Augmented Reality Das Handy wird zum Welt-Wissensfenster

Augmented Reality, die erweiterte Realität, sei die nächste technische Revolution, sagen Experten. Dabei ist sie längst da: Es gibt bereits Handy-Programme, die GPS-Informationen, Handy-Bilder und das Wissen des Web zu ganz neuen Anwendungen verknüpfen. Nur eine fehlt noch.
Handy-Anwendung Wikitude: Smartphones verknüpfen Positionsdaten und Web-Wissen

Handy-Anwendung Wikitude: Smartphones verknüpfen Positionsdaten und Web-Wissen

Foto: Wikitude

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen neuen Job in einer anderen Stadt gefunden. Wollen sich einige Wochen vor ihrem ersten Tag in der neuen Firma schon mal einen Eindruck davon machen, was Sie in Zukunft erwartet. Also besteigen Sie frühmorgens ein Flugzeug, das Sie in Ihre künftige Heimat bringen soll.

Vor ihnen schlüpft ein Fluggast durch die Sicherheitskontrolle, mit einem schicken kleinen Köfferchen. Genau so einen wollten Sie auch schon immer haben: Groß genug, um Wechselwäsche für zwei Tage aufzunehmen, und dabei immer noch so klein, dass ihn jede Airline als Handgepäck zulässt. Was mag das nur für ein Modell sein?

Kein Problem. Sie machen einfach per Handy einen Schnappschuss von dem Köfferchen, schicken das Bild ins Netz. Wenige Minuten später ploppt eine Meldung aufs Handy-Display: Produkt gefunden. Sie öffnen die Nachricht und siehe da, das gesuchte Gepäckstück ist ein Coleman-Koffer aus den USA. Die sind in Deutschland schwer bis gar nicht zu bekommen, was allerdings kein Problem darstellt. Der Produktsuchdienst bietet Ihnen an, den Koffer bei einem US-Händler zu bestellen, der auch nach Deutschland liefert.

Diesen Service gibt es bereits. Angeboten wird die Produktsuche per Foto von Amazon. Die iPhone-Applikation des Versandhändlers  findet, vom Gartenstuhl bis zum Camcorder, tatsächlich recht zuverlässig Produkte, die man mit der Handy-Kamera abgelichtet hat und bietet diese, sofern im Amazon-Portfolio vorhanden, zum Kauf an.

Ein Navi, das keine Karte braucht

Am Zielflughafen angekommen, gehen Sie zum Schalter einer Mietwagenfirma und lassen sich die Schlüssel für das online reservierte Auto aushändigen. Das Angebot, gegen Aufpreis ein Navigationsgerät hinzuzubuchen, schlagen Sie aus. Den richtigen Weg vom Flughafen in die Stadt kennt die Navigationssoftware ihres Handys mindestens genauso gut. Auch die Schleichwege um die Staus auf der Stadtautobahn herum kann es ihnen zeigen, nachdem es sich die aktuellen Verkehrsmeldungen aus dem Web gefischt hat.

Möglichkeiten, dieses Szenario umzusetzen, gibt es reichlich, denn für GPS-Smartphones gibt es - von Roadee  für 1,59 bis Tomtom für 100 Euro - eine Vielzahl unterschiedlicher Navigationsprogramme. Die Möglichkeit zur Stauumfahrung ist bisher allerdings noch selten, wird auf dem iPhone aber beispielsweise von Navigon angeboten. Googles kostenlose Navigationssoftware, die in den USA bereits erhältlich ist und die sicher auch bald in Europa eingeführt werden dürfte, wird solche Funktionen ebenfalls beherrschen. Allerdings nur auf Handys mit Googles Android-Betriebssystem.

Besonders reizvoll am Google-Navi ist, dass es auch Googles Streetview-Bilder einbindet. So muss man sich nicht nur anhand einer abstrakten Karte orientieren, sondern kann sich auch anzeigen lassen, wie das Ziel, zu dem man unterwegs ist, tatsächlich aussieht. Das ist viel plastischer als beispielsweise die Angabe einer Hausnummer.

Aber es geht noch viel intuitiver - und ganz ohne Karte. Die Navigationssoftware Wikitude Drive  verabschiedet sich ganz von dem alten Navi-Konzept der digitalen Karte und blendet Routeninformationen direkt ins Bild der Handy-Kamera ein. So sieht man auf dem Bildschirm nicht etwa ein fotografiertes, sondern das aktuelle Realbild, in das Abbiegehinweise und Informationen eingeblendet werden. Das sieht aus wie die Projektionen, die man von den Head-Up-Displays in Flugzeugen kennt. Nur nicht so kompliziert.

Sightseeing und Bauchberuhigung

In der Stadt angekommen, verschaffen Sie sich mit Google Earth einen Überblick. Aus dem Internet haben Sie sich von der Website eines Heimatstadt-Fans eine Spaziertour durch die Innenstadt heruntergeladen und lassen sich von Ihrem Handy an den lokalen Sehenswürdigkeiten vorbeiführen. Zwischendurch starten Sie Cyclopedia, eine Anwendung, die ihnen in Echtzeit auf dem Bildschirm anzeigt, vor welchen Sehenswürdigkeiten Sie gerade stehen. Kurze Erklärtexte zu den Gebäuden werden direkt ins Kamerabild eingeblendet, ein Klick darauf holt den entsprechenden Wikipedia-Eintrag hervor.

Das ist schön und macht hungrig. Aber wo ist das nächste Restaurant? Und kann man da auch wirklich gut essen? Das herauszufinden hilft " Layar " mit seiner eingebauten Suchfunktion. Ein paar Sekunden später werden auf dem Bildschirm acht Restaurants zur Auswahl angeboten. Sie entscheiden sich für die Trattoria Mama, nicht nur, weil die so schön nah ist, sondern auch, weil sie viele gute Bewertungen von Netznutzern bekommen hat. Die werden ihnen natürlich auch angezeigt. Die Mobil-Community "Foursquare"  zeigt Ihnen außerdem, dass auch zwei Ihrer Freunde hier regelmäßig essen gehen. Einer davon empfiehlt sogar ein besonderes Schmankerl von der Speisekarte.

Wohnungssuche in der erweiterten Realität

Aber eigentlich brauchen Sie ja eine Wohnung. Schön gelegen, hell und nicht zu weit von der Arbeit entfernt soll sie sein. Sie wollen schließlich auch mal mit dem Rad ins Büro fahren können. Im Handy rufen sie die Wohnungssuche auf, geben einen Radius von fünf Kilometern um ihre aktuelle Position ein und legen fest, dass sie eine 3,5-Zimmer-Wohnung suchen. Das Ergebnis lässt nicht lange auf sich warten. Sekunden später werden ihnen 27 potentielle künftige Bleiben auf dem Bildschirm angezeigt.

Wenn sie das Telefon in die eine oder andere Richtung schwenken, zeigt eine Art Mini-Radar, welche Wohnungen in dieser Richtung liegen. Im Süden wird gar nichts angeboten. Ach ja, da sind ja der Fluss und der Hafen, alles klar, da wohnt niemand. Aber dort im Westen, das sieht nett aus. Eine "lichtdurchflutete Traumwohnung" wird da angeboten. Ganz schön teuer, aber das Bild des Wohnzimmers, das gleichzeitig auf dem Bildschirm eingeblendet wird, verspricht tatsächlich ein schickes Zuhause.

Auch ein Szenario wie dieses lässt sich mit "Layar" durchspielen. Die Software bietet zwar eine manuelle ortsbezogene Google-Suche an, hat aber zusätzlich integrierte Spezialangebote wie eine Mietwohnungssuche, einen Architekturführer und ein Twitter-Modul, mit dem man sich Twitter-User in der Nähe anzeigen lassen kann.

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Wo ist die nächste U-Bahn?

Nun gilt es noch, die Wohnung zu besichtigen. Laut Exposé liegt sie nur wenige Gehminuten von einer U-Bahn-Haltestelle entfernt. Warum also das letzte Geld für ein Taxi verpulvern? Nur, wo ist bloß die nächstgelegene U-Bahn-Haltestelle in Ihrer Nähe? Auch das weiß Ihr Handy. Ein Klick auf die U-Bahn-Anwendung " Nearest Tube " blendet auf dem Bildschirm Haltstellen ein, die Sie bequem zu Fuß erreichen können (bislang für einige Großstädte in unterschiedlichen Ländern). So finden Sie schnell und bequem den Eingang zum U-Bahn-Schacht. Wer sagt da noch, man brauche Stadtpläne?

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Am Ziel angekommen, führt wieder das Handy-Navi zur Wohnungsbesichtigung. Die Genauigkeit der GPS-Daten ist schon lange gut genug, um damit nicht nur im Auto, sondern auch per Pedes auf dem rechten Weg zu bleiben. Und wer weiß, vielleicht ist die Besichtigung ja erfolgreich und sie können gleich damit anfangen, per Handy-Kamera und Designer-Software die Einrichtung der neuen Bleibe zu planen.

Augmented Reality

Am Ende dieses Tages in der erweiterten Realität steht auf jeden Fall die Erkenntnis, dass man auf nicht mehr warten muss. Selbst die gezeigten Beispiele bilden nur einen kleinen Ausschnitt dessen ab, was tatsächlich angeboten wird. Ein Streifzug durch den App Store für das iPhone oder den Marketplace für Android-Handys fördert noch viel mehr Programme zutage, die sich erfolgreich daran versuchen, die reale Welt mit der virtuellen Welt der Informationen zu verweben. Android-Handys und vor allem das iPhone haben hier allerdings einen Vorsprung. Mobiltelefone anderer Hersteller sind bei weitem noch nicht so gut mit derartiger Software versorgt.

Was noch fehlt ist allerdings jemand, der die vielen Funktionen, die jetzt noch in Einzelprogrammen angeboten werden, zu einem allumfassenden Gesamtpaket schnürt. Ein Kandidat, der das wohl mit Leichtigkeit hinbekommen könnte, ist Google. Das Suchmaschinenunternehmen hat ein Handy-Betriebssystem, die größte Datensammlung der Welt und mittlerweile sogar eigenes Kartenmaterial und Navigationssoftware. Die Mitbewerber werden sich mächtig anstrengen müssen - und Datenschützer einmal mehr die berechtigte Frage stellen, wie viel ein einziges Unternehmen über die Menschheit wissen sollte.

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