Wohnungsnot zum Semesterstart Mehr als 11.200 Studenten suchen in München ein Zimmer

Student auf Wohnungssuche in München
Foto: Matthias Balk/ picture alliance / Matthias Balk/dpaDas Studium beginnt, und mit diesem für viele Erstsemester ein neues Leben in einer neuen Stadt. Doch Zehntausende junge Menschen können sich darauf in diesen Tagen noch nicht freuen, denn: Sie haben noch kein Zimmer gefunden.
Die Wohnheime des Deutschen Studentenwerks (DSW) berichten von einem Andrang, wie es ihn zum Teil noch nie gab. Allein in zwölf Hochschulstädten stehen noch 30.000 Studenten auf den Wartelisten für Wohnheimplätze, zeigen bisher unveröffentlichte Zahlen des DSW, die dem SPIEGEL vorliegen.
Um auf diese Wartelisten zu kommen, müssen Interessenten nachweisen, dass sie an der jeweiligen Hochschule eingeschrieben sind. Eine Mehrfachbewerbung ist in der Regel ausgeschlossen. Zwar tragen sich auch Studenten auf den Listen ein, die eigentlich lieber in eine WG oder in eine Privatwohnung ziehen wollen. Trotzdem sind die Zahlen ein Indiz dafür, wie eng es auf dem Wohnungsmarkt zugeht.
Am dramatischsten ist die Situation demnach in München. Mehr als 11.200 Studenten warten hier aktuell auf ein Zimmer im Wohnheim - und die Zahlen steigen noch. "Die Isar-Metropole ist ein Hotspot im negativen Sinne", sagt Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. "Hier etwas Günstiges zu finden, ist für Studierende fast unmöglich."
Die Daten des Studentenwerks decken sich mit den Ergebnissen einer am Montag veröffentlichten Studie, nach der Studenten auf dem Münchner Wohnungsmarkt die höchsten Mieten im bundesweiten Vergleich zahlen müssen.
So viele Studenten standen am 8. Oktober 2018 auf den Wohnheim-Wartelisten einiger ausgewählter Uni-Städte:
- München: 11.235 Studenten
- Stuttgart: 4000
- Hannover: 2250
- Potsdam: 2200
- Darmstadt: mehr als 2000
- Köln: 2000
- Göttingen: 1894
- Hamburg: 1672
- Gießen: 1500
- Kassel: 900
- Augsburg: 700
- Kiel: 600 (ganz Schleswig-Holstein: 1300)
Das sei jedoch lediglich ein Zwischenstand, weil immer noch neue Anfragen für Zimmer bei den Studentenwerken eingehen, heißt es beim DSW. Zum Teil seien Studienplätze mit Numerus-clausus-Beschränkung erst in den vergangenen Tagen zugeteilt worden, sodass sich die Interessenten auch erst jetzt melden können.
100 Euro "Einzugsprämie" - wie Vermieter die Verzweiflung ausnutzen
So wie Johanna. Für die Abiturientin aus Nordrhein-Westfalen war schon die Studienplatzvergabe eine Zitterpartie: Anfang Juni hatte sie sich für einen Medizinstudienplatz beworben, erst vor ein paar Tagen kam die Zusage der Universität Regensburg. Sie machte sich auf die Suche nach einem Zimmer - ob im Wohnheim oder privat ist ihr egal: "Hauptsache, ich kann diese Woche mit meinen Veranstaltungen loslegen und muss nicht im Hostel oder in der Jugendherberge übernachten", sagt die 18-Jährige.
Johanna vereinbarte zwei Besichtigungstermine für WG-Zimmer. "Aber schon bei der ersten Besichtigung kam der Schock: Ich sollte 100 Euro 'Einzugsprämie' zahlen, bar und ohne Quittung, um das Zimmer bekommen zu können." Seit Dienstag ist die angehende Medizinstudentin wieder in Bayern - wo sie die ersten Tage wohnen wird, weiß sie noch nicht.
600 Euro im Monat für ein kleines Zimmer? Viele Studenten kommen um solche Mietpreise nicht herum. Vor allem in beliebten Uni-Städten werden WG-Zimmer immer teurer.
Für solche Fälle haben etliche Studentenwerke bereits Notschlafstellen eingerichtet, etwa in Kassel und München. "Weitere Städte werden folgen", prognostiziert DSW-Sprecher Stefan Grob. Das Studentenwerk Göttingen hatte bereits vorsorglich 25 Doppelzimmer in einem Uni-nahen Hotel angemietet. Seit Anfang Oktober können Studenten auf Wohnungssuche hier für fünf Euro pro Nacht unterkommen, damit sie zumindest erst einmal ins Semester starten und vor Ort nach einem regulären Zimmer suchen können.
Anna hat sich in Göttingen für Französisch und Philosophie eingeschrieben. Seit Wochen sucht sie bereits vergeblich nach einem Zimmer: "Für 14 Quadratmeter zahlt man teilweise schon über 300 Euro", sagt die 19-Jährige. Die Übernachtung im Hotel-Doppelzimmer sei zwar noch keine perfekte Lösung, "aber immerhin kann ich jetzt anfangen zu studieren". Auch das Studierendenwerk Stuttgart bietet Hotelzimmer zu Sonderkonditionen an.
Bafög-Pauschale reicht nicht
"Es grenzt an Politikversagen, wenn zusätzliche Studienplätze eine gemeinsame Priorität von Bund und Ländern sind, zusätzliche Wohnheimplätze aber ausschließlich in der Verantwortung der teilweise klammen Bundesländer oder dem Markt überlassen bleiben sollen", kritisiert Achim Meyer auf der Heyde. Er fordert bundesweit mindestens 25.000 zusätzliche Wohnheimplätze - und eine Erhöhung der Bafög-Pauschale für die Miete.
Die liegt mit derzeit 250 Euro so niedrig, dass Studenten - zumal in größeren und damit teureren Uni-Städten - damit kaum hinkommen. Schon im bundesweiten Durchschnitt geben Nachwuchsakademiker 323 Euro und damit mehr als ein Drittel ihres Gesamtbudgets für die Miete aus. In München oder Berlin, Köln oder Hamburg sind die Wohnkosten allerdings deutlich höher, für viele Studenten ist die Studienfinanzierung dadurch noch einmal erheblich schwieriger.
Unternehmen bemühen sich derweil, aus der Wohnungsnot der Studenten PR-Kapital zu schlagen. So verlost ein Berliner Start-up aktuell einen einwöchigen Aufenthalt "in der Berliner Innenstadt für die erste Uniwoche" - in einem Campingwagen.
Dabei ist die Wohnungsnot zum Semesterbeginn keineswegs nur ein deutsches Problem. Die Universität im niederländischen Groningen etwa hat in den vergangenen Jahren stark um ausländische Studenten geworben - und hat jetzt Probleme, die Interessenten unterzubringen. Judith Parra gehört zu den Betroffenen. Und ist jetzt froh, dass sie mittlerweile einen 20-Quadratmeter-Container als Wohnung zugeteilt bekommen hat.
Der Mietpreis: 500 Euro pro Monat.
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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war für Potsdam eine zu niedrige Zahl angegeben worden. Wir haben den Wert korrigiert.