Populäres Portal für Kurzvideos Warum TikTok so reizvoll für die queere Community ist

Die App gilt als Plattform für Halbnackt-Tänze und als Zeitfresser: Doch viele LGBTQ+-Menschen haben TikTok für sich entdeckt, klären auf und kämpfen für ihre Rechte – mit Leichtigkeit.
Maxi, 26: »Ich will unterhalten und informieren gleichzeitig«

Maxi, 26: »Ich will unterhalten und informieren gleichzeitig«

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tiktok.com/@maxls_tiktok

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Franka nähert sich zu poppiger Musik der Kamera, fährt sich mit den Fingern durch die langen schwarzen Haare. Dann bewegt sie den Kopf ruckartig nach vorn – und steht nach einem Schnitt plötzlich im roten Badeanzug auf einem Skateboard. Ihr Video  ist eine Antwort auf einen beleidigenden Kommentar, mit dem jemand behauptete, es sei »freaky weird«, wenn als Mann geborene Menschen Badeanzüge für Frauen tragen würden. Franka zeigt, wie viel Spaß genau das machen kann. Und 50.000 Menschen schauen zu.

Es sind die Kürze der Videos und die Musik, die schnellen Schnitte und die vielen Remix-Optionen, die die Kurzvideo-App TikTok zu einer Plattform machen, auf der viele queere Menschen einen Raum für sich gefunden haben. Hier können sie nicht nur sichtbar sein und über Probleme aufklären, die queere Menschen noch immer erleben. Vielmehr bietet die App die Möglichkeit, queeres Leben als unbeschwert, freudvoll und frei zu inszenieren. Eine Facette, die oft untergeht.

Franka ist 21 Jahre alt und ist auf TikTok als transgenderfairy  bekannt, ihr Kanal hat 354.000 Follower. In vielen ihrer Videos reagiert sie auf negative Kommentare, indem sie ihr glückliches Leben als Transfrau zeigt. Dann mag zwar links oben in der Ecke ein Kommentar stehen wie »this is a man« . Das Reaktionsvideo von Franka zeigt sie aber nicht bedrückt oder eingeschüchtert. Im Gegenteil, sie schaut selbstbewusst in die Kamera und gibt einen Luftkuss. »Ich möchte, dass die Leute auf TikTok eine fröhliche Transfrau sehen, die erfolgreich ist, auf Mode steht und Skateboard fährt«, sagt sie.

Vor TikTok war Franka auf Instagram aktiv, dort hat sie ganz andere Postings abgesetzt. »Da habe ich etwa auf Statistiken hingewiesen, wie viele Transmenschen im Jahr ermordet werden«, sagt sie, viele Menschen seien ihr gezielt wegen ihres Kanalthemas gefolgt. »Diesen Content finde ich noch immer total wichtig, aber er hat mich selbst runtergezogen.« Auf TikTok ist Franka für viele, vor allem junge Menschen nun die erste sichtbare Transfrau, die ihnen dort begegnet. Auch deshalb will sie Freude ausstrahlen.

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Unterhaltung, die den Horizont erweitert

TikTok bietet viele Formate, die sich queere Menschen aneignen können. Lipsyncs  etwa, in denen entweder zu Musik oder gesprochenem Wort der Mund bewegt wird, als würde man selbst singen oder sprechen. Mit solchen Clips haben schon viele auf TikTok ihr Coming-out zelebriert . Ein beliebtes Mittel sind aber auch Antwortvideos auf andere Clips oder Kommentare, unterlegt mit Musik von queeren Künstlern. Auch Drag ist auf TikTok präsent .

Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Aufklärung verschwimmen dabei. Ein 26-Jähriger namens Maxi nennt sich auf TikTok maxls_pics  und hat 26.600 Follower. »Ich will unterhalten und informieren gleichzeitig«, sagt er. In seinen Videos spricht er zum Beispiel darüber , dass Hans Scholl, der Bruder von Sophie Scholl, homosexuell war. Oder er beschäftigt sich mit der Frage, wie jemand gay und rechts sein kann.

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»Als ich 13 war, hätte ich mir so eine niedrigschwellige Plattform wie TikTok gewünscht«, sagt Maxi. Auf der Plattform erlebe er viele kreative Menschen, die Videotrends adaptierten und weiterentwickelten. Menschen, die lustige Sketche erstellten, in denen aber auch Wissen vermittelt werde – oft einfach nebenbei.

Zum Entdecken von Inhalten hat TikTok die »Für dich«-Seite. Der Algorithmus zeigt dort allerlei als passend erachtete Videos an, dabei stößt man auf Kanäle, denen man nicht aktiv folgt. Maxi scheint diese automatische Auswahl zu überzeugen. »Andere Social-Media-Plattformen rauben mir eher Kraft«, sagt er. »Auf TikTok aber spüre ich, wie die Videos mir Energie geben.«

»g4y und r3chts?«

Sein Video über rechte Gays hat Maxi mit »g4y und r3chts?« betitelt. Er ist nicht der einzige queere Videomacher, der Begriffe wie gay, schwul oder lesbisch verfremdet , weil er glaubt, dass es Folgen haben kann, solche Wörter korrekt auszuschreiben.

Der SPIEGEL hat mit mehr als 20 queeren Menschen gesprochen, die Kanäle auf TikTok haben. Alle konnten von negativen Erfahrungen mit der App berichten. Um gelöschte Videos oder gesperrte Accounts geht es dabei selten. Viel öfter haben Videomacher den Eindruck, dass sich die Reichweite ihrer Videos verringert, wenn sie bestimmte Schlagwörter wie eben »gay« verwenden. Je politischer die Inhalte sind, desto drastischer kommt ihnen der beschriebene Effekt vor. Menschen, die über Rassismus oder Homophobie sprechen, leiden nach eigenen Angaben besonders darunter.

Ist es möglich, dass TikTok viele queere Begriffe als zu politisch oder zu sexuell einstuft und entsprechende Inhalte ausbremst? Solche Vorwürfe gab es bereits vergangenes Jahr. Das Unternehmen aber wiegelt ab. »TikTok hat sich zum Ziel gesetzt, LGBTQ+-Stimmen zu unterstützen und zu stärken, und wir arbeiten daran, eine einladende Community-Umgebung zu schaffen«, heißt es auf SPIEGEL-Nachfrage. Begriffe schränke das Unternehmen nicht ein. Auf die Nachfrage, wie der Algorithmus denn funktioniert, gibt es jedoch keine genaue Antwort. Stattdessen weist TikTok darauf hin, dass doch auch ein lesbisches Pärchen für das Marketing genutzt werde.

»Diskriminierung gibt es noch immer«

TikTok wird von queeren Menschen deshalb sowohl geliebt als auch kritisch beäugt – nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA. Dort nutzt beispielsweise Alexis die App, mit 42 gehört sie zu den älteren Menschen auf der Plattform. Ihr Coming-out hatte sie 1996. Alexis hatte sich die App zunächst im Scherz heruntergeladen, erzählt sie. Über Monate schaute sie nur zu, erstellte dann schließlich doch ein Video , dessen Botschaft lautete: Du bist jung und hast gerade erst begriffen, dass du queer bist? Dann hast du hier einen sicheren Platz.

»In meinen Videos zeige ich mich so, wie ich bin«, sagt Alexis, die sich Queermom nennt . »Genauso möchte ich aber auch eine Mentorin für junge queere Menschen sein, diese Rolle gibt es in der Community nicht mehr oft.« Jungen Queers sagt Alexis zum Beispiel, dass es in Ordnung sei, Single zu sein . Oder sie spricht über Sex und erklärt, wie wichtig Zustimmung dabei ist . Auf TikTok habe auch sie selbst schon Dinge gelernt, sagt Alexis, etwa dass es jüngere Generationen gebe, die sich ganz anders ausdrücken könnten. Sie sagt aber auch: »Diskriminierung gibt es noch immer – und wir müssen etwas dagegen tun.«

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