Bundes-Alarm-App NINA Sirene für die Hosentasche

Vorbereitung auf Sturm "Sandy" in den USA: Mobile Technologie spielt seitdem eine zentrale Rolle in der Krisenbewältigung
Foto: EDUARDO MUNOZ/ REUTERSIn der Krise zählt jede Minute. In dem Moment, in dem irgendwo in Deutschland ein Hochwasserdamm bricht oder eine radioaktive Wolke über einem Atomkraftwerk aufsteigt, ist wenig Zeit, die Bevölkerung zu warnen. Jede Verzögerung kann dann Menschenleben kosten.
Die einst flächendeckend vorhandenen Sirenen wurden nach dem Ende des Kalten Krieges größtenteils abmontiert. Die Bedrohung aus dem Osten war verschwunden und die Instandhaltung des Sirenensystems teuer. Ohne regelmäßige Alarmübungen wäre die Bevölkerung zudem kaum in der Lage, richtig auf die unterschiedlichen Sirenensignale zu reagieren. Deshalb müssen sich die Sicherheitsbehörden für den Katastrophenfall bislang vor allem auf Radio und Fernsehen verlassen. Diese allerdings erreichen im digitalen Zeitalter immer weniger Menschen.
Um die drohende Lücke in der Informationsverbreitung zu schließen, hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe jüngst feierlich NINA präsentiert. NINA ist die Abkürzung für 'Notfall-Informations- und Nachrichten-App', das erste offizielle Alarmierungsinstrument des Bundes für die Generation Smartphone. Für die deutsche Krisenkommunikation ein wichtiger Schritt nach vorn.
Eine App soll Leben retten
Gegenwärtig hat bereits mehr als die Hälfte der Deutschen ein Smartphone - Tendenz steigend. Mit der neuen Alarm-App können diese im Notfall zu Lebensrettern werden. Hierzu sammelt NINA amtliche Warnmeldungen von Bund und Ländern sowie weitere wichtige Daten wie Pegelstände und Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes und stellt sie auf einer Online-Karte dar. Befindet sich der Nutzer im betroffenen Gebiet, schickt die App zudem selbstständig eine Warnung.
Hierzu nutzt das System den Vorteil, dass Smartphones mithilfe von Funkmasten, WLAN-Knotenpunkten und eingebauten GPS-Sensoren meistens präzise lokalisierbar sind. Der Nutzer wird somit nur dann gewarnt, wenn in seiner Nähe Gefahr droht. Außerdem erlaubt die App, Warnungen an weitere Kontakte per E-Mail oder SMS weiterzuleiten, was nützlich ist, um beispielsweise Familienmitglieder ohne Smartphone zu erreichen. Schließlich bietet NINA noch eine ganze Reihe nützlicher Tipps, wie man sich vor Unwettern und anderen Katastrophen schützen kann und sich in einem Ernstfall verhalten soll.
Ungenutztes Potenzial
Ernüchternd ist jedoch, dass die deutschen Bevölkerungsschützer die Möglichkeiten der Technik weiterhin nicht annähernd ausschöpfen. Welches enorme Potenzial hier ungenutzt bleibt, zeigt ein Blick in die USA, wo spätestens seit Hurrikan "Sandy" mobile Technologien eine zentrale Rolle in der Krisenbewältigung spielen.
So zeigt die Alarm-App der US-Katastrophenschutz-Behörde FEMA nicht nur den Ort der Gefährdungen an, sondern navigiert den Nutzer direkt zum nächstgelegenen Schutzraum. Zudem werden die Millionen Smartphones auch noch gleich für die Sammlung von wichtigen Informationen genutzt: Sieht ein Nutzer eine Gefahr, beispielsweise einen Brand oder einen aufgeschwemmten Damm, kann er über die FEMA-App direkt ein Foto oder Video hochladen. Mithilfe der modernen Technik wird der Bürger somit zum aktiven Mithelfer. Im deutschen System hingegen bleibt die Bevölkerung primär Informationsempfänger.
Dabei besteht in der Forschung weitestgehend Konsens, dass der Erfolg der Krisenkommunikation davon abhängt, ob es gelingt, der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, dass es im Krisenfall auf ihre Mitarbeit ankommt. Technische Lösungen wie NINA reichen hierfür nicht aus.
Notwendig ist vielmehr vor allem ein offener Dialog über die Grenzen des staatlichen Katastrophenschutzes und über die Verantwortung jedes Einzelnen im Umgang mit den Risiken unserer Zeit.

Dr. Florian Roth untersucht am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich wie sich komplexe gesellschaftliche Systeme gegenüber Katastrophenrisiken schützen lassen. Einen Forschungschwerpunkt bildet hierbei der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zur Förderung risikobewussten Verhaltens der Öffentlichkeit.