Angefasst So gut ist das neue iPhone wirklich
So etwas ist mir mit einem iPhone noch nie passiert. Bisher war das erste öffentliche Zurschaustellen eines neuen Apple-Handys stets von Ohhs und Ahhs begleitet. Jeder wollte es mal anfassen, alle bewunderten das handschmeichlerische Design der Apple-Handys.
Ganz anders dagegen die Reaktionen, als ich das iPhone 4 zum ersten Mal in die Redaktion mitbringe. Von spontaner Zustimmung ist da kaum mehr etwas zu spüren - klobig finden es die einen, eckig die anderen, und schwerer scheint es auch in der Hand zu liegen.
Tatsächlich wiegt das neue Modell mehr als sein Vorgänger. Allerdings nur zwei Gramm. Die kann man wohl kaum mit der Hand erspüren. Ansonsten hat Apple das iPhone eigentlich abgespeckt. Um drei Millimeter ist es dünner und um dreieinhalb Millimeter schmaler geworden. Dass man es anders empfindet, liegt wohl daran, dass die Rückseite nicht mehr so angenehm gerundet ist - was einen sperrigeren Eindruck macht.
Ein weiterer problematischer Nebeneffekt dieser Designänderung: Etliches Zubehör von älteren iPhone-Modellen passt nun nicht mehr. Das betrifft vor allem Cases und Schutzhüllen. Allerdings wird man das alte Zeug noch loswerden - das bisherige iPhone 3GS wird ja als Einstiegsmodell mit 8 Gigabyte Speicher weiterleben.
Wohlgemerkt: Einstiegsmodell. Denn das iPhone 4 ist eindeutig besser. Es merzt fast alle Mängel aus, die man Apples Handys bisher ankreiden konnte. Man mag es kaum mehr aus der Hand legen, wenn man sich erst mal mit dem neuen Design angefreundet hat (was wie bei guten Popsongs ein paar Tage dauert).

Das Display zum Beispiel ist ein Highlight dieses Telefons. Das iPhone 3GS hat bloß eine Auflösung von 320 x 480 Pixeln, die Konkurrenz protzt längst mit bis zu 800 x 480 Bildpunkten - jetzt aber übertrifft das iPhone-4-Display mit seinen 960 x 640 Pixeln alles, was ich bisher bei einem Mobiltelefon gesehen habe. Und das bei unveränderter Bildschirmgröße, weshalb die einzelnen Bildpunkte viel kleiner und dichter aneinandergedrängt sind als bisher. So werden sie quasi unsichtbar.
Apple nennt den Bildschirm "Retina-Display", weil das menschliche Auge die winzigen Pixel angeblich nicht mehr als Einzelpunkte erkennen kann. Zumindest für meine Augen trifft das auch zu.
Mehr Pixel, die man nicht sieht
Der Unterschied zwischen Alt und Neu wird im direkten Vergleich deutlich. Als ich ein Foto auf einem iPhone 3GS auf die höchste Vergrößerungsstufe aufziehe, ist verschwommener Pixelmatsch zu sehen. Das iPhone 4 hingegen zeichnet dasselbe Bild in derselben Vergrößerung mit feinen Details auf sein Display (siehe Fotostrecke).
Ähnlich drastisch ist der Unterschied bei Texten. Buchstaben werden auf dem iPhone 4 sichtbar schärfer und ohne Ausfransungen dargestellt. Vor allem bei kleinen Schriften fällt das auf.

Im Vergleich deutlich sichtbar ist auch der verbesserte Kontrast. Schon im ausgeschalteten Zustand ist zu erkennen, dass das Display des iPhone 4 schwärzer ist als der eines iPhone 3GS. Das Resultat sind im Betrieb kräftige, aber nicht übertrieben wirkende Farben.
Und noch eines macht das neue Display besonders gut: Selbst wenn man es schräg von der Seite betrachtet, bleiben die Farben klar und unverändert und die Texte gut lesbar. Möglich wird das, weil Apple hier eine besondere LCD-Technik verwendet. Das Display wird in einer neuen Fertigungstechnik direkt unter das Deckglas geklebt. Der Abstand zwischen Display und Glasoberfläche wird dadurch so klein, dass kaum mehr störende Reflexe im Glas selbst entstehen können.
Das neue Display dürfte die Wünsche vieler iPhone-User übertreffen - allerdings: So einzigartig, wie Apple es darstellt, ist es nicht. Samsung zum Beispiel baut in das neue 8500 Wave einen als Super-Amoled bezeichneten Bildschirm ein, der ganz ähnliche Eigenschaften aufweist wie jener des iPhone 4 (siehe Fotostrecke). Samsungs Ingenieuren ist es sogar gelungen, ihr Handy noch dünner zu bauen als Apple. Mehr dazu demnächst auf SPIEGEL ONLINE.
Mehr Pixel, die man sieht
Merklich verbessert hat Apple auch die Kamera des iPhone. Die Auflösung wurde von 3,2 auf 5 Megapixel hochgeschraubt. Um die Bildqualität zu halten, verwendet sie einem Apple-Manager zufolge einen Fotochip, dessen Pixel so groß sind wie bei der bisherigen Kamera. Der Fotochip ist also größer als bisher. Typische Probleme hochauflösender Kameras wie starkes Bildrauschen sollen so vermieden werden. Und tatsächlich erreichen iPhone-Fotos jetzt einen Standard, der eine Schnappschusskamera fast verzichtbar macht.

Auch kleine Camcorder wie die Flip-Kameras von Cisco bekommen durch das iPhone 4 Konkurrenz. Denn von dem neuen Bildchip und dem A4-Prozessor (der iPad und iPhone 4 antreibt) profitiert auch die Videofunktion. Sie kann jetzt Filmchen in der HD-Auflösung 720p aufzeichnen.
Passend dazu hat Apple eine iPhone-Version des Videoschnittprogramms iMovie entwickelt, die in Kürze im App Store verfügbar sein soll. Anhand einer Vorabversion konnte ich damit ein wenig herumspielen - und tatsächlich: Um iPhone-Videos zurechtzuschneiden, mit einfachen Übergängen und einem Soundtrack zu veredeln, reicht die App aus.
Zum Export stehen verschiedene Formate zur Auswahl, so dass man die am Handy gebastelten Videos auch auf dem Fernseher anschauen oder per Mail verschicken kann. Ein richtiges Videobearbeitungsprogramm ersetzt man damit nicht. Für schnelle Schnitte reicht es aber aus.
Was das Duale Kamerasystem bringt
Eine zentrale Neuerung des iPhone 4 ist eine zweite Kamera (wenn auch nur mit der VGA-Auflösung 640 x 480 Pixel) an der Vorderseite des iPhone. Sie ermöglicht Videochats mit Apples Dienst Facetime. Andere Hersteller bieten das seit Jahren an, doch Apples Entwickler haben jetzt ganze Arbeit geleistet. Die Bildqualität bei Facetime-Videofonaten ist erstaunlich gut, und man muss keinerlei Einstellungen vornehmen, um Facetime zu nutzen. Es funktioniert einfach.
Schlecht: Der Dienst funktioniert vorerst nur per W-Lan und nur von iPhone 4 zu iPhone 4 - was die Zahl derjenigen, die man per Videochat anrufen kann, drastisch einschränkt. Gut: Die Gespräche sind kostenlos (solange das benutzte W-Lan kostenlos ist). Videochats könnten am Ende gerade im Ausland zur günstigen Alternative zum klassischen Telefonieren werden.
Lange Laufzeit ist kein Zufall
Angenehmer wird auf dem iPhone 4 zum Beispiel auch Telefonieren über Skype. Denn das Gerät nutzt die Multitasking-Funktionen des neuen Betriebssystems iOS4 voll aus - Apps können im Hintergrund weiterlaufen.
Bisher hatte Apple Multitasking mit dem Argument abgelehnt, viele zugleich geöffnete Programme würden den Akku zu schnell leeren. Der neue Parallelbetrieb von Apps ist aus diesem Grund auch noch eingeschränkt. Es handelt sich nicht um vollwertiges Multitasking, sondern Apple gibt den Entwicklern vor, welche Prozesse im Hintergrund laufen dürfen und welche nicht. So soll sichergestellt werden, dass die Akku-Laufzeit nicht zu sehr leidet.

Wichtig ist da, dass der Arbeitsspeicher auf 512 Megabyte verdoppelt wurde - was ich bestätigt bekomme, als ich mir nach einiger Zeit des Testens per Doppelklick auf die Home-Taste eine Übersicht aller gerade geöffneten Apps anzeigen lasse. Nicht weniger als 36 Stück sehe ich. Ich muss wohl disziplinierter werden und gelegentlich die Möglichkeit nutzen, Apps zu beenden.
Einen negativen Einfluss des Multitaskings auf die Laufzeit konnte ich bisher nicht feststellen. Eher im Gegenteil - der Akku scheint länger zu halten. Das sollte er allerdings auch, denn durch Designtricks ist es gelungen, einen etwas größeren Akku als bisher im Gehäuse unterzubringen.
Ab nach England?
Vom Nutzer selbst auszutauschen ist der Akku immer noch nicht - wie bei allen bisherigen Mobilgeräten von Apple, was die härtesten iPhone-Fans allerdings nicht stört. Sie kaufen sich jedes Jahr das neue iPhone und merken dann gar nicht, dass der Akku irgendwann an Leistung verliert.
Der Nachteil für die Nutzer: Ihr Portemonnaie wird parallel zum iPhone immer dünner. Bei der Telekom jedenfalls muss man bis zu 400 Euro für das neue iPhone zahlen - zusätzlich zu den Kosten eines zweijährigen Vertrags, die sich auf mindestens 623,75 Euro (Tarif Complete XS) belaufen.
Jene, denen das zu teuer ist, werden wohl wie schon früher im Ausland nach alternativen Angeboten suchen. In Großbritannien zum Beispiel ist das 16-Gigabyte-Modell des iPhone 4 direkt bei Apple für umgerechnet 600 Euro zu bekommen, vertragsfrei.
Ob es sich lohnt, dafür eine Auslandsreise zu machen, ist die Frage. Zumal man nicht vergessen sollte, dass Besitzer eines iPhone 3G oder 3GS viele der neuen Software-Funktionen des iPhone 4 per Betriebssystem-Update gratis auch bekommen.
Nur das neue Display, die verbesserte Hauptkamera und die Zweitkamera kann man natürlich nicht nachrüsten.