Blackberry, iPhone, Kindle und Co. Wie uns Gadgets an Konzerne fesseln
Wir alle hängen an der langen Leine. Wir alle, oder doch wenigstens fast alle, haben Großkonzernen, Hardware-Herstellern, Software-Häusern, Suchmaschinenbetreibern die Türen unserer Häuser geöffnet, Zutritt zu unseren Jackentaschen gewährt. Dort können Sie nun schalten und walten wie sie wollen - oder wie es ihnen der Nächst-Mächtigere aufträgt. Ein totalitärer Staat beispielsweise.
Das glauben Sie nicht? Ein schönes Beispiel lieferte der Internet-Buchhändler Amazon vergangene Woche. Ausgerechnet zwei Bücher von George Orwell, nämlich "1984" und "Farm der Tiere" löschte Amazon von den Kindle-Lesegeräten all jener, die diese Werke elektronisch erworben hatten. Mit einem Software-Befehl brachte der Buchhändler die Bücher, die doch gekauft und bezahlt worden waren, zum Verschwinden. Es hatte sich herausgestellt, dass sie gar nicht hätten verkauft werden dürfen, weil der Verlag nicht die Rechte für den elektronischen Vertrieb besaß. Die ahnungslosen Käufer hatten gewissermaßen unwissentlich Raubkopien erworben.
Ein iPhone gehört einem nie ganz
Wäre das in einem herkömmlichen Buchladen geschehen, hätten die Käufer es vermutlich nie erfahren. Ein Buchhändler, dem der Fehler unterliefe, vorübergehend Raubdrucke zu verkaufen, würde kaum zu jedem Käufer nach Hause kommen, ohne Erlaubnis in Wohnungen eindringen um das böse Buch aus dem Regal zu ziehen und anschließend den Kaufpreis abgezählt auf dem Küchentisch zu hinterlegen. Im realen Leben scheitert so etwas an praktischen und rechtlichen Hürden. Elektronisch ist es kein Problem - vermutlich wird Amazon nicht einmal juristische Probleme bekommen.
Das Beispiel ist nur eines von vielen, die etwas verdeutlichen, was unser aller Leben in den kommenden Jahren und Jahrzehnten dramatisch verändern könnte: Im Zeitalter digital vernetzter Geräte sind Werte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, der Schutz des Privateigentums oder das Briefgeheimnis nicht mehr viel wert. Spielkonsolen, Blackberrys, iPhones, Windows-PC, Apple-Rechner, Blu-ray-Player - digital dauerhaft oder immer wieder mit dem Hersteller verbundene Geräte sind aus unserem Alltag längst nicht mehr wegzudenken. All diese Geräte können per Software-Update jederzeit aus der Ferne modifiziert werden. Ein iPhone, könnte man auch sagen, gehört einem längst nicht so sehr wie es der Kühlschrank oder das Fahrrad tun (außer, man verlässt sich auf die Tricks freiheitsliebender Hacker). Wir hängen alle an der Leine der Konzerne.
Freiheit aufgeben aus Angst vor den Bösewichten
Jonathan Zittrain, der in Oxford und Harvard Internet-Recht lehrt, spricht in seinem Buch "The Future of the Internet" von den Gefahren durch "angebundene Geräte" ("tethered appliances"). Die kämen immer mehr in Mode, weil damit, man denke nur ans rituelle monatliche Windows-Update, der Schutz vor Software-seitigen Eingriffen durch Bösewichte verhindert werden soll. Mit dieser Logik diktiert etwa auch Apple den Programmierern von iPhone-Applikationen die Bedingungen - nur was gefiltert und geprüft wurde, wird auf die Käufer der eigenen Hardware losgelassen. Ein iPhone ist kein PC - nicht jeder darf dafür Programme schreiben, nicht alles darauf installiert werden. Folgerichtig behält Apple sich - wie Amazon - vor, jederzeit ohne Einwilligung des Nutzers auf dessen Handy zuzugreifen, um beanstandete Anwendungen zu löschen. In bester Absicht, versteht sich.
Das Schutzbedürfnis der Nutzer aber führt im Konzert mit dem Kontrollbedürfnis der Hersteller zu einer gefährlichen Situation, schreibt Zittrain: "Eine Verschiebung hin zu angebundenen Geräten stellt auch eine Wasserscheide hinsichtlich der Regulierbarkeit des Internets dar" (Hervorhebung vom Autor). Die "Gefahren des Exzesses" rührten dann nicht mehr von Virenschreibern und Hackern her, sondern von "Eingriffen von Regulierungsbehörden in die Geräte selbst, und damit in die Art und Weise, wie Menschen diese Geräte benutzen können." Anders formuliert: Durch tethered appliances wächst nicht nur die Macht der Hersteller über die Nutzer ihrer Geräte - mittelbar wächst auch die Macht staatlicher Organe, die mit genügend Druck jeden Hersteller zu Erfüllungsgehilfen eigener Überwachungs- und Kontrollwünsche machen können. Wer glaubt, Großkonzerne würden sich dem Willen von Autokraten und Diktatoren nicht beugen, der werfe einen Blick nach China, wo Infrastrukturanbieter und Suchmaschinisten brav den Wünschen der Regierung folgen.
Blackberry-Update installiert elektronische Wanze
Ein drastisches Beispiel für Zittrains These ereignete sich vor kurzem in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wie unter anderem "Wired" und " The Register" berichteten, spielte der dortige Netzbetreiber Etisalat seinen 145.000 Blackberry-Kunden ein Update aufs E-Mail-Handy, das eine Spionage-Software enthielt. Durch einen einfachen Befehl des Netzbetreibers könnte diese aktiviert werden, so die Analyse des Software-Sicherheitsunternehmens Veracode . Dann würden mit dem Smartphone empfangene E-Mails und SMS in verschlüsselter Form an einen unbekannten Empfänger weitergereicht - lokale Sicherheitsbehörden, mutmaßten verschiedene IT-Experten. Das ganze fiel überhaupt nur deshalb auf, weil ein Fehler dafür sorgte, dass die betroffenen Blackberrys rasant ihre Akkus leersaugten - sie versuchten, einem überlasteten Server mitzuteilen, dass das Update installiert worden war. Etisalat hat bis heute nicht Stellung zu den Vorwürfen bezogen, gab nur eine dürre Pressemitteilung heraus, derzufolge das Update nur den Zweck hatte, "die Servicequalität zu verbessern".
Der Blackberry-Hersteller Research in Motion warnt inzwischen vor dem Update, das man nicht autorisiert habe - und stellt eine Software zur Verfügung , mit der es sich wieder entfernen lässt.
Zittrain beschreibt in seinem Buch ähnliche, wenn auch auf den ersten Blick weniger gravierende Fälle. Etwa den eines Autoherstellers in den USA, der dem FBI dabei half , über ein eingebautes Navigationssystem per Drahtlos-Anbindung und Navi-Mikrofon Gespräche in einem Auto abzuhören . Die Techniker des PKW-Herstellers brauchten die Mikrofone im Wagen nur per Fernbefehl einzuschalten. In mindestens einem dokumentierten Fall ist das, von einem Richter abgesegnet, auch geschehen.
Videorecorder aus der Ferne unbrauchbar machen
Ein anderes US-Gericht verfügte im Jahr 2006, dass EchoStar, ein Hersteller von Satellitenschüsseln und -receivern bereits verkaufte Geräte nachträglich dümmer machen sollte: Weil der Konkurrent Tivo, der digitale Videorecorder herstellt, EchoStar der Patentsrechtsverletzung beschuldigte, sollte EchoStar die in einigen Geräten eingebaute Videorecorderfunktion deaktivieren. Nachträglich, per Software-Update. Für die Nutzer hätte das bedeutet: Ihre Geräte verlören die Funktion, für die sie als Käufer bezahlt hatten - und auch alle bereits aufgezeichneten Sendungen wären damit auf einen Schlag verschwunden.
Die Vollstreckung wurde jedoch ausgesetzt, der Rechtstreit dauert bis heute an . Solche Fälle, schreibt Jonathan Zittrain, verdeutlichten die "seltsamen und beunruhigenden Probleme, die sich aus den merkwürdigen Mischtechnologien ergeben, von denen die digitale Welt zunehmend bevölkert wird". Und das gelte nicht nur für Hardware mit Software-Anbindung, sondern mindestens ebensosehr für Web-basierte Anwendungen, von Facebook bis Google Mail: "Genau wie mit angebundenen Geräten kann der Nutzer unter Umständen keine alte Version weiternutzen, wenn solche Web-2.0-Dienste ihre Angebote verändern." Und natürlich wäre es für staatliche Stellen ebenso einfach, über die Betreiber solcher Anwendungen auf Kundendaten zuzugreifen, wenn sie den richtigen juristischen Hebel finden.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass diese "merkwürdigen Mischtechnologien" uns nie ganz gehören werden, selbst dann, wenn wir viel Geld dafür bezahlt haben sollten. Jeder Webmail-Account, jedes Hightech-Telefon, jeder DVD-Player mit Internet-Anbindung schränkt unsere Freiheit ein bisschen weiter ein - zumindest potentiell.