Bokeh-Effekt in Fotos Zerstreut und scharf

Tiefenwirkung: Dank scharfem Vordergrund und Unschärfe dahinter wirkt das Foto räumlich
Foto: Tilo Gockel / DOCMAMenschen nehmen die Umwelt dreidimensional wahr, eine Kamera ist allerdings nur in der Lage, zweidimensionale Abbilder zu produzieren. Um dennoch auch in Fotos Tiefe zu vermitteln und bildwichtige Teile hervorzuheben, gibt es diverse Techniken. Neben Helligkeits- und Kontrastunterschieden bieten sich besonders Schärfedifferenzen an. Der Fotograf hat in solchen Fällen die Möglichkeit, den bildwichtigen Vordergrund scharf darzustellen und den Hintergrund in der Unschärfe zurücktreten zu lassen. Zur Definition eines Qualitätsmaßstabs für diese offensichtlich so wichtige Unschärfe wurde das japanische Wort "Bokeh" entliehen und neu geprägt.
Was ist denn überhaupt Bokeh? Bokeh bedeutet im Japanischen ursprünglich "Zerstreutheit" und steht im vorliegenden Zusammenhang für die Qualität der Unschärfe. Die Tatsache, dass Objektivhersteller das Bokeh ihrer Linsen nicht exakt quantifizieren können, macht skeptisch und lässt vermuten, dass gutes Bokeh mehr oder weniger Ansichtssache ist. Es gibt aber auch einige absolute Qualitätskriterien:
- Gutes Bokeh beruht auf einer recht extremen Unschärfe. Ist die Unschärfe nicht ausgeprägt genug, so sieht sie nicht "gewollt" aus. Auch zu kleine Zerstreuungskreise (helle Scheibchen um die Glanzlichter) sehen nicht gut aus und wirken eher wie ein Fehler, nicht wie ein Stilmittel.
- Je nach Art und Öffnung der Blende nehmen die Zerstreuungskreise eine kreisrunde oder auch eine unruhige fünf-, sechs- oder achteckige Form an. Laut vagem Konsens unter den Fotografen wirkt rund gut, elliptisch noch okay, zu eckig allerdings unschön. Je nach Bauform der Kamera (genauer: des Spiegelkastens in der Kamera) kann es hier auch zu Anschnitten der Kreise kommen -solche Anschnitte werden generell als wenig ästhetisch wahrgenommen.
- Ein letztes allgemeines Qualitätsmerkmal ist, wie ruhig das Bokeh wirkt. So wird das wenig geschätzte Zwiebelring-Bokeh mancher Linsen als nicht optimal bewertet. Auch der Rand der Zerstreuungskreise sollte scharf, nicht doppelt und ohne Halo (einen Lichthof um eine Lichtquelle herum) abgebildet werden und angenehm klar wirken.

Unschönes Bokeh: Zwiebelringe (links), angeschnittene Flächen (rechts)
Foto: Tilo Gockel / DOCMAAuch ein Bild ohne plakative Zerstreuungskreise kann gutes oder schlechtes Bokeh aufweisen. Anhand der Kreise lässt sich das Bokeh aber besonders eindrücklich erkennen.
Wie schafft man Bokeh mit Kamera und Objektiv? Kann Bildbearbeitung nachträglich ähnliche Effekte schaffen? Die Antworten im Überblick.
Bokeh mit Kamera und Objektiv
Wie kann man nun ein ansprechendes Bokeh erzeugen? Die Basis bildet die beschriebene, extrem geringe Schärfentiefe. Diese hängt bei Aufnahmen hiervon ab:
- der Brennweite (länger = besser),
- der Blende (größer = besser, wobei eine kleinere Blendenzahl eine größere Blende angibt, f/2,8 ist größer als f/5,6),
- der Gegenstandsweite (kürzer = besser)
- und vom Hintergrundabstand (je weiter entfernt, desto besser).
Technisch Interessierte Leser finden eine präzise Herleitung im Buch "Technische Optik" von Gottfried Schröder oder auch im Fachaufsatz von Hubert Nasse . Die Sensormaße fließen hier übrigens nur indirekt ein: Der kleine Sensor einer preiswerten Kompaktkamera wird meist zusammen mit sehr kurzen Brennweiten eingesetzt, um auf gewohnte Bildwinkel zu kommen. Daher bilden Kompaktkameras die Szene fast durchgängig scharf ab und lassen sich höchstens noch im Makromodus durch die dann besonders geringe Gegenstandsweite zu ein wenig Hintergrundunschärfe überreden.

Bokeh, fast ohne Zerstreuungskreise: Vollformatkamera mit 70-200 f/2,8 Telezoom
Foto: Tilo Gockel / DOCMAFast alle Linsen erzeugen zumindest offenblendig runde Zerstreuungskreise, aber nur die teureren Exemplare produzieren dank speziell geformter Blendenlamellen auch geschlossen noch schöne runde Kreise. Weiterhin weisen Festbrennweiten im Regelfall ein schöneres (ruhigeres) Bokeh auf als Zoom-Objektive, und schließlich sind Linsen, die auf extreme Schärfe getrimmt sind, hinsichtlich des Bokehs oft eher im Hintertreffen.
Wir haben drei verschiedene recht verbreitete Linsen an einer Vollformat-Kamera getestet. Diese Objektive kamen zum Einsatz:
- eine 50-mm-Linse f/1.4 mit Blende 1,6
- ein teures Telezoom 70-200 f/2.8 mit 170 mm Brennweite und Blende 3,2
- eine Speziallinse, der Lensbaby Composer (mit Blende 4,0). Hierbei handelt es sich um ein preiswertes 50-mm-Schwenkobjektiv für besondere Effekte.
Tilt-Shift-Objektive werden beispielsweise bei der Architekturfotografie eingesetzt, um den Eindruck stürzender Linien zu vermeiden. Aber auch der umgekehrte Einsatz ist möglich und aktuell bei fotografisch erzeugten Miniaturwelten und in der Food Fotografie recht verbreitet. Am schnellsten erlernt man den Umgang mit solchen Spezialobjektiven, wenn man die Anwendung einmal einen ganzen Nachmittag im Liveview-Modus übt - ohne diese Lernphase werden die ersten Versuche ansonsten eher zum Blindflug.

Tilt-Shift-Effekt: Selektive Schärfe schafft bei manchen Aufnahmen Spielzeuglandschaften
Foto: Tilo Gockel / DOCMAGeht es auch synthetisch?

Bokeh: Mit Unschärfe hebt man wichtige Elemente hervor
Foto: Tilo Gockel / DOCMAEs ist noch gar nicht lange her, da wurden die kleinen Sensoren der ersten Digitalkameras unter anderem mit dem Vorteil der höheren Schärfentiefe beworben. Anwender und Hersteller haben allerdings rasch festgestellt, dass hiermit auch ein wichtiges Gestaltungsmittel verloren gegangen ist. So kam der der Wunsch nach Software-Tools zum nachträglichen Einbringen eines Unschärfeverlaufs in diese tiefenscharfen Aufnahmen auf.
Um Bokeh synthetisch nachzubilden, könnte man auf den recht naiven Ansatz kommen, die Unschärfe mit einem Gaußfilter zu erzeugen und den Schärfeeffekt mit einer Verlaufsmaske zu dosieren. Das funktioniert aber nicht gut, da man mit dieser Maske dann nicht den Grad der Unschärfe, sondern lediglich die Deckkraft der unscharfen Ebene variiert, Und gerade auch die Zerstreuungskreise kann man hiermit nicht einmal ansatzweise realistisch nachbilden. Während das Photoshop-Bordmittel "Tiefenschärfe abmildern " nicht gänzlich unzureichende Ergebnisse liefert, bieten externe Programme beziehungsweise Photoshop-Plug-ins speziell diesen Effekt an. Zum Beispiel Alien Skin mit "Bokeh 2", onOne mit "Focal Point 2" und Topaz mit "Lens Effects".
Mit ein paar Tricks können Sie aber auch mit Photoshop allein tolle Bokeheffekte erzeugen. Um sich ein Ziel zu definieren, böten sich nun reale, offenblendige Aufnahmen als Ideal an. Zusätzlich wollen wir aber auch Effekte erzeugen, die über die Realität hinausgehen und verwenden deshalb das Photoshop-Plug-in Bokeh von Alien Skin als Goldstandard. Wer sich dennoch einmal den Vergleich Realität versus Simulation anschauen möchte, der findet auf hier Beispiele, wie sich Alien Skins Bokeh im Vergleich zu den besten Canon L-Linsen so schlägt.
Ein einfaches Muster
Für einen ersten Bokeh-Test ist ein schlichtes Punktemuster - in Farbe, damit es etwas interessanter aussieht - eine gute Wahl. Die kleinen hellen Kreise sollen Lichtquellen in weiter Ferne darstellen, die bei einer offenblendigen Linse, die auf die Nähe fokussiert ist, entsprechend zu großen Zerstreuungskreisen werden. Solch ein Bokeh-Muster könnte man auch mit speziellen Photoshop-Pinseln erzeugen (mehr dazu hier , hier und hier ).

Punktemuster: Die kleinen hellen Kreise sollen Lichtquellen in weiter Ferne darstellen
Foto: Tilo Gockel / DOCMAEin erster Versuch mit Gauß-Filterung
Wenn es um Unschärfe geht, dann ist der erste Gedanke meist der Gauß-Filter, und tatsächlich kann der folgende Trick unter anderem auch in gewisser Näherung eine Tilt-Shift- oder Makrolinse nachbilden. Zunächst wird das Lichtpunktmuster (oben) dupliziert, "gaußgeglättet" (hier mit einem Radius von 17, bei größen Werten verschwinden die Kreise völlig) und dann mit einem Verlauf ausmaskiert. Das Ergebnis ist bei der vorliegenden Szene allerdings leider völlig unzureichend: Zum einen entstehen keine hellen Zerstreuungskreise, sondern nur unansehnliche weiche, dunkle Flecken. Zum anderen stimmt auch der Schärfeverlauf nicht, da die Maske nicht den Grad der Weichzeichnung, sondern ausschließlich die Deckkraft beeinflusst.

Gauß-Filter: Das Ergebnis völlig unzureichend - unansehnliche weiche, dunkle Flecken
Foto: Tilo Gockel / DOCMABei Alien Skin Bokeh kann der Anwender nicht nur viele Parameter wie "Bokeh Amount", "Creaminess" und "Blade Curvature" einstellen, sondern auch auf ausgefeilte Masken zugreifen. In diesem Beispiel besteht diese einfache Maske aus einem schlichten linearen Verlauf von schwarz nach weiß, in den nächsten Beispielen werden die verwendeten Masken oder "Tiefenkarten" jedoch immer ausgefeilter. Zum Umgang mit diesen Masken ist es übrigens auch sehr zu empfehlen, die Videos auf der Alien-Skin-Website anzuschauen. Dank der Anleitung versteht man die Bedienung recht schnell.

Spezialsoftware: Mit Alien Skin Bokeh sieht das schon besser aus
Foto: Tilo Gockel / DOCMASpezialsoftware - Alien Skin Bokeh

Realitätsnahe Szene: Bokeh-Effekt mit der Spezialsoftware Alien Skin Bokeh
Foto: Tilo Gockel / DOCMADiese Szene ist relativ komplex, und die Tiefenbereiche sind eng gestaffelt. Hier können Sie mit einem schlichten Verlauf allein nicht mehr punkten. Tatsächlich ist es aber auch in diesem Fall recht einfach möglich, das Bokeh einer teuren offenblendigen Linse nachzuempfinden, wenn man einen elliptischen Verlauf mit einer Maskierung des Hauptobjektes (in diesem Beispiel der rote Hut) verbindet. Beachten Sie aber, dass sich das Plug-in anders verhält als der photoshopinterne "Tiefenschärfe-Abmildern"-Filter.
Für "Bokeh" muss die Maske zweiteilig erstellt werden, denn das Plug-in kann nur rein schwarzweiße Photoshopmasken lesen und verarbeiten, nicht aber Verlaufsmasken. Sie maskieren also zunächst das Hauptobjekt mit Photoshop und fügen dann mit "Bokeh" die weiche Verlaufsmaske für den Effekt hinzu. Das Ausgangsbild ist übrigens durchgehend scharf.
Einfacher Lensbaby-Effekt mit Alien Skin Bokeh

Lensbaby-Unschärfe: Der Effekt ist per Software erzeugt
Foto: Tilo Gockel / DOCMA (Foto: Michelle Assmus)Tatsächlich kommt man bei geeigneten Bildern auch mit einfachen Masken zu eindrucksvollen Ergebnissen. Im Beispielbild hat die Fotografin Michele Assmus dem Bild einen Effekt mitgegeben, der stark an die Lensbaby-Unschärfe erinnert. Hierfür hat sie einen radialen Verlauf in "Bokeh" angelegt und nach Augenmaß aufgezogen. Das entstehende Bokeh könnte man übrigens direkt im Plug-in durch die Zoom-Einstellung, welche genau wie beim echten Lensbaby-Objektiv die Zerstreuungskreise radial verzerrt, noch anpassen.
Besonders ausgeprägte Effekte

Bokeh-Effekt: Die Hürde zum schönen Bild ist eine möglichst exakte Freistellung
Foto: Tilo Gockel / DOCMAAuch sehr ausgeprägte Bokeh-Effekte sind mit dem Plug-in realisierbar - viel ausgeprägter sogar, als dies mit realen Linsen möglich wäre. Im Beispiel sehen Sie hinter der Schneekugel ein wenig Glitzerkram angeordnet, um die Voraussetzungen für ein schönes Bokeh zu erzeugen. Der Abstand zum Vordergrund ist mit ungefähr 40 cm allerdings zu gering, als dass selbst eine lichtstarke Telelinse aus diesem Hintergrundglitter tatsächlich schöne große Zerstreuungskreise erzeugen könnte.
Mit dem Einsatz von Software wiederum stellt dies kein Problem dar, und die einzige Hürde zum schönen Bild ist eine möglichst exakte Freistellung der Schneekugel. Diese Freistellung wiederum wird dann im Plug-in durch einen schlichten linearen Verlauf von vorne nach hinten ergänzt, und dann muss man nur noch die Regler für "Bokeh Amount", "Creaminess", "Blade Curvature", etc. einstellen. Schon ist das Bild fertig!
Bokeh-Effekte mit Photoshop

Bokeh-Effekt per Photoshop: Die Maske entsteht per Schnellauswahlwerkzeug
Foto: Tilo Gockel / DOCMASelbstverständlich können Sie all diese Effekte auch allein mit Photoshop erzeugen. Der Weg ist nur etwas umständlicher und länger. Beginnen wir mit dem roten Hut: Sie benötigen zunächst eine gute Maske, die der aus dem Alien-Skin-Beispiel stark ähneln sollte. Wählen Sie den Hut mit dem "Schnellauswahlwerkzeug" aus.
Erzeugen Sie dann eine Maske der Auswahl und kopieren Sie diese auf eine neue Bildebene. Ziehen Sie auf einer weiteren neuen Ebene einen radialen Verlauf auf, verzerren Sie ihn und verblenden Sie dann die beiden Ebenen im Modus "Hellere Farbe". Wählen Sie alles aus und kopieren Sie in der Kanälepalette in einen neuen Alphakanal. Wechseln Sie zurück zum Bild und rufen Sie "Filter > Weichzeichnungsfilter Tiefenschärfe abmildern" auf. Verwenden Sie "alpha1" als Quelle.
Einfache Lensbaby-Effekte mittels Photoshop

Unschärfeeffekt: Die Photoshop-Methode ist langwierig
Foto: Tilo Gockel / DOCMA (Foto: Michelle Assmus)Auch dieser Unschärfeeffekt ist mit "Tiefenschärfe abmildern" (englisch: "Lens Blur") möglich. Die Voraussetzung hierfür ist wiederum eine gute Maske, die wir uns vom Beispiel abschauen können. Diesmal müssen Sie nichts freistellen. Generieren Sie die Maske mit einem schwarzweißen "Radialverlauf", den Sie mittels "Transformieren" ("Strg/Befehl-T") noch etwas zurechtziehen.
Dann kopieren Sie sie in der Kanälepalette in einen neuen Alphakanal. Zurück im Bild starten Sie "Filter > Weichzeichnungsfilter > Tiefenschärfe abmildern". Als Quelle wählen Sie "alpha1".
Den scharfen Bereich definieren Sie durch einen Mausklick ins Bild, und über die Schieberegler stellen Sie dann den Effekt ein. Das funktioniert, bedarf aber einiger Anpassungen und Korrekturen an der Maske und entsprechend am Alphakanal, bis der Effekt wirklich passt. Entsprechend ist die Methode langwieriger und weniger interaktiv als beim Plug-in.
Spezialeffekte der Meisterklasse

Der dritte Effekt ist schwierig zu erzeugen, weil Photoshops "Tiefenschärfe abmildern " einfach nicht so große Kreise erzeugen will, von den Zacken einmal ganz zu schweigen. Grundsätzlich lassen sich auch hier die vorherigen Techniken anwenden und führen zu einem einigermaßen brauchbaren Ergebnis, das jedoch die gerade genannten Schwächen aufweist.
Ein möglicher Ansatz zur Lösung des Problems stammt von Doc Baumann: Sie basiert auf der Tatsache, dass der Filter "Tiefenschärfe abmildern" offenbar - in schwer kalkulierbarer Weise auch mit den Maßen der Datei zusammenhängt, die bearbeitet wird. Eine kleinere Fläche führt daher zu größeren Zerstreuungskreisen.
Summa summarum kann man sowohl mit externen Tools als auch mit Photoshop selbst überzeugende Ergebnisse produzieren. Unsere Versuche haben gezeigt, dass die externen Plug-ins hier etwas voraus sind, mindestens aber mehr Bedienkomfort bieten. Ob dieser Zugewinn auch den Mehrpreis rechtfertigt, muss jeder Anwender selbst entscheiden. Wer die Schnupperversionen installiert, sollte auch die zugehörigen Online-Videotutorials anschauen, da die Bedienung der Tools nicht immer direkt eingängig ist - Links zu weiteren Bildbeispielen finden Sie hier.

DOCMA 2/2012
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