Nach massiven Protesten WhatsApp verschiebt wichtige Frist für alle seine Nutzer

Mit einem Kommunikationsdesaster bringt WhatsApp seine Nutzer gegen sich auf, manche wandern ab. Jetzt reagiert der Dienst und verschiebt eine umstrittene Frist. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Messenger WhatsApp: Eine der beliebtesten Apps überhaupt

Messenger WhatsApp: Eine der beliebtesten Apps überhaupt

Foto: Roman Möbius / imago images

Der beliebte Messenger WhatsApp zieht die Reißleine: Am Freitagabend hat der Dienst mitgeteilt, dass eine wichtige Frist für alle Nutzerinnen und Nutzer der App verlängert wird. Wer das Chatprogramm benutzt, bekommt demnach mehr Zeit, um neue Nutzungsbedingungen für die zu Facebook gehörende App zu prüfen und zu akzeptieren. Die Rede ist in der Ankündigung vom 15. Mai , was viele als neuen Stichtag interpretieren, ohne dass dies explizit so angekündigt wird. Auf SPIEGEL-Nachfrage heißt es vom Unternehmen am Freitagabend, Nutzer würden nun mindestens drei Monate mehr Zeit bekommen, womöglich auch länger.

WhatsApps ursprüngliches Ultimatum bis zum 8. Februar und der damit verbundene Zustimmungszwang ohne echte Alternative hatten weltweit für Aufruhr gesorgt. Die Befürchtung mancher Internetnutzer: Mit der Änderung brechen alle Dämme, und WhatsApp teilt noch mehr Daten mit Facebook.

Die Proteste haben nun offenbar gewirkt. WhatsApp gewährt zumindest eine Fristverlängerung. Man habe von vielen Menschen gehört, dass große Verwirrung rund um das jüngste Update herrsche, heißt es in einem Blogbeitrag . »Es gibt viele besorgniserregende Falschinformationen, und wir wollen dabei helfen, dass jeder unsere Grundsätze und Fakten versteht.«

Doch was ist bei WhatsApp überhaupt los? Und welche Alternativen gibt es zum populären Messenger? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Situation.

Warum ist WhatsApp gerade in den Schlagzeilen?

Derzeit tauchen bei Nutzern weltweit Warnhinweise auf, wenn sie WhatsApp starten. Der Messenger legt den Anwendern nahe, seine neuen Nutzungsbedingungen, die Sie hier lesen können , abzusegnen, an der Seite einer neuen Datenschutzrichtlinie, die hier zu finden ist . In den sozialen Medien wird dazu vielerorts behauptet, WhatsApp wolle angeblich auch in Deutschland künftig mehr Daten mit Facebook teilen, damit die Werbung des sozialen Netzwerks gezielter ausgespielt und Freundschaftsvorschläge aus Telefonkontakten generiert werden können.

Stimmen jene Behauptungen denn?

In Deutschland gibt es laut WhatsApp selbst keine derart grundsätzlichen Änderungen. Es werde »nirgendwo auf der Welt etwas an der Praxis geändert, wie WhatsApp die Daten von Nutzern teilt«, sagte eine Sprecherin auf SPIEGEL-Anfrage. Dazu muss man jedoch wissen, dass WhatsApp schon seit Jahren manche Daten wie Telefonnummern und Gerätekennungen sowie Nutzungsinformationen (»wann du WhatsApp zum letzten Mal genutzt hast«, heißt es als Beispiel auf dieser Erklärseite ) mit Facebook teilt.

Alexandra Dmitrienko von der Universität Würzburg sagte dem SPIEGEL, dass diese Daten für Facebook wichtig seien, um die Nutzer zu identifizieren. Der IT-Professorin zufolge sind die Daten interessant, »da mit einer Aggregation aller Daten der Tochterunternehmen ein massiver sozialer Graph erschlossen werden kann«.

Gibt es für alle Länder dieselben Regeln?

WhatsApp hat verschiedene Regelsätze für die »Europäische Region« und andere Länder, die man durch den Aufbau der WhatsApp-Website leicht durcheinander bringt. Im Gegensatz zum Rest der Welt verwendet Facebook die WhatsApp-Daten in Europa und Großbritannien nach eigenen Angaben nicht dazu, Produkte oder Werbung des sozialen Netzwerks zu verbessern. Das verbietet unter anderem die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Das mache man auch weiterhin nicht, teilte die WhatsApp-Sprecherin mit.

Wie gut erklärt WhatsApp seine Regeln?

Wer sich durch WhatsApps Richtlinien und Infoseiten klickt, verliert schnell den Durchblick. Hier muss man sagen: WhatsApp versagt dabei, seinen Nutzern seine Richtlinien und die jetzt vorgenommenen Änderungen auf verständliche Weise zu erklären – so wundert es kaum, dass auch Gerüchte die Runde machen.

Und die Welt der WhatsApp-Regeln ist verdammt komplex. Laut einer Erklärseite  beispielsweise werden WhatsApp-Daten innerhalb der Facebook-Unternehmensgruppe geteilt, »um von Leistungen in den Bereichen Infrastruktur, Technologie und Systeme profitieren zu können«. Außerdem heißt es dort: »Derzeit nutzt Facebook deine WhatsApp Account-Informationen nicht dazu, deine Produkterlebnisse auf Facebook zu verbessern oder dir interessantere Facebook-Anzeigen zu zeigen.«

Klickt man auf derselben Seite auf das Wort »Facebook-Unternehmen«, liest man dort : »Unter Umständen teilen wir Informationen über dich innerhalb unserer Unternehmensgruppe, um verschiedene Aktivitäten zu erleichtern, zu unterstützen und zu integrieren – und natürlich auch, um unsere Dienste noch weiter zu verbessern.« Daten werden demnach an mehrere Tochterfirmen geschickt, etwa an Facebook Payments, an das für die Tochtermarke Oculus zuständige Facebook Technologies und an das Analysetool CrowdTangle.

Dem Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar geht das alles zu weit. Bei »Heise Online « fordert er, dass die irische EU-Datenschutzbehörde eine Untersuchung einleitet.

Warum soll ich neuen Regeln zustimmen, wenn sich angeblich so gut wie nichts ändert?

Neben manchen Formulierungen ändert sich vor allem ein Punkt: WhatsApp baut die Chatfunktion zwischen Kunden und Unternehmen aus. Dazu heißt es etwa: »Wir sind stets bestrebt, dir, Unternehmen und anderen Organisationen noch bessere Möglichkeiten bereitzustellen, über unsere Dienste miteinander zu kommunizieren, beispielsweise über Informationen zu Bestellungen, Transaktionen und Terminen, Liefer- und Versandbenachrichtigungen, Aktualisierungen von Produkten und Dienstleistungen und Marketing.«

Einer Facebook-Ankündigung aus dem Oktober  zufolge könnten Firmen die WhatsApp-Chats mit Kunden auch für Marketingzwecke verwenden – inklusive Werbung auf Facebook.

Muss ich die neuen Richtlinien akzeptieren?

Wenn man WhatsApp weiterhin benutzen will, führt kein Weg daran vorbei, so jedenfalls wurde es bisher kommuniziert: Wer sich weigert, den Zustimmen-Knopf zu drücken, der sollte den Messenger schon ab dem 8. Februar nicht mehr verwenden können.

»Kein Account wird am 8. Februar gesperrt oder gelöscht«, schrieb WhatsApp nun am Freitag. »Wir werden dann unsere Benutzer nach und nach bitten, die Richtlinie nach eigener Zeitvorgabe zu lesen, bevor die neuen Optionen für die Kommunikation mit Unternehmen am 15. Mai verfügbar werden.« Ob WhatsApp seine Zustimmen-oder-Rausfliegen-Regelung nun auch im Mai oder an einem eventuell anderswo liegenden neuen Stichtag anwendet, bleibt abzuwarten.

Kann Facebook bald meine WhatsApp-Nachrichten mitlesen?

Nein. WhatsApp verweist darauf, dass die Kurznachrichten zwischen den Nutzern mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gesichert seien. Das heißt, die Botschaften werden beim Sender kodiert und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt. In die Unterhaltung kann sich niemand einklinken. Wie Nutzer-Chats seien auch Videochat-Inhalte nicht einsehbar, heißt es bei WhatsApp – weder für WhatsApp, noch für Facebook.

Zu Nachrichten, die an Unternehmen gehen, merkt WhatsApp in seiner Datenschutzrichtlinie  derweil an: »Wenn du auf WhatsApp Nachrichten mit einem Unternehmen austauschst, solltest du dir unbedingt bewusst ein, dass der Inhalt dieser Nachrichten für mehrere Personen in diesem Unternehmen sichtbar sein kann. Außerdem arbeiten manche Unternehmen mit Drittanbietern zusammen (darunter auch Facebook), die sie bei der Kommunikation mit ihren Kunden unterstützen.«

Kann ich verhindern, dass meine WhatsApp-Daten weitergeleitet werden?

Ja, auch wenn man die 30-Tage-Ausstiegschance im September 2016 verpasst hat. Die DSGVO ermöglicht es allen Nutzern in Europa, über ihre Daten zu bestimmen. Allerdings ist das extrem aufwendig und mit viel Bürokratie verbunden . WhatsApp verlangt unter anderem eine exakte Beschreibung der Datenverarbeitung, der man widersprechen will. Außerdem will die Facebook-Firma genau wissen, in welchen Rechten und Freiheiten man sich beeinträchtigt fühlt. WhatsApp behält sich vor, den Widerspruch zu prüfen und abzulehnen, wenn die Begründung nicht ausreicht.

Wie viele Nutzer wechseln jetzt zur Konkurrenz?

Bei Facebook dürfte man durchaus mit Sorge zur Kenntnis genommen haben, dass etwa Tesla-Chef Elon Musk und Whistleblower Edward Snowden zum Messengerwechsel raten. Das Wachstum der App jedenfalls ist erst einmal ausgebremst: WhatsApp ist im Google-Play-Store in den vergangenen zwei Wochen von Platz zwölf der beliebtesten Gratis-Apps auf Rang 45 abgestürzt . Die Downloads sind in den ersten sieben Tagen dieses Jahres um 11 Prozent im Vergleich zur Vorwoche auf etwa 10,5 Millionen geschrumpft.

WhatsApp sah sich sogar genötigt, eine Kampagne zu starten, um die verunsicherten Nutzer nach seinem Kommunikationsdebakel rund um die Nutzungsbedingungen  zu beschwichtigen – und schließlich sogar die Frist zu verlängern. Konkurrenten wie Threema, Telegram und Signal bekommen unterdessen großen Zulauf.

So löscht man einen WhatsApp-Account

Für Nutzer, die ihren WhatsApp-Account löschen wollen, heißt es in der Datenschutzrichtlinie übrigens: »Du kannst deinen WhatsApp Account jederzeit über unsere In-App-Funktion Meinen Account löschen löschen. Sobald du den Löschprozess deines Accounts einleitest, kann dieser Account nicht mehr genutzt werden (das heißt: Du kannst dich dann nicht mehr anmelden oder erneut registrieren).«

WhatsApp betont außerdem, »dass es ab dem Start des Löschprozesses bis zu 90 Tage dauern kann, bis deine WhatsApp-Informationen gelöscht werden«. Beachten sollte man darüber hinaus, »dass deine Informationen noch länger bei uns gespeichert werden, wenn du lediglich die WhatsApp App von deinem Gerät löschst, ohne unsere In-App-Funktion Meinen Account löschen zu nutzen«.

Die Löschfunktion findet sich im Menü Einstellungen als Teil des Punktes Account.

Was empfehlen Experten verunsicherten Nutzern?

WhatsApp ist nicht die erste Wahl, wenn man Wert auf Privatsphäre legt. Allerdings sollte man nicht überstürzt handeln. Alexandra Dmitrienko sagt: »Als verunsicherter Nutzer sollte man nicht voreilig auf den nächstbesten Messenger wechseln.« Die Informatikprofessorin empfiehlt, sich zunächst eine Übersicht über verfügbare Dienste zu verschaffen. »Vor allem Aspekte wie Datensammlung oder Datenschutz sollten bei einem Wechsel im Fokus stehen.«

Welcher Messenger eignet sich als Alternative?

Noch immer hat WhatsApp einen großen Vorteil: Mit mehr als zwei Milliarden Nutzern ist der Messenger mit Abstand am beliebtesten. Dort hat man die beste Chance, seine Freunde oder Verwandte zu erreichen. Allerdings punkte zum Beispiel Signal beim Datenschutz, sagt Alexandra Dmitrienko, da die quelloffene Software des Messengers gut überprüft werden könne (ähnlich wie bei Threema). Bei WhatsApp und auch bei Telegram könne man nicht nachvollziehen, ob die Angaben stimmen. Mit Blick aufs Thema Privatsphäre hätte sich ein Wechsel von WhatsApp zu Signal aber auch schon vor der Richtlinienänderung gelohnt, sagt die Expertin für Softwaresicherheit.

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