
Android 4.0 Google hat, was man sich von Apple wünscht
Es war eine Show im Eiltempo. Nur exakt eine Stunde ließen sich die Manager von Google und Samsung Zeit, um ein brandneues, erstaunliches Smartphone und die Google-Software Android 4.0 vorzustellen. Zeit für Atempausen gab es dabei nicht. Nur wenige Minuten mussten beispielsweise ausreichen, um das lange erwartete Galaxy Nexus vorzustellen. Es ist ein Smartphone mit erstaunlichen Eigenschaften und vor allem: das erste Handy mit Googles Smartphone-Software Android 4.0, Codename Ice Cream Sandwich.
Die ursprünglich für den 11. Oktober im kalifornischen San Diego geplante Veranstaltung war aufgrund des Todes von Apple-Gründer Steve Jobs verschoben worden, nun fand sie in Hongkong statt. Die Zahl der anwesenden Journalisten war für ein Event dieser Größenordnung sehr überschaubar. Einige Dutzend, vielleicht hundert, scheinen dabei gewesen zu sein. Der Rest der Welt konnte der Veranstaltung per Livestream via YouTube folgen. Besonders populär dürfte diese Web-Übertragung aber nicht gewesen sein. Nach deutscher Zeit begann sie um vier Uhr morgens, an der amerikanischen Ostküste war es 22 Uhr abends.
Und doch hat es sich gelohnt, am Mittwoch früh aufzustehen. Zum ersten Mal bekam man jenes Smartphone, das Samsung als Vorzeigemodell für Googles neues Betriebssystem entwickelt hat, zu sehen. Darüber, was es kann und wie es heißen wird, war zuvor ausführlich im Web spekuliert worden. Nexus Prime werde es wohl betitelt, war lange die landläufige Meinung, nun hört es offiziell auf den Namen Galaxy Nexus.
Highend-Bildschirm
Sein herausragendes, ja hervorstechendes Merkmal, ist sein Bildschirm. Mit 4,65 Zoll Diagonale ist er größer als fast alle Konkurrenzmodelle. Beeindruckend ist aber vor allem seine Auflösung: 1280 x 720 Pixel finden auf dem Display Platz, 50 Prozent mehr als auf dem hochgelobten Retina-Display von iPhone 4 und 4S. Dabei ist das Galaxy Nexus sogar noch einen Hauch dünner als das Apple-Handy, aufgrund der Bildschirmdiagonale aber höher und breiter. Eine leichte konkave Krümmung soll dafür sorgen, dass es dennoch angenehm in der Hand liegt.
Als Prozessor verwendet Samsung ein 1,2 GHz schnelles Dualcore-Modell von Texas Instruments, dem 1 GB Arbeitsspeicher zur Seite stehen. Als Massenspeicher sind wahlweise 16 oder 32 GB Flash-Speicher eingebaut, Angaben zu einem Steckplatz für microSD-Karten fehlen bislang. Dafür sind die drahtlosen Fähigkeiten gut bekannt, sie umfassen Bluetooth 3.0, schnelles W-Lan und, je nach Ausführung, die schnellen Mobilfunktechniken LTE oder HSPA+. Außerdem sind eine 5-Megapixel- und eine 1,3-Megapixel-Kamera, diverse Sensoren und ein NFC-Chip (Near Field Communication) für drahtlose Kurzstreckenverbindungen an Bord.
Dass Samsung das Privileg hat, als erster Handy-Konzern ein Mobiltelefon mit dem neuen Google-Betriebssystem ausliefern zu können, hat Signalwirkung - und dürfte viele Google-Kritiker besänftigen. Die hatten befürchtet, der Internetkonzern werde bei neuen Entwicklungen künftig Motorola bevorzugen, nachdem Google angekündigt hatte, Motorolas Mobilfunksparte zu übernehmen. Stattdessen präsentierte Motorola Mobility nur wenige Stunden vor der Google/Samsung-Veranstaltung in New York ein neues Smartphone seiner Razr-Serie - mit Android 2.x an Bord. Ob die Konzerne ihr Timing abgestimmt haben, bleibt Spekulation.
Android 4.0 hat viel von iOS 5
Nur wenigen Fragen ließ dagegen die Präsentation von Android 4.0 durch Google offen. Vor allem jene nicht, wie groß der Unterschied zwischen Apples iOS 5 und der neuen Google-Software ist. Die enthält jetzt einige Funktionen und Fähigkeiten, die Apple-Anwender längst schätzen gelernt haben. Zwar nur ein Detail, aber dennoch umso wichtiger: Endlich kann man Screenshots per Tastendruck anfertigen. Bisher waren dafür Spezialsoftware und teilweise Manipulationen an der Systemsoftware nötig. Einzig einige Samsung-Handys verfügten auch zuvor schon über eine Screenshot-Funktion.
Außerdem lassen sich Apps, Dokumente oder Kontakte jetzt in Ordnern auf dem Desktop organisieren und die Favoritenleiste am unteren Bildschirmrand den eigenen Wünschen anpassen. Im Multitasking lässt sich nun viel komfortabler als bisher zwischen den aktiven Apps hin- und herschalten. Zudem lassen sich die Widget genannten Mini-Apps, die beispielsweise das aktuelle Wetter oder neue E-Mails auf dem Homescreen anzeigen, in der Größe verändern, um den zur Verfügung stehenden Platz besser auszunutzen.
Verbessert wurde auch die Bildschirmtastatur, die nun genauer arbeiten soll und eine eigene Rechtschreibprüfung, Wort für Wort, enthält. Die soll man aber nicht mehr zwangsläufig nutzen müssen, da auch die in Android integrierte Möglichkeit, Texte zu diktieren, verbessert wurde. Dasselbe gilt für die E-Mail-App, den Kalender, das Adressbuch und viele andere Apps, die zum System gehören. Viel versprechend sind einige neue Funktionen des Webbrowsers, der jetzt auch ganze Web-Seiten lokal abspeichern kann. Praktisch, wenn man beispielsweise online für einen Flug eingecheckt hat und seine Bordkarte im Handy anlegen möchte.
Datenaustausch? Einfach die Handys aneinander reiben!
Vor allem aber hat Google sich Mühe gegeben, die Bedienung zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. So kann man jetzt in vielen Apps durch einen Wisch zur Seite zwischen unterschiedlichen Funktionen, Seiten oder Datensätzen umschalten. Die Optik wird jetzt von der Schrifttype Roboto beherrscht, die Google für Android 4.0 hat entwickeln lassen und sich von ihr verspricht, sie werde Lesbarkeit und Übersichtlichkeit erhöhen.
Eine Funktion allerdings, die erst zum Schluss der Präsentation gezeigt wurde, dürfte sehr schnell sehr viele Freude finden und als Vorzeigeanwendung für die NFC-Technik dienen: Android Beam. So nennt Google die Möglichkeit, nahezu beliebige Daten, Adressen, Web-Seiten und ähnliches zwischen zwei Handys auszutauschen, einfach indem man sie kurz aneinander hält. Der Vorgang an sich erinnert an die Infrarot-Tauschfunktion früher Palm-PDAs, erfordert aber keine einzige Eingabe durch den Anwender.
Ein Nachbrenner für NFC
Einen Technikmix, wie ihn jetzt das Galaxy Nexus bietet, hatten viele Apple-Fans auch für ein iPhone 5 erhofft, mussten sich dann aber doch mit dem iPhone 4S zufrieden geben. Dessen Sprachassistent Siri ist zwar erheblich leistungsfähiger als Googles Spracheingabetechnik, seine Kamera beeindruckt, auch als Video-Camcorder. Doch fehlt ihm ein neuer, höher auflösender Bildschirm und die NFC-Technik. Beobachter erwarten, Apple werde dies erst im Sommer 2012 nachliefern.
Bis dahin hätte das Android-Lager reichlich Zeit, einen Vorsprung aufzubauen. Samsungs Galaxy Nexus soll im November in den Handel kommen, Samsungs Konkurrenten haben ab jetzt Zeit, eigene Handys mit Ice Cream Sandwich zu entwickeln. Die ersten Modelle darf man für die Unterhaltungselektronikmesse CES im Januar erwarten. Und sie alle werden hochauflösende Bildschirme und vor allem die NFC-Technik enthalten, die durch Android Beam jetzt einen Nachbrenner bekommen hat.
Dass Googles Android seinen Status als populärstes Smartphone-Betriebssystem mit der Version 4.0 ausbauen wird, ist kaum anzuzweifeln.