Amazon Kindle Paperwhite im Test Von Blauweiß bis Bernstein

Auch vor dem Kindle macht der Trend zu größeren Bildschirmen mit kleineren Rändern nicht halt
Foto: Matthias Kremp / DER SPIEGELDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Paperwhite war so etwas wie der VW Golf unter Amazons E-Readern: Besser als die Einstiegsmodelle, aber nicht gut genug für die Oberklasse. Doch genauso wie VW den Golf einst auch als Cabrio und als höher gelegte Plus-Version angeboten hat, hat Amazon sein Paperwhite-Portfolio jetzt aufgespreizt. Neben dem Paperwhite gibt es nun den Paperwhite Kids und eine Signature Edition. Der auf den ersten Blick sichtbare Unterschied: Sie kosten alle unterschiedlich viel.
Ansonsten teilen die drei Modelle viele Gemeinsamkeiten. Sie haben alle einen mit 6,8 Zoll (ca. 17 cm) größeren Bildschirm als der Vorgänger, der sich mit 6 Zoll (ca. 15 cm) begnügen musste. Die Auflösung ist mit 300 Pixel pro Zoll (ppi) sehr fein und auf dem Niveau einfacher Laserdrucker. Außerdem sind alle drei Paperwhite-Varianten nach IPX8 wasserfest und können nur per WLAN-Verbindung ins Internet. Damit ist der teure Oasis derzeit der einzige Kindle, dem das auch übers Mobilfunknetz gelingt. Die Besonderheit des »Kids«-Modells: Es zeigt auf dem Sperrbildschirm keine Werbung an und wird mit einem bunten Cover geliefert. Außerdem gehört ein Jahresabonnement für Amazon Kids+, das »über tausend« Bücher für Kinder und Jugendliche bereitstellt, zum Lieferumfang.

Deutlich gewachsen: Der neue Kindle Paperwhite (rechts) im Vergleich mit dem Vorgängermodell
Foto: Matthias Kremp / DER SPIEGELGetestet habe ich die Signature Edition des Kindle Paperwhite, also die teuerste Variante mit den meisten Extras. Das Display entpuppte sich dabei schnell als wichtigste Neuerung. Zum einen, weil es größer ist. Dadurch ist der neue Kindle Paperwhite zwar etwas weniger handlich, bietet aber viel mehr Lesefläche, die sich deutlich bemerkbar macht. Man muss einfach seltener blättern. Zudem wird das Display nun von 17 LEDs beleuchtet, was eine gleichmäßigere Ausleuchtung erreichen soll. Der Unterschied zu den fünf LEDs des Vorgängers ist allerdings nicht so groß, wie es die Zahlen erscheinen lassen.
Laut Amazon kann der neue Paperwhite zudem schneller umblättern. Seitenwechsel absolviere er um 20 Prozent schneller als sein Vorgänger, heißt es von dem Unternehmen. Spürbare Vorteile bringt das nach meiner Ansicht aber nicht. Versuchen Sie doch einfach mal, eine Buchseite 20 Prozent schneller umzublättern als die davor. Die Zeitspanne, die das E-Ink-Display eines Kindle braucht, um von einer Seite zur nächsten zu blättern, war auch bei der Vorgängergeneration schon kurz genug, jetzt ist das nur etwas schöner animiert. Dass ein solches Display langsamer reagiert als etwa ein Handybildschirm, zeigt sich eher beim Stöbern im Kindle-Shop, bei dem jedes Umblättern von einem deutlichen Flackern begleitet wird.
Wichtiger als das Umblättern ist mir, dass man jetzt die Farbtemperatur des Bildschirms ändern kann. Falls Ihnen der Begriff nichts sagt: Als kalt wird Licht bezeichnet, wenn es einen hohen Blauanteil hat, als warm, wenn es rötlicher ist. Kaltem Licht wird nachgesagt, es könne sich negativ auf den Schlaf auswirken. Wohl deshalb kann man in den Einstellungen festlegen, dass der Bildschirm nach einem festen Zeitplan oder von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang auf einen warmen Bernstein-Farbton umschaltet. Auf Smartphones wird eine ähnliche Funktion als »Nachtmodus« oder »Night Shift« bezeichnet. Auch wenn mir dieses Umschalten am Kindle nicht wichtig ist, wähle ich für alle Stunden des Tages gern einen etwas wärmeren Farbton. Aber das ist einfach meine persönliche Vorliebe.


Von Blauweiß bis Bernstein: Links die kälteste Einstellung für die Farbtemperatur, rechts die wärmste
Für das neue Modell verspricht Amazon »die längste Akkulaufzeit, die es bisher bei Kindle gab«, nämlich »bis zu 10 Wochen«. Das gilt freilich nur, wenn man das WLAN abschaltet, die Helligkeit auf die Hälfte des Maximus dimmt und nicht länger als 30 Minuten täglich liest. Oder, um es klar zu sagen: Wie lange der Akku durchhält, hängt davon ab, wie man seinen Kindle benutzt. Nach ein paar Wochen mit dem neuen Paperwhite kann ich mich immerhin darauf festlegen, dass er mindestens so lange durchhält wie sein Vorgänger und substanziell länger als ein Kindle Oasis.
In meinem Fall heißt das, dass ich ihn trotz regelmäßiger Nutzung in drei Wochen bisher erst einmal aufgeladen habe: direkt nach dem Auspacken. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen wollte ich mit 100 Prozent Akkuladung starten, um mir einen Eindruck von der Akkulaufzeit machen zu können. Zum anderen wollte ich den USB-C-Ladeanschluss testen, für den zwar ein Kabel, aber kein Netzteil im Karton liegt. Eine volle Ladung soll damit binnen zweieinhalb Stunden gelingen, sofern man ein Netzteil mit mindestens neun Watt Leistung nutzt.

USB-C am Kindle: praktisch, weil man das Ladekabel vom Smartphone benutzen kann
Foto: Matthias Kremp / DER SPIEGELUnd schließlich war ich gespannt auf die kabellose Ladefunktion der Signature Edition. Und ja, die funktioniert, wenn man ein Ladepad hat, das dem Kindle genug Platz bietet. Welchen Sinn dieses Extra haben soll, ist mir trotzdem schleierhaft. Schließlich läuft der E-Reader bei normaler Nutzung wochenlang, bevor man ihn aufladen muss. Eine Notwendigkeit, ihn wie ein Smartphone mal eben kabellos nachzuladen, sehe ich nicht. Aber vielleicht gibt es Hardcore-User, die sich darüber freuen.

Sperrbildschirme: Kindle Paperwhite (2919) mit Werbung, Kindle Paperwhite Signature Edition mit Buchtitel und Kindle Oasis ohne Werbung (von Links nach rechts)
Foto: Matthias Kremp / DER SPIEGELDasselbe gilt für die 32 Gigabyte Speicher der Signature Edition. Ich bin in den vielen Jahren, die ich E-Reader nutze, auch bei 8-GB-Modellen nie an die Grenzen des Speicherplatzes gekommen. Wer beispielsweise viele PDF-Dokumente auf seinen Kindle lädt, könnte daraus mehr Nutzen ziehen.
Ein Extra der teuersten Paperwhite-Version, das ich schätze, aber nicht für essenziell halte, ist der Lichtsensor, der die Helligkeit des Bildschirms abhängig vom Umgebungslicht steuert. Was mich im Vergleich mit dem Kindle Oasis stört: Der Paperwhite hat keine Tasten, zum Umblättern muss man stets den Touchscreen benutzen.
Fazit
👍 Sehr gutes Display 👍 Sehr gute Akkulaufzeit 👍 USB-C-Ladebuchse | 👎 Keine physischen Buttons zum Umblättern |
Mit dem größeren und verbesserten Bildschirm kommt der neue Kindle Paperwhite Amazons Top-Kindle, dem 230 Euro teuren Oasis, sehr nahe. Wer auf dessen geringfügig gleichmäßigere Ausleuchtung des Displays und die Mobilfunkanbindung verzichten kann, bekommt mit dem Paperwhite für weit weniger Geld einen fast gleichwertigen E-Reader mit deutlich besserer Akkulaufzeit. Für 130 Euro dürfte das Standardmodell für die meisten Nutzerinnen und Nutzer die beste Wahl sein. Wer keine Werbung auf dem Sperrbildschirm sehen will, zahlt 20 Euro mehr.
Die 190 Euro teure Signature Edition ist mit ihren 32 GB Speicher im Grunde nur etwas für Extremleser, die den vielen Speicherplatz brauchen. Für die kabellose Ladefunktion und die automatische Anpassung der Displaybeleuchtung lohnt sich der Aufpreis nicht.
Hintergrund: Produkttests im Netzwelt-Ressort
Anmerkung der Redaktion: Eine unfertige Fassung dieses Artikels wurde versehentlich bereits am Sonntag veröffentlicht und musste daher zunächst wieder depubliziert werden. In der ersten Fassung hieß es, die Beleuchtung der Kids-Edition sei mit 4 LEDs nicht so fein wie die des normalen Paperwhite. Tatsächlich hat diese Version aber auch 17 LEDs. Wir haben das korrigiert.