Wänden verboten. Nun können sich die Mieter im Eingangsbereich auf deckenhohen Kreidetafeln zu Wort melden. Für Vorschläge, Beschwerden und den alltäglichen Austausch wurde zusätzlich eine Facebook-Gruppe eingerichtet. Und es gibt jetzt eine Art Concierge: Muhammad Shofiulla, 29. Der gutgelaunte Wirtschaftsstudent aus Bangladesch wohnt gratis im Wohnheim und ist dafür als "Helfer und großer Bruder" jederzeit ansprechbar, wie er selbst sagt.
Ausgedacht haben sich das Konzept die Mexikanerin Brenda Victoria Vértiz, 28, und ihr finnischer Kollege Janne Salovaara, 31, beide Industriedesigner an Helsinkis Aalto University. Im Sommer 2011 guckten sie sich zwei Monate lang im Hause um, gingen von Tür zu Tür und fanden heraus: Gute Kommunikation war den Studenten wichtiger als die längst fällige Renovierung. Weil zum Beispiel niemand die offiziellen Infos und Anweisungen an den Schwarzen Brettern las, herrschte in Küche und Waschraum Chaos, blieben Abfälle auf dem Weg zum Müllraum liegen, wurden längst überfällige Reparaturarbeiten nicht ausgeführt. Es sei schwer, sich in der Betonburg zurechtzufinden, meinten viele Studenten, die Atmosphäre sei "öde und unpersönlich". Das hat sich nun erledigt.
"Have you been here yet?": In einen überdimensionalen Wandplan von Helsinki kann nun jeder seine Tipps eintragen. Und die Newcomer bekommen ein "First Aid Kit" für die ersten 24 Stunden: mit praktischen Infos, einer vegetarischen Mahlzeit, Zahnbürste und Klopapier.
"Smart"-sein steht auf dem Plan
Das Haus hat nicht nur in Sachen Kommunikation, sondern auch optisch dazugewonnen. Das Treppenhaus: mit finnischen Blumen bemalt. Die Gemeinschaftsküche: mit viel hellem Holz aufgefrischt. Klar und kurz lauten jetzt, auf Poster gedruckt, die Ratschläge für "smartes Kochen" ("Zum Kochen gehört Saubermachen"), "smartes Waschen" und "smartes Leben" - das "nachhaltiger sein soll", wie Designerin Brenda sagt. Der Hot Spot für alle Studenten, egal von welchem Kontinent: die beiden Saunen.
Das finnische Wohnheim hat mittlerweile international Beachtung gefunden. Zu den Wissenschaftlern, die "Junnu" besichtigt haben, gehört Barbara Hellige von der Fachhochschule Hannover: "Von diesem Konzept", sagt die Soziologieprofessorin und Expertin für Alten- und Pflegeheime, "können wir uns viel abgucken."